# taz.de -- Armutsrisiko und Pflegeheim: Für den Heimplatz zum Sozialamt | |
> Die Kosten für Menschen in Pflegeheimen steigen drastisch. Auch die | |
> kürzlich beschlossene Pflegereform kann das nur bedingt abfangen. | |
Bild: Kostenfaktor Pflegefall: Wenig Anschub von der Bundesregierung | |
Berlin taz | Wenn eine Person in ein Pflegeheim ziehen muss, ist das für | |
Betroffene und Angehörige ein schwieriger Schritt. Doch neben der | |
emotionalen Belastung sind Menschen zunehmend mit Geldsorgen konfrontiert. | |
Denn: Pflegeheime haben sich im vergangenen Jahr massiv verteuert. Das | |
belegt eine erst kürzlich [1][veröffentlichte Auswertung] des Verbands der | |
Ersatzkassen (vdek). Zahlten Pflegeheimbewohner*innen zum Stichtag | |
1. Juli 2022 durchschnittlich 2.200 Euro pro Monat aus eigener Tasche, | |
waren es in diesem Jahr 2.548 Euro – ein Plus von 348 Euro pro Monat. | |
Da die Pflegeversicherung anders als die Krankenversicherung nur einen Teil | |
der Kosten übernimmt, müssen Bewohner*innen einen Eigenanteil an den | |
Pflege- und Betreuungskosten tragen. Hinzu kommen dann noch Kosten für | |
Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen. Besonders | |
das erste Jahr ist für Pflegebedürftige eine große finanzielle Belastung. | |
Die Kosten sinken mit der Verweildauer. | |
„Es braucht zeitnah eine Lösung zur nachhaltigen Entlastung der | |
Pflegebedürftigen, die nicht allein auf dem Rücken der Beitragszahler | |
lastet“, mahnt Jörg Meyers-Middendorf vom vdek-Vorstand. Die Bundesländer | |
müssten sich „endlich zur Übernahme der Investitionskosten für die | |
Pflegeeinrichtungen verpflichten“. | |
Insgesamt gibt es aber große Unterschiede in den Bundesländern. Besonders | |
teuer sind Pflegeheimplätze in Baden-Württemberg (2.913 Euro) und im | |
Saarland (2.841 Euro). In Sachsen-Anhalt zahlten Bewohner*innen mit | |
1.994 Euro am wenigsten. Vergleicht man diese Summen [2][mit den | |
durchschnittlichen Renten], wird klar, dass die Heimkosten für viele nicht | |
mehr zu stemmen sind: Ende 2022 wurden im bundesweiten Durchschnitt | |
monatlich 1.384 Euro Rente ausgezahlt – wobei die Renten in den | |
ostdeutschen Flächenländern deutlich geringer ausfallen. Wer nicht genügend | |
Einkommen oder Vermögen hat, um einen Heimplatz zu bezahlen, muss zum | |
Sozialamt. | |
## Wurde das Problem politisch ignoriert? | |
„Das ist ein Riesenproblem“, sagt Pflegeberater Klaus-Peter Buchmann. Er | |
arbeitet für die Arbeiterwohlfahrt des Landesverbands Sachsen e. V. (AWO). | |
Der Anteil der Bewohner*innen, die Sozialhilfe beziehen, wachse | |
kontinuierlich, hat er bemerkt. In Sachsen betreibt die AWO 58 stationäre | |
und teilstationäre Einrichtungen. „In einzelnen Einrichtungen liegt der | |
Anteil sogar bei über 90 Prozent“, sagt Buchmann. Und: Das Problem sei über | |
Jahre hinweg politisch ignoriert worden. | |
Zumindest im vergangenen Jahr wurde politisch auf die steigenden Heimkosten | |
reagiert. Seit 2022 zahlt die Pflegeversicherung für Bewohner*innen in | |
vollstationären Einrichtungen einen Entlastungszuschlag. Dieser drückt die | |
Kosten für die reine Pflege im ersten Jahr im Heim um 5 Prozent, im zweiten | |
um 25, im dritten um 45 und ab dem vierten Jahr um 70 Prozent. Das heißt, | |
je länger ein Mensch im Heim bleibt, desto günstiger wird es. | |
Nach der kürzlich beschlossenen [3][Pflegereform von | |
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach] (SPD) werden diese gestaffelten | |
Zuschläge ab 2024 erhöht. Dann wird der Eigenanteil für die reine Pflege im | |
ersten Jahr statt um 5 Prozent um 15 Prozent verringert, im zweiten Jahr um | |
30, im dritten um 50 und ab dem vierten Jahr um 75 Prozent. Die gestiegenen | |
Heimkosten gehen neben allgemeinen Teuerungen auch auf gestiegene | |
Personalkosten zurück. Seit September 2022 müssen alle Heime, die mit den | |
Pflegekassen abrechnen, ihr Personal mindestens nach Tarif bezahlen. | |
„Wir erleben, wie Pflegebedürftigkeit immer mehr zu einer echten | |
Armutsfalle wird“, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des | |
Paritätischen Gesamtverbands. Gemeinsam mit einem Bündnis aus verschiedenen | |
Sozial- und Pflegeverbänden sowie Gewerkschaften fordert er eine | |
Pflegevollversicherung. Diese müsse alle pflegebedingten Kosten abdecken. | |
## Linke: Besserverdienende sollen mehr einzahlen | |
Das würde auch Ates Gürpinar, Pflegeexperte der Linkspartei, begrüßen. | |
Pflegekräfte und zu Pflegende würden nicht mehr gegeneinander ausgespielt, | |
„wenn endlich auch Besserverdienende angemessen in die Pflegeversicherung | |
einzahlen würden“. Im Juli 2023 wurde der Beitragssatz zur | |
Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte von 3,05 auf 3,4 Prozent des | |
Bruttolohns angehoben. Eltern zahlen je nach Kinderzahl weniger. Kinderlose | |
zahlen mehr. | |
21 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.vdek.com/content/dam/vdeksite/vdek/presse/pm/2023/eigenbeteilig… | |
[2] https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Pres… | |
[3] /Bundesrat-billigt-Pflegereform/!5941295 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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