| # taz.de -- Flucht aus Sudan: Wir leben noch | |
| > Unsere Autorin ist aus ihrer Heimat Sudan nach Ägypten geflohen – gerade | |
| > noch rechtzeitig. Ein Teil ihrer Familie blieb zurück. Protokoll einer | |
| > Odyssee. | |
| Bild: Land in Sicht: Menschen am Grenzübergang von Argeen am 12. Mai | |
| Kairo taz | Als wir die Grenze erreichen, ist es 22 Uhr. Für die Einreise | |
| aus Sudan nach Ägypten gibt es eine lange Warteschlange. Unser Bus ist die | |
| Nummer 108. | |
| Am 26. April habe ich mit meiner kleinen Familie [1][Khartum verlassen]. | |
| Nach elf Tagen mitten im Krieg zwischen Armee und RSF-Miliz machten wir uns | |
| auf den Weg. Wir reisten über Atbara nach Port Sudan, wo wir im Haus meiner | |
| Großmutter Zuflucht finden konnten. Fast all unsere Sachen ließen wir | |
| zurück, wir reisten mit leichtem Gepäck. | |
| Auf dem Weg nach Port Sudan hatten wir uns zunächst nur um unsere | |
| Sicherheit gesorgt. Nach einigen Wochen in der Hafenstadt am Roten Meer, | |
| die vollständig unter Armeekontrollen und sicher war, mussten wir uns | |
| fragen, ob wir uns das finanziell leisten konnten, obwohl wir nicht einmal | |
| Miete zu zahlen hatten. | |
| Port Sudan war jetzt faktisch Sudans Hauptstadt, die Hilfsorganisationen | |
| arbeiteten von hier. Der Hafen war komplett mit der Evakuierung von | |
| Ausländern beschäftigt. Das sonstige Wirtschaftsleben war eingestellt, die | |
| einheimischen Angestellten verloren ihre Jobs und ihr Einkommen und | |
| zugleich schossen die Preise in die Höhe, ob für Mieten oder für | |
| Lebensmittel. An manchen Tagen wachte man auf und stellte fest, dass die | |
| Mahlzeit von gestern heute unbezahlbar war. Einige Menschen kehrten deshalb | |
| sogar nach Khartum zurück, in den Krieg. | |
| ## Verheerende Nachrichten | |
| Für uns bedeutete die Situation, dass wir uns ebenfalls wieder in Bewegung | |
| setzen mussten. Aber nicht nach Khartum, sondern nach Norden. [2][Die | |
| Grenze nach Ägypten war offen]. Weder ich noch meine Schwester oder meine | |
| Mutter brauchten Visa. | |
| Also bestiegen wir am 24. Mai den Bus nach Karima. Meine siebenjährige | |
| Nichte und meinen vierjährigen Neffen konnten wir nicht mitnehmen, sie | |
| blieben mit meiner Schwester zurück. Die Reise aus Khartum hatte sie schon | |
| zu sehr angestrengt. Und wir hatten Horrorgeschichten darüber gehört, was | |
| uns an der ägyptischen Grenze erwarten könnte: lange Wartezeiten in der | |
| sengenden Sonne ohne Wasser, Schutz oder Versorgung. | |
| Die Fahrt nach Karima dauerte zehn Stunden. Wir übernachteten dort und um 4 | |
| Uhr morgens ging es weiter. Als wir den Grenzübergang Argeen erreichten, | |
| war es nachts. Wir warteten. Währenddessen änderte Ägyptens Regierung die | |
| Einreisebedingungen. Per Verordnung wurde allen ohne Reisepass die Einreise | |
| aus Sudan untersagt. Bis dahin hatte ein Notdokument genügt, und Tausende | |
| Familien hatten dies genutzt, um ihre alten Angehörigen nach Ägypten zu | |
| bringen. Jetzt sollte das plötzlich nicht mehr möglich sein. | |
| Die Auswirkung dieser Nachricht war verheerend. Menschen weinten und | |
| schrien und bettelten die sudanesischen und ägyptischen Grenzer an, sie | |
| doch bitte durchzulassen. Aber wir hörten immer nur die immer gleiche | |
| Antwort: „Die Entscheidung ist endgültig und gilt ab sofort.“ | |
| ## Warten bei 41 Grad. Im Schatten. | |
| Damit unser Bus weiterfahren und die Grenze überqueren konnte, mussten alle | |
| ohne Pässe aussteigen. Das betraf in unserem Bus drei Familien. Zwei davon | |
