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# taz.de -- AfD in Thüringen: Radikale Realitäten
> Im kommunalpolitischen Alltag ist die Brandmauer gegen rechts bröckelig.
> In thüringischen Sonneberg hat der AfD-Kandidat Chancen bei der
> Landratswahl.
Bild: Die AfD ist schon längst da: Ein Wahlkampfbus der Partei vor dem Gesells…
Fast 500 Menschen sind an diesem Sommerabend Anfang Juni ins
Gesellschaftshaus in Sonneberg gekommen, damit ist der Saal der Kreisstadt
im Thüringischen an der Grenze zu Bayern fast voll belegt, es ist warm und
stickig. Noch wenige Tage sind es bis zur Wahl eines neuen Landrats am
kommenden Sonntag, Wahlkampf liegt in der Luft, und die
Sonneberger:innen haben sich schick gemacht: Die Männer tragen Sakkos,
die Frauen Sommerkleider, Pumps und Lippenstift. Es riecht nach Parfum und
Schweiß. Und nach viel Konfliktpotenzial – was auch daran liegt, dass der
AfD-Kandidat durchaus Chancen hat, in eine mögliche Stichwahl ums Amt zu
kommen.
Noch bevor der Moderator die erste Frage stellt, zeigt sich, wie gespalten
das Publikum ist. Auf einer Leinwand läuft ein Video, in dem sich die vier
Landratskandidat:innen kurz vorstellen. Als der AfD-Kandidat für das
Landratsamt, Robert Sesselmann, dran ist, jubelt die Hälfte der
Zuschauer:innen. Besonders laut applaudieren sie, als er sagt, dass
Geflüchtete den Sonneberger:innen die Wohnungen wegnähmen und
Deutschland „kein Weltsozialamt“ sei. Die andere Hälfte im Saal buht ihn
lautstark aus.
Mehrmals muss der Moderator die AfD-Anhänger:innen ermahnen, sich
„anständig“ zu verhalten. Als die Kandidatin Anja Schönheit (parteilos)
erklärt, was eine gute Integration ausmache, dringt sie mit ihrem
Wortbeitrag kaum noch durch und muss beinahe abbrechen. „Das ist wirklich
nicht sonderlich respektvoll“, sagt der Moderator zu den AfDlern. „Wir
hören Ihrem Kandidaten genauso zu, wie Sie bitte auch den anderen zuhören.“
Die [1][AfD erlebt derzeit ein Allzeithoch]. Wäre in Thüringen am Sonntag
Landtagswahl, käme sie laut Insa-Umfrage auf 28 Prozent und wäre damit
stärkste Kraft. Bundesweit liegt die rechtspopulistische Partei aktuell bei
19 Prozent, was der höchste Wert ist, den ein Meinungsforschungsinstitut
bisher für die AfD gemessen hat. Der Thüringer Verfassungsschutz hat den
dortigen Landesverband – Fraktionschef ist der einflussreiche, radikal
Rechte Björn Höcke – im Mai 2021 als gesichert rechtsextremistisch
eingestuft.
## Wer ist der AfD-Mann in Sonneberg?
Die AfD verfolgt schon lange das Ziel, erstmals einen Landrat in
Deutschland zu stellen. Während sie bei den Landratswahlen in der
AfD-Hochburg Sachsen vor einem Jahr noch klar gescheitert ist, hat sie den
[2][Landratsposten im brandenburgischen Oder-Spree] Mitte Mai nur um
Haaresbreite verpasst. 47,6 Prozent der Stimmen bekam der AfD-Kandidat. Als
Nächstes nun also die Landratswahl im südthüringischen Sonneberg am 11.
Juni: „Stellt euch vor, die AfD gewinnt ihren ersten Landkreis, was wäre
das für eine Schlagzeile. Die Bundesrepublik Deutschland würde beben“,
sagte der Rechtsextremist Höcke Anfang Mai.
Wer ist der Mann, den die AfD in Sonneberg ins Rennen schickt, und hat er
eine Chance, die Landratswahl zu gewinnen? Und wie viel Einfluss hat die
AfD in Sonneberg ohnehin schon?
