| # taz.de -- Reform der Pflegeversicherung: Koalition beschließt Pflege-Reform | |
| > Mit dem Gesetz will die Ampelkoalition Pflegebedürftige und Pflegende | |
| > entlasten. Opposition und Patientenschützer:innen fordern mehr. | |
| Bild: Der Eigenanteil an den Kosten für die Pflege im Heim soll sinken | |
| Berlin taz dpa/afp | Mit der Pflegereform will Gesundheitsminister Karl | |
| Lauterbach (SPD) Pflegende und Pflegebedürftige entlasten und vor allem die | |
| Finanzierung der Pflegeversicherung sichern. So bekommen Pflegebedürftige | |
| für die Pflege zu Hause ab 2024 fünf Prozent mehr Pflegegeld von der | |
| Pflegekasse. Auch die Sachleistungen werden um fünf Prozent erhöht. | |
| Für die Pflege im Heim erhöht das Gesetz die sogenannten | |
| Entlastungszuschläge. Die Entlastungszuschläge verringern den Eigenanteil | |
| an den Pflegekosten. Der Zuschlag soll die Kosten nun im ersten Jahr im | |
| Heim um 15 Prozent statt vorher fünf Prozent drücken. Im zweiten Jahr | |
| mindert der Zuschlag die Kosten dann um 30 statt 25 Prozent, im dritten um | |
| 50 statt 45 und ab dem vierten um 75 statt 70 Prozent. | |
| Pflegende Angehörige erhalten zudem ab Juli 2025 Anspruch auf 3.539 Euro | |
| für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege für zehn Tage pro Jahr und gepflegter | |
| Person – das sogenannte Entlastungsbudget. Damit können pflegende | |
| Angehörige sich zehn Tage im Jahr durch andere Pflegeangebote vertreten | |
| lassen, um sich etwa einen Urlaub zu ermöglichen. Im vorigen Gesetz konnten | |
| Pflegende diese zehn Tage nur einmalig einlösen und nicht jedes Jahr. | |
| Der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch hält die Reform | |
| nicht für ausreichend. Die Koalition erreiche ihre selbst gesteckten Ziele | |
| nicht. Weder gebe es eine Dynamisierung der Pflegeleistungen ab 2022, noch | |
| seien die Milliardenentnahmen aus der Pandemiezeit in die | |
| Pflegeversicherung zurückgezahlt worden. | |
| Mehrausgaben während der Covid-19 Pandemie entnahm die damalige Regierung | |
| teils aus den Pflegekassen. Der Einwand, dass die finanziellen Mittel | |
| begrenzt seien, sei daher nichts anderes als Volksverdummung, findet | |
| Brysch. „Die Altenpflege bleibt das Stiefkind der Bundesregierung“, sagte | |
| der Patientenschützer der taz. Auch der Verbraucherzentrale reichen die | |
| Reformen nicht. Trotz Verbesserungen bleibe das Gesamtpaket aus Sicht | |
| Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen eine Enttäuschung. „Zu wenig | |
| Entlastung, zu viel Bürokratie“ monieren die Verbraucherschützer:innen. | |
| Die CDU-Abgeordnete Diana Stöcker lobt zwar das Entlastungsbudget. Aber sie | |
| hält die Reform insgesamt ebenfalls für nicht ausreichend. Stöcker sagt: | |
| „Das ist keine Reform, sondern dürftiges auf Sicht fahren.“ Sie kritisiert | |
| vor allem, dass es noch bis Juli 2025 dauert, bis die meisten Pflegenden | |
| das Entlastungsbudget nutzen können. Nur Pflegende von Kindern und jungen | |
| Erwachsenen mit einer schweren Behinderung bis 25 Jahren können das Budget | |
| schon ab 2024 nutzen. „Die Angehörigen sind der größte Pflegedienst der | |
| Nation, sie brauchen Entlastung“, [1][sagte Stöcker vor der Abstimmung im | |
| Bundestag.] | |
| ## Verhaltenes Lob von der Opposition | |
| Ein Punkt, den Redner:innen aus Koalition wie aus Opposition loben: Die | |
| Pflegeversicherung finanziert vier Jahre lang „innovative | |
| Unterstützungsmaßnahmen und –strukturen vor Ort“. Und die Kommunen sollen | |
| zukünftig freier entscheiden, wo sie sogenannte Pflegestützpunkte | |
| einrichten, an denen sich Pflegende und Pflegebedürftige beraten lassen | |
| können. „Die Kommunen sehen vor Ort den Handlungsbedarf und können | |
| zielgerichtet Konzepte entwickeln und umsetzen“, sagt Diana Stöcker für die | |
| Union. | |
| Um die Reform zu bezahlen, erhöht die Ampel-Koalition die Beiträge zur | |
| Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte von 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent | |
| für Personen mit einem Kind. Eltern von mehr Kindern zahlen weniger – eine | |
| Anpassung, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte. | |
