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# taz.de -- Saisonabschluss am Mount Everest: Unendliche Rekorde
> 17 Menschen starben am höchsten Berg der Welt, die Zahl der
> Gipfeltouristen wächst, und der Klimawandel sorgt für weitere
> Katastrophen.
Bild: Kleinstadt auf über 5.000 Meter Höhe: das Everest Basecamp
Sogar der Berg wächst. Während immer noch oft zu lesen ist, der [1][Mount
Everest] sei mit 8.848 Metern der höchste Berg der Welt, hat er sich weiter
hochgearbeitet: Ein geringfügiges [2][Wachstum] von wenigen Millimetern pro
Jahr haben Geologen berechnet. 8.848,86 Meter ist er nun genau hoch,
aufgerundet 8.849 Meter. So hatten es Nepal und China 2020 verkündet.
Wieder eine Bestmarke. Neben den vielen anderen [3][Rekorden], die
alljährlich vermeldet werden. Zu diesen anderen gehört die traurige Zahl,
dass nach vorläufiger Bilanz in der gerade zu Ende gegangenen
Besteigungssaison 17 Menschen als tot gelten: Zwölf Bergsteiger sind
definitiv umgekommen, fünf weitere werden schon so lange vermisst, dass sie
vermutlich tot sind. Das gab die Himalayan Database bekannt. Der Rekord von
2014 mit 17 [4][Toten] wurde heuer zumindest eingestellt.
Es sind die traurigen Rekorde, die sich am Mount Everest häufen. Als einer
der Gründe wird der Klimawandel benannt. Yuba Raj Khatiwada von der
nepalesischen Tourismusbehörde sagt: „Die Hauptursache ist der
Wetterumschwung. In dieser Saison waren die Wetterbedingungen nicht
günstig, sie waren sehr wechselhaft. Der Klimawandel hat einen großen
Einfluss auf die Berge.“
Der Himalaja gehört zu den Gegenden der Erde, an denen sich die Folgen der
[5][Erderwärmung] schneller und deutlicher zeigen. Am Everest selbst ist
die Dicke des Gipfelgletschers, der in 7.900 Meter Höhe liegt, in den
vergangenen drei Jahrzehnten um 55 Meter zurückgegangen, wie amerikanische
Wissenschaftler herausfanden. Wenn die Entwicklung nicht gestoppt wird, ist
der Gletscher in wenigen Jahrzehnten verschwunden. Was das bedeuten kann,
war im Januar 2021 zu registrieren: Im indischen Teil des Himalaja brach
von einem Gletscher ein riesiger Eisblock ab, löste eine Sturzflut aus und
tötete 34 Arbeiter eines Wasserkraftwerks, das unterhalb des Gletschers
stand. Felswände können dem Druck der plötzlich herunterschießenden
Wassermassen nicht standhalten.
Noch einen Grund nennen Experten in Nepal, warum die Zahl der Toten am
Everest so hoch ist wie nie zuvor: der kein bisschen nachlassende Run auf
den Berg. 478 ausländische Bergsteiger erhielten für diese Saison eine
Regierungsgenehmigung, um den Everest zu besteigen, mehr Touristen als
üblich. „Zu viele“, sagt Ang Norbu Sherpa, der Präsident der Nepal Nation…
Mountain Guide Association. „Früher waren es erfahrene Bergsteiger, jetzt
sind es viele Anfänger, die den Gipfel des Everest besteigen wollen.“
Umgerechnet 10.000 Euro verlangt die Regierung für ein Permit, und Nepal
gilt als eines der ärmsten Länder der Erde. Die Kritik an den Folgen einer
immer noch entstehenden „Bergindustrie“ gibt es schon seit vielen Jahren.
1996 kam es am Everest zu einer Katastrophe, die der Journalist Jon
Krakauer in seinem Bestseller „In eisige Höhen“ dokumentierte. Acht
Menschen starben damals, und als Grund lässt sich der Druck von
Tourismusfirmen festhalten, die immer mehr Kunden versprechen, sie
hochzuführen.
## Immer schwieriger werdende Rettungsaktionen
Das sorgt für [6][Staus] an schwierigen Stellen, mit der Folge, dass
wartende Bergsteiger Erfrierungen erleiden. Ihnen wird zudem das knappe
Zeitfenster, in dem das Wetter einen Aufstieg erlaubt, noch knapper. Es
wächst also nicht nur die Zahl derer, die sich am Berg versuchen – womit ja
auch die absolute Zahl derer, deren Versuch in einem Rettungseinsatz
mündet, zunimmt. Es verschlechtern sich auch die Möglichkeiten, eine
Rettung zu organisieren, weil entscheidende Zugänge unmöglich sind.
Hubschrauber können etwa in 8.000 Meter Höhe nicht mehr fliegen, in der
dünnen Luft greifen die Rotorblätter nicht mehr. Und die Bergführer sind in
der „Todeszone“ meist mit ihren Kunden und mit sich beschäftigt.