Der Landkreis Sonneberg liegt ganz im Süden von Thüringen an der Grenze zu
Bayern, nur 20 Bahnminuten vom bayrischen Coburg entfernt. Es ist der
kleinste und einwohnerschwächste Landkreis in ganz Ostdeutschland. Knapp
57.000 Menschen leben dort, die Hälfte davon in der gleichnamigen
Kreisstadt, die auch Spielzeugstadt genannt wird. Anfang des 20.
Jahrhunderts wurden dort 20 Prozent der weltweiten Spielwaren hergestellt.
Die Region hat etwas Märchenhaftes: bergige Landschaften, grüne Täler,
dichte Tannenwälder, kleine Dörfer.
Der ganze Landkreis ist, man kann es nicht anders sagen, mit Wahlplakaten
der AfD zuplakatiert. Seit Wochen fährt der AfD-Kandidat Sesselmann von
Dorf zu Dorf, baut Wahlkampfstände auf und ab, verteilt Flyer und
Bratwurstgutscheine. Auf Facebook teilt er zahlreiche Videos von
AfD-Bundestagsabgeordneten, die dazu aufrufen, Sesselmann zu wählen.
Berührungsängste mit den Radikalen seiner Partei hat er keine. Er postet
Fotos mit Höcke und Videos, in denen er mit Mitgliedern der Jungen
Alternative, die vom Bundesverfassungsschutz ebenfalls als rechtsextrem
eingestuft wird, auf einem Marktplatz steht.
Mit Sesselmann schickt die AfD einen Kandidaten ins Rennen, der schon
einmal gescheitert ist – ebenfalls bei der Landratswahl, im Jahr 2018. Der
50 Jahre alte Rechtsanwalt schied damals mit knapp 30 Prozent im ersten
Wahlgang aus. Gewonnen hatte der von der Linken und SPD unterstützte
Hans-Peter Schmitz (parteilos). Schmitz allerdings erkrankte schwer und war
zwei Jahre krankgeschrieben, ehe er im März 2023 in den Ruhestand versetzt
wurde – regulär wäre seine Amtszeit erst am 30. Juni 2024 zu Ende gegangen.
Daher findet vorzeitig eine Neuwahl statt.
## Ein Gespräch mit der taz lehnt Sesselmann ab
Genauso wie 2018 setzt Sesselmann, der im Thüringer Landtag sowie im
Sonneberger Kreistag und Stadtrat sitzt, auch bei dieser Landratswahl fast
nur auf bundespolitische Themen. Er will den Rundfunkbeitrag abschaffen,
aus dem Euro austreten, die Russlandsanktionen aufheben, die Abschiebung
„krimineller“ Geflüchteter beschleunigen, überhaupt „sichere Grenzen“…
ein Ende der „linksgrünversifften Verbotspolitik“. Kaum ein Thema, mit dem
er Wahlkampf macht, wird im Kreistag entschieden.
In seinem Wahlprogramm macht Sesselmann lieber systematisch Stimmung gegen
Geflüchtete: Deutsche, insbesondere Rentner, würden als „Bürger zweiter
Klasse“ behandelt. Während Geflüchtete Geld vom Staat erhielten, blieben
„Krankenhäuser auf der Strecke“. Ginge es nach ihm, würden Geflüchtete
Sachleistungen statt Geld bekommen. Ein Gespräch mit der taz lehnt
Sesselmann ab, auch auf Fragen per Mail antwortet er nicht.
„Sesselmann ist ein rechtsradikaler Populist“, sagt Nancy Schwalbach, 52,
gemeinsame Kandidatin der Linken und Grünen. In der Fußgängerzone von
Sonneberg – einer gepflegten Stadt mit prächtigen Gründerzeithäusern – h…
die Grünen-Politikerin an einem Vormittag Anfang Juni einen Wahlkampfstand
aufgebaut, mit rotem Sonnenschirm und kleinen Geschenken: Buntstifte,
Einkaufswagenchips, Brillenputztücher, Flaschenöffner. Abends wird sie beim
Wahlkampfduell im Gesellschaftshaus auf Sesselmann treffen.