| Lauterbach verteidigt die Erhöhung der Beiträge. Dadurch werden die | |
| Pflegekassen 6,6 Milliarden Euro mehr einnehmen, so hat es Lauterbachs | |
| Ministerium berechnet. Man wolle die finanzielle Grundlage der Pflege | |
| stabilisieren. „Die Erhöhung der Beitragssätze um 0,35 Prozentpunkte muss | |
| uns die verbesserte Pflege wert sein“, sagt der Minister. Er räumt jedoch | |
| ein, dass es noch weiterer Schritte bedarf, um die Pflege umfassend zu | |
| erneuern. | |
| ## Hohe Belastung für Geringverdiener | |
| Scharfe Kritik an der Pflegereform formuliert indes Ates Gürpinar von der | |
| Linken. Die Erhöhung des Pflegegelds um fünf Prozent gleiche nicht einmal | |
| die Inflation aus. Seit der letzten Anpassung der Unterstützungen 2017 | |
| seien die Preise um 17 Prozent gestiegen. Gürpinar sieht daher eine reale | |
| Kürzung der Pflegeleistungen. | |
| Auch die Erhöhung der Beitragssätze findet er falsch. Mit den Einzahlenden | |
| in die gesetzliche Pflegekasse treffe sie vor allem Gering- und | |
| Mittelverdienende sowie Rentner:innen. Gürpinar fasst seine Kritik so | |
| zusammen: „Frei nach Robin Hood: Sie nehmen es den Armen und dann geben sie | |
| ein bisschen weniger den Kranken, Alten und Schwachen.“ | |
| 26 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw21-de-pflegeentlastung… | |
| ## AUTOREN | |
| Moritz Müllender | |
| ## TAGS | |
| Care-Arbeit | |
| Pflege | |
| Karl Lauterbach | |
| Pflege | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Care-Arbeit | |
| "Querdenken"-Bewegung | |
| Hubertus Heil | |
| Alten- und Pflegeheime | |
| Pflegekräftemangel | |
| Verfassungsgericht | |
| Pflegekräftemangel | |
| Pflegekräftemangel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Fachkräftemangel in der Pflege: Leiharbeit als letzte Rettung | |
| Arbeit auf Abruf ist in vielen Branchen ein Synonym für Ausbeutung. Für die | |
| Pflegerin Uschi Hoppe-Elsner ist Zeitarbeit ein Ausweg aus dem Hamsterrad. | |
| Armutsrisiko und Pflegeheim: Für den Heimplatz zum Sozialamt | |
| Die Kosten für Menschen in Pflegeheimen steigen drastisch. Auch die | |
| kürzlich beschlossene Pflegereform kann das nur bedingt abfangen. | |
| Steigende Pflegekosten: Pflege im Heim immer teurer | |
| Viele Pflegebedürftige haben schon länger finanzielle Belastungen. Dennoch | |
| gehen die Kosten für Heimplätze weiter nach oben, zeigt eine Auswertung. | |
| Bundesrat billigt Pflegereform: Angehörige werden entlastet | |
| Die Pflegereform mit höheren Beiträgen zum 1. Juli und Entlastungen für | |
| Pflegebedürftige kommt. Der Bundesrat billigte das Gesetz am Freitag. | |
| Madlen Schenk rappt über Pflegenotstand: Wütend auf die Impfpflicht | |
| Die Krankenpflegerin Madlen Schenk will Sprachrohr für Pflegekräfte sein. | |
| Allerdings rappt sie auch von "Impfzwang" und "Maskenscheiß". | |
| Pflegepersonal aus Brasilien: Werbereise mit Geschmäckle | |
| Es spricht nichts dagegen, Pflegekräfte aus Drittstaaten anzuwerben. Doch | |
| ohne deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen hier vor Ort wird das wenig | |
| helfen. | |
| Pflegenotstand in Deutschland: Die große Kränkung | |
| In der Pflege erleben wir die Grenzen der Solidarität im Sozialstaat. Das | |
| Pflegerisiko wird individualisiert – wer betroffen ist, muss allein | |
| klarkommen. | |
| Theaterstück über die Zukunft der Pflege: FP3 soll’s richten | |
| Das Staatstheater Oldenburg beschäftigt sich mit der Zukunft der Pflege. | |
| Das Stück „Requiem.exe“ versucht, etwas Optimismus in die Debatte | |
| einzubringen. | |
| Recht auf freiverantwortliches Sterben: Respekt bis zum Tod | |
| Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft setzt voraus, den Menschen auch und | |
| gerade die Vorstellung vom eigenen Lebensende selbst zuzugestehen. | |
| Rechtsanspruch auf Pflege: Der Fehler liegt im System | |
| Ein Anspruch auf Pflege, Fachkräfte aus dem Ausland? Solche Vorschläge | |
| bringen nichts, wenn sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege nicht | |
| ändern. | |
| Kritik an Pflegereform: Jetzt schon zu wenig Personal | |
| Am Freitag will der Bundestag die Pflegereform verabschieden. Fachleute von | |
| Berufs- und Sozialverbänden fordern Nachbesserungen. |