| mussten ihre Alten tragen, sie waren krank und hatten die gesamte Reise nur | |
| unternommen, um in Ägypten sichere medizinische Versorgung erhalten zu | |
| können. Nun saßen sie fest, mitten in der Wüste, ohne alles. | |
| Die Lage an der Grenze war schon desaströs. Die wenigen Zelte des Roten | |
| Kreuzes reichten für die Tausenden wartenden Menschen nicht aus. Während | |
| wir nach einem Krankenwagen für die zwei Alten aus unserem Bus suchten, | |
| hörten wir, dass in der Warteschlange vor uns ein alter Mensch gestorben | |
| war. Er hatte nicht versorgt werden können. | |
| 24 Stunden verbrachten wir an der Grenze. Ohne sanitäre Einrichtungen. Der | |
| einzige Laden auf der sudanesischen Seite war überteuert. Die Temperatur | |
| stieg auf 41 Grad im Schatten. Hunderte Menschen irrten in der Wüste herum | |
| auf der Suche nach einem Bus, der sie zurückbringen könnte, denn weiter | |
| ging es für sie nicht. | |
| Auf der ägyptischen Seite angekommen, mussten wir weitere 12 Stunden | |
| warten. Dann ging es endlich weiter – für uns. Tausende andere blieben | |
| zurück. Wir nahmen den Bus nach Assuan. Dort trafen wir auf vollbeladene | |
| Busse Richtung Sudan. Ägypten steckt in einer Wirtschaftskrise, die das | |
| Überleben schwer macht. Wie hart müssen die Umstände sein, die diese | |
| Menschen jetzt zurück in das Kriegsgebiet zwingen? | |
| ## Keine Visa für Sudanesen mehr | |
| Ich lebe jetzt in Kairo mit Internet und Arbeit, für sechs Monate. Meine | |
| Schwester und ihre beiden kleinen Kinder sind noch in Port Sudan, bei | |
| unerträglicher Hitze und zwölfstündigen Stromausfällen. Kurz nach unserer | |
| Einreise führte Ägypten eine Visumpflicht für Sudanesen ein. Damit dürfen | |
| wir weltweit nur noch nach Südsudan visafrei einreisen. | |
| Meine Schwester und ihre beiden Kinder reichen ihre Pässe jetzt beim | |
| ägyptischen Konsulat ein. Wir haben keine Ahnung, wie lange ein Visum | |
| dauern wird. Manche Länder bieten nicht einmal mehr diese Möglichkeit. | |
| Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate stellen keine neuen | |
| Visa mehr aus. | |
| Ich habe noch einen Onkel in Khartum. Trotz der ständigen Bombardierungen | |
| und Plünderungen ist er geblieben, mit seiner Frau und zwei Töchtern. Mit | |
| den Nachbarn teilen sie sich das, was man zum Überleben braucht. Sie | |
| schützen sich gegenseitig. | |
| Die Sudanesen sind jetzt in ihrem Land gefangen, außer denen, die bei ihrer | |
| Flucht schon alle nötigen Papiere hatten. Und wer fliehen konnte, muss nun | |
| mit neuen Restriktionen umgehen. Nach nur zwei Monaten Krieg hat die Welt | |
| bereits beschlossen, dass wir eine Last sind. | |
| ## Viele Gründe, die Hoffnung zu verlieren | |
| Jetzt sitzen wir jeden Morgen vor dem Fernseher und warten auf ein Signal, | |
| dass die Dinge besser werden. Stattdessen hören wir neue Horrorgeschichten. | |
| Ich weiß nicht, ob der Krieg je enden wird. Wir haben viele Gründe, die | |
| Hoffnung zu verlieren, aber im Gespräch mit Freunden und Angehörigen in | |
| Sudan stoße ich immer wieder auf ein überwältigendes Durchhaltevermögen. | |
| Wir leben noch. Und wir tun unser Bestes. | |
| Die Autorin ist Datenanalystin und Journalistin aus Khartum. Vor einem | |
| Monat beschrieb sie ihre Flucht aus der umkämpften Stadt. 2022 nahm sie an | |
| einem Workshop der taz Panter Stiftung in Berlin teil. | |
| Aus dem Englischen von Dominic Johnson | |
| 19 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lujain Alsedeg | |
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