Die aufgeheizte Stimmung, die man am Abend noch spüren wird, spiegelt sich
vormittags in der Fußgängerzone nicht wider. Der Zulauf von Passant:innen,
die etwas von Schwalbach wissen wollen, ist mau. Genug Zeit also, um sich
auf eine Bank zu setzen und zu quatschen. Schwalbach – kurzes, grau-braunes
Haar, schwarzes T-Shirt, Sneaker – ist im Brandenburger Dorf Schwerin
aufgewachsen und saß dort elf Jahre in der Gemeindevertretung. Sie war 27
Jahre bei der Bundespolizei tätig, unter anderem in der öffentlichen
Verwaltung. „Die Hauptaufgabe eines Landrats ist es, den Kreis zu
verwalten. Ich bringe viel Verwaltungserfahrung mit“, sagt Schwalbach. Seit
März ist sie Sprecherin des Grünen-Regionalverbands
Sonneberg-Hildburghausen.
Im Vergleich zu den anderen Kandidat:innen ist Schwalbach im Landkreis
eine Unbekannte. Sie ist erst 2020 mit ihrer Patchworkfamilie aus dem
Südosten Brandenburgs in die Spielzeugstadt gezogen. „Sonneberg war viele
Jahre unser Urlaubsort“, sagt Schwalbach. Mit Mann und Kindern war sie oft
beim Tag der offenen Tür des Modelleisenbahnherstellers Piko, der seinen
Sitz in Sonneberg hat. Die Kinder, erzählt Schwalbach, wollten immer wieder
Urlaub in Sonneberg machen. Irgendwann habe die Familie entschieden,
dorthin zu ziehen.
Schwalbach sagt, sie wolle gerne Rufbusse einführen und außerdem dafür
sorgen, dass Geflüchtete, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, an
der Volkshochschule einen Haupt- oder Realschulabschluss machen können.
## Nicht unwahrscheinlich, dass AfD-Kandidat gewinnt
Seit 2015 engagiert sich die Landratskandidatin für Geflüchtete. Sie und
ihr Mann kaufen alte Häuser, sanieren und vermieten sie günstig an
Schutzsuchende und Migrant:innen. Damit allein sei es aber nicht getan,
sagt Schwalbach. „Ich helfe ihnen, wenn sie Post vom Jobcenter oder dem
Migrationsamt bekommen, gehe mit ihnen zum Elternabend der Kita und
unterstütze sie bei der Jobsuche.“
Als ein Ukrainer und sein elfjähriger Sohn, die in einem von Schwalbachs
Häusern wohnen, an ihrem Wahlkampfstand vorbeispazieren, geht Schwalbach
sofort zu den beiden hin. Mithilfe einer Übersetzungs-App fragt sie den
Vater, ob er schon einen Unterhaltsvorschuss beantragt habe. Als er
verneint, begleitet sie die beiden zum wenige Meter entfernten Sozialamt.
Später erklärt sie, dass die Frau des Ukrainers wieder in die Ukraine
gegangen sei, samt Kindergeld. Der Vater habe keinen Cent mehr.
Gegen Nancy Schwalbach tritt Jürgen Köpper von der CDU an. Er vertritt seit
knapp zwei Jahren den erkrankten Landrat und hat also den Amtsinhaberbonus.
Seine Vorhaben: Schwimmbäder erhalten, die Digitalisierung in der
Kreisverwaltung voranbringen, den ÖPNV ausbauen.
Laut Köpper ist es nicht unwahrscheinlich, dass der AfD-Kandidat die Wahl
gewinne. „Die Menschen hier fühlen sich in Berlin nicht mehr gehört“, sagt
der 57-Jährige am Telefon. Er fränkelt so sehr, dass man ihn kaum versteht.
Vor allem das geplante Heizungsgesetz sorge bei den Sonneberger:innen
für Frustration – was der AfD in die Karten spiele. „Die AfD muss nichts
weiter tun, als auf den nächsten Blödsinn aus Berlin zu warten“, sagt
Köpper. Er selbst spricht beim Heizungsgesetz vom „Durchsetzen grüner
Ideologie mit brutalster Gewalt“ – womit er sich rhetorisch und inhaltlich
kaum von der AfD unterscheidet.
Die vierte Kandidatin ist die 43 Jahre alte Anja Schönheit, eine zierliche
Frau mit blonden, schulterlangen Haaren. Sie ist Pflegedirektorin der
Helios-Klinik im fränkischen Kronach und möchte vor allem Schulden im
kommunalen Haushalt abbauen. Erfahrungen in der Kommunalpolitik hat sie
keine.