Vor wenigen Tagen wurde dieser Fall bekannt: Ein nepalesischer Bergführer,
der einen chinesischen Gast auf den Gipfel führen sollte, sah auf der Höhe
des Balkons, ein Absatz auf 8.400 Meter Höhe, einen Mann aus Malaysia, der
sich in Todesangst und kurz vor der Erfrierung an ein Seil klammerte. Der
Bergführer überredete seinen Kunden, umzukehren und zog den Malaysier sechs
Stunden lang hinunter bis zum Camp III, wo er von einem Hubschrauber an
eine Leine genommen werden konnte. „Es ist fast unmöglich, Bergsteiger in
dieser Höhe zu retten“, wie ein Sprecher des Tourismusministeriums sagte.
„Es ist eine sehr seltene Operation.“
Und eine immer seltener werdende Aktion. Schon dass die Rettung eines
Menschenlebens abhängig davon gemacht wird, dass jemand anderes bereit ist,
sein ehrgeiziges Ziel, einen Berg zu besteigen, zurückstellt, ist
offensichtlich mehr als problematisch. Wie wichtig in den vergangenen
Jahrzehnten der individuelle Drang geworden ist, einmal on the top of world
zu stehen, sich und allen anderen gezeigt zu haben, dass man ganz oben ist,
davon zeugen die vielen Rekorde, die vermeldet werden.
Der Nepalese Hari Budha Magar, dem nach einer Explosion beide Beine fehlen
und der mittlerweile im britischen Canterbury lebt, bestieg vor wenigen
Wochen den Everest mit seinen zwei Prothesen. Kein Weltrekord, aber eine
persönliche Bestleistung, die nur möglich wurde, weil er erfolgreich gegen
das 2018 verhängte Verbot geklagt hatte, wonach Prothesenträger und Blinde
nicht auf den Everest dürfen.
## Traurige Rekorde
Tragisch ist die Geschichte der 59-jährigen Suzanne Leopoldina Jesus. Sie
wollte gleich zwei Rekorde brechen: die bislang älteste Inderin auf dem
Everest und die erste Asiatin, die diesen Berg mit einem Herzschrittmacher
besteigt. Sie kam nur bis ins Everest Basecamp, wurde von dort in den
kleinen Ort Lukla gebracht. In dessen Krankenhaus starb sie.
Der Nepalese Kami Rita Sherpa hat in der vergangenen Woche zum 28. Mal den
Mount Everest bestiegen. Wenige Tage zuvor hatte er zum 27. Mal auf dem
höchsten Berg der Welt gestanden. Zwei Weltrekorde binnen einer Woche. Und
zugleich hat der Bergführer damit sein ökonomisches Standing gegenüber den
anderen Kollegen im Himalaja deutlich verbessert.
Die norwegische Bergsteigerin Kristin Harila hat binnen eines Monats sechs
Achttausender bestiegen, gemeinsam mit zwei Sherpa-Bergführern. Vor zehn
Tagen, am 23. Mai, standen sie auf dem Lhotse (8.516 Meter) und dem Mount
Everest. Gerade einmal acht Stunden lagen zwischen diesen Gipfeln. Am 18.
Mai erreichten sie den Kangchendzönga (8.586 Meter), an dem in der
vergangenen Woche der deutsche Ex-trembergsteiger Luis Stitzinger ums Leben
kam. Fünf Tage zuvor stand Harila auf dem Gipfel des Makalu (8.485 Meter),
zehn weitere Tage zuvor auf dem Cho Oyu (8.188 Meter) und noch eine Woche
vorher auf dem Shishapangma (8.027 Meter). Harilas Rekordprojekt, alle 14
Achttausender binnen eines halben Jahres zu besteigen – damit war sie
vergangenes Jahr noch gescheitert, weil sie von der chinesischen Regierung
nicht alle Genehmigungen erhielt -, hat erfolgreich begonnen.
Für ihr von Sponsoren gut durchfinanziertes Projekt lassen sich Harila und
ihr Team mit einem Helikopter zu den jeweiligen Basislagern fliegen.
Zugleich erklärt sie, die Bekämpfung des Klimawandels sei ihr ein wichtiges
Anliegen. Auf Kritik reagierte sie in einem Interview: „Ich denke, wir alle
sollten versuchen, unseren Verbrauch zu reduzieren. Aber es sollte im
Rahmen sein. Solange man sich ansonsten bemüht, sollte man auch noch leben
dürfen.“
Das Wachstum geht weiter: Everest-Tourismus, alpinistische Rekorde, die
Erdtemperatur, und sogar der Everest selbst. Aber die Höhe eines Berges
wird vom Meeresspiegel aus berechnet. Wenn der steigt, schrumpft auch der
Everest. Vielleicht wird sogar das als Erfolg verkauft.
3 Jun 2023
## LINKS
[1] /Mount-Everest-Besteiger-Tenzing-Norgay/!5933532
[2] /Folge-der-Erdbeben-in-Nepal/!5204284
[3] /13-Jaehrige-erklimmt-Mount-Everest/!5041453
[4] /Coronakrise-im-Himalaya/!5674153
[5] /Folgen-des-Klimawandels/!5411937
[6] /Bergsteiger-am-Mount-Everest/!5597868
## AUTOREN
Martin Krauss
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