Schönheit wird auch von der Wählergruppe Pro Landkreis Sonneberg (Pro LK
Son) unterstützt, die zusammen mit der FDP seit knapp einem Jahr eine
Fraktion im Sonneberger Kreistag bildet. Zuvor waren CDU und FDP eine
gemeinsame Fraktion. Diese brach auseinander, weil die CDU bei der
Sonneberger Bürgermeisterwahl nicht erneut den damals wie heute amtierenden
Bürgermeister Heiko Voigt (parteilos) nominiert hatte, sondern die
CDU-Politikerin Uta Bätz. Sieben Mitglieder der CDU/FDP-Fraktion waren
daraufhin aus der Fraktion ausgetreten und haben Pro LK Son/FDP gegründet.
## Keine Windkrafträder mit der AfD
Eigentlich wollten Linke, SPD und Grüne eine gemeinsame Kandidatin
aufstellen. „Wir Grünen und die Linke waren aber nicht bereit, Schönheit zu
unterstützen, weil sie sich nicht klar von der AfD abgrenzt“, erklärt
Schwalbach. Spricht man Schönheit auf die AfD an, sagt sie, als Parteilose
wolle sie mit allen Fraktionen zusammenarbeiten. Ihr gehe es um eine
konstruktive Sachpolitik, nicht um Parteizugehörigkeit. Auf ihrer Webseite
schreibt Schönheit, dass sie „großen Wert auf eine unabhängige Arbeit“
lege.
Während die im Thüringer Landtag vertretenen Parteien eine Zusammenarbeit
mit der AfD strikt ablehnen, ist es im Kreistag von Sonneberg in dieser
Legislaturperiode schon mehrmals zu Kooperationen mit der AfD gekommen –
das zeigt ein Blick in die Kreistagsbeschlüsse.
Die CDU zum Beispiel hat einen Antrag zum Verbot von Gendersprache in
Behörden mit Ergänzungen der AfD durchgebracht. Der AfD-Antrag
„Verabschiedung einer Resolution: ‚Keine Windkraftanlagen im Sonneberger
Land‘“ wurde mit Änderungen der damaligen CDU/FDP-Fraktion beschlossen. Im
November 2022 hat der Kreistag einen AfD-Antrag zum Thema Energiepreise
verabschiedet, in dem der Landrat dazu angehalten wurde, die Landes- und
Bundesregierung aufzufordern, „Energiepreise für Bürgerinnen und Bürger
sowie Unternehmen auf ein verträgliches Maß zu reduzieren“. Welche
Abgeordneten mit Ja oder Nein gestimmt haben, wurde nicht dokumentiert.
Die AfD ist mit 9 Sitzen die drittgrößte Fraktion im Kreistag. Die CDU
sowie die Fraktion Linke/Grüne haben jeweils 10 Sitze, die Fraktion Pro LK
Son/FPD hat 7, die SPD 3. „Die meisten AfD-Abgeordneten zeigen offen ihre
Sympathie für Höcke“, sagt Philipp Müller, Linken-Abgeordneter und
stellvertretender Vorsitzende der Fraktion Linke/Grüne. Zu den Mitgliedern
der AfD-Fraktion zählt neben Sesselmann auch Holger Winterstein, der im
Oktober 2022 mit ausgebreiteten Armen auf einem Holocaust-Denkmal posierte
und sich dabei fotografieren ließ. „Danach hat sich die AfD-Fraktion nicht
von ihm distanziert.“
Der CDU-Kandidat und stellvertretende Landrat Jürgen Köpper sagt, die
Zusammenarbeit mit der AfD sei „bei Sachthemen ganz normal, sonst würden
wir keine Kreistagsbeschlüsse fassen können“. Zum größten Teil säßen ja
„vernünftige Menschen“ in der AfD-Fraktion, „darunter drei Rechtsanwält…
Köpper nehme die AfD-Abgeordneten genauso ernst wie jeden anderen
Abgeordneten im Kreistag. „Anders kriege ich auf kommunaler Ebene keine
Sachpolitik zustande.“
## Dem Antrag zu Energiepreisen wurde zugestimmt
Auf die Frage, ob man die AfD durch eine Zusammenarbeit nicht normalisieren
würde, sagt er: „Was soll ich Ihnen jetzt drauf antworten? Die AfD ist eine
Partei, die nicht verboten ist, sie ist legitim durch die Bevölkerung ins
Parlament gewählt worden. Wie soll ich eine Zusammenarbeit verhindern, wenn
es um Sachthemen geht?“ Anderswo, sagt Köpper, würde auf kommunaler Ebene
auch mit der AfD kooperiert.
Beate Meißner, Fraktionsvorsitzende der CDU im Kreistag, versichert
hingegen, dass es keine Zusammenarbeit ihrer Fraktion mit der der AfD gebe.
„Meiner Erinnerung nach hat die CDU-Fraktion im Kreistag keine Anträge
gemeinsam mit der AfD beschlossen“, sagt sie. Auf die Frage, ob
CDU-Fraktionsmitglieder denn schon mal für einen Antrag der AfD gestimmt
hätten, antwortete Meißner nicht.
„Wir arbeiten nicht mit der AfD zusammen“, sagt Philipp Müller von der
Linken. „Der einzige AfD-Antrag, dem wir als Fraktion je zugestimmt haben,
ist der zum Thema Energiepreise. An diesem Antrag war nichts auszusetzen,
er war sachlich und wurde fraktionsübergreifend angenommen.“
Holger Scheler, SPD-Kreistagsabgeordneter, teilt mit, er könne „nicht mit
Bestimmtheit verneinen“, dass schon mal eines der drei Fraktionsmitglieder
für einen AfD-Antrag gestimmt habe. „Ich denke, wir haben je nach Sachfrage
entschieden und überdies auch keinen Fraktionszwang.“ Scheler hält es für
falsch, die Zusammenarbeit mit der AfD im Kreistag kategorisch
auszuschließen.
Natürlich müsse man sich von menschenfeindlichen Positionen abgrenzen, das
verstehe sich von selbst, sagt er. Aber auf Kreisebene gehe es nicht um
Parteipolitik oder Ideologie, sondern hauptsächlich um Sacharbeit, etwa um
die Schließung einer Schule oder die Finanzierung des regionalen
Krankenhauses. „Bei den Kreistagswahlen 2019 haben 24 Prozent der
Wähler:innen für die AfD gestimmt. Man ist kein Demokrat, wenn man das
ignoriert.“
Die Fraktion Pro LK Son/FDP hat sich auf Anfrage der taz nicht
zurückgemeldet. Laut Kreistagsabgeordneten komme es aber häufiger vor, dass
die AfD für Anträge der Fraktionsgemeinschaft stimme.
## Landkreis ist ländlich und abgeschieden
Hat Robert Sesselmann eine Chance, die Landratswahl zu gewinnen?
Bei der Bundestagswahl 2021 wurde die AfD in Sonneberg mit 28 Prozent die
stärkste Kraft. Nur in 4 von 17 Landkreisen in Thüringen haben noch mehr
Wähler:innen für die Partei gestimmt. Auch bei der EU-Wahl 2019 hat die
AfD in Sonneberg gewonnen.
„Die AfD hat in Sonneberg ein großes Wähler:innenpotential“, sagt Axel
Salheiser vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ).
„Dort gibt es ein dezidiert rechtsextremes Publikum. In den letzten Jahren
sind deutschlandweit bekannte Neonazis wie Frank Rennicke oder Sebastian
Schmidtke in die Region gezogen. Der Landkreis ist sehr ländlich und
abgeschieden, die Neonazis können dort ungestört ihr Ding machen.“ Auch
Felix Steiner von Mobit, der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in
Thüringen, sagt: „In und um Sonneberg gibt es eine ganz klar rechtsextreme
Szene, die sich von Reichsbürgern hin zu Neonazis streckt und sehr aktiv im
Bereich Rechtsrock ist.“
Salheiser zufolge stehen die Chancen für Sesselmann nicht schlecht. „Die
AfD ist in Südthüringen relativ mobilisierungsstark.“ Doch am Ende,
vermutet der Soziologe, werde es zum „Alle-gegen-die-AfD-Effekt“ kommen –
also dazu, dass im zweiten Wahlgang alle demokratischen Parteien den
AfD-Konkurrenten unterstützen und so ein AfD-Sieg verhindert werde. „Wir
haben ja gesehen, was passierte, als die Südthüringer CDU Hans-Georg Maaßen
bei der Bundestagswahl 2021 als Direktkandidaten für den Wahlkreis 196
aufgestellt hat, zu dem auch Sonneberg gehört“, sagt Salheiser. „Die
demokratischen Parteien haben gegen ihn mobilisiert, und er hat das Mandat
nicht geholt.“
Auch der Linken-Abgeordnete Müller vermutet, dass spätestens in der
Stichwahl ein:e Kandidat:in der demokratischen Parteien gewinnen werde.
Es kommt dann zu einer Stichwahl zwischen den zwei stärksten
Kandidat:innen, wenn im ersten Wahlgang kein:e Kandidat:in mehr als 50
Prozent der Stimmen holt. Thomas Heine dagegen, stellvertretender
Kreisvorsitzender der Linken, hält „die Gefahr für real“, dass Sesselmann
im ersten Wahlgang gewinnen könnte.
Bei der Stichwahl im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree im Mai hat die
AfD nur ganz knapp verloren. Anders als Linke und Grüne hatten CDU und
Freie Wähler dort nicht explizit zur Wahl des SPD-Kandidaten aufgerufen –
wofür sie scharf kritisiert wurden. Wie wollen sich die demokratischen
Parteien in Sonneberg verhalten, falls es zu einer Stichwahl zwischen
Sesselmann und einer Kandidat:in kommen sollte, die nicht ihre eigene
ist?
Linke, Grüne und SPD versicherten der taz, dann „selbstverständlich“ die
AfD-Konkurrent:in zu unterstützen. Die Kreisvorsitzende der CDU Beate
Meißner hingegen wollte sich nicht klar äußern und antwortete nur: „Diese
Annahme ist rein spekulativ und stellt sich nicht.“
## Firmen und Tourismus würden Fern bleiben
Würde Sesselmann gewinnen, wäre das ein „sehr beunruhigendes und
erschreckendes Signal“, sagt Salheiser vom IDZ Jena. Der Kreisvorsitzende
der Linken, Michael Stammberger, fürchtet, dass dann weniger
Tourist:innen nach Sonneberg kommen könnten und sich keine Firmen mehr
ansiedeln würden: „Das wäre ein großer Nachteil für die weitere Entwicklu…
des Landkreises.“
Als Vorsitzender des Kreistags könnte ein AfD-Landrat zwar eine gewisse
Richtung vorgeben, am Ende entscheidet er aber nicht alleine, was im
Landkreis passieren soll, sondern muss umsetzen, was der Kreistag
beschließt. Das heißt: Je mehr Abgeordnete er auf seiner Seite hat, desto
größer sein Einfluss. Aktuell sieht es so aus, als würde sich die Zahl der
AfD-Abgeordneten im Sonneberger Kreistag künftig eher vergrößern als
verkleinern. Neben der Landtagswahl finden nächstes Jahr auch
Kommunalwahlen in Thüringen statt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die
AfD dann Sitze dazugewinnt.
Die Sonneberger:innen, die man auf der Straße treffen kann für eine
spontane Blitzumfrage, sind, und das immerhin macht Hoffnung, entschlossene
Demokrat:innen: „Ich wähle Herrn Köpper, er hat seinen Job gut gemacht die
letzten beiden Jahre“, sagt eine 83-jährige Sonnebergerin, die an einer
Bushaltestelle in der Sonneberger Innenstadt wartet.
„Die AfD schimpft nur.“ Eine 33 Jahre alte Mutter: „Ich weiß noch nicht,
wen ich wähle, aber definitiv nicht die AfD.“ „Die AfD wäre das Letzte, w…
ich wählen würde“, versichert eine Rentnerin. Ihre zwei Freundinnen stimmen
ihr bei. „Die reden einem nur nach dem Mund, bieten aber keine Lösungen
an.“ Ein Rentner mit kurzer beiger Hose und Sandalen sagt: „Falls Robert
Sesselmann Landrat werden sollte, gehen wir so lange auf die Straße, bis er
freiwillig wieder zurücktritt.“
10 Jun 2023
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## AUTOREN
Rieke Wiemann
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