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# taz.de -- Coronakrise im Himalaya: Bergung der Kältetoten
> Aufstiege zum Mount Everest ruhen derzeit. Bergführer fordern, die Pause
> zu nutzen. Doch China plant schon neue Expeditionen.
Bild: Bild aus besseren Tagen: Bergsteiger-Karavane unterhalb von Lager vier
Von Nepal aus finden derzeit keine Versuche statt, den Mount Everest zu
besteigen. Wegen der Coronakrise hat die Regierung alle Berg- und
Trekkingtouren im Himalaya untersagt, und auch China hat, zumindest für
Ausländer, Aufstiege ausgesetzt. Nun fordert der unabhängige
Bergführerverband [1][Nepal Mountaineering Association], die erzwungene
Auszeit zu nutzen, um Müll vom Everest hinunterzutragen – und auch, um Tote
zu bergen.
Hauptleidtragende der ausgefallenen Saison sind die Sherpa in der
Khumbu-Region um den Everest. Allein die Zahl der Träger, Berg- und
Wanderführer beträgt etwa 10.000. „Der Frühling ist für uns die
Hauptsaison, in der wir unser Geld verdienen, mit dem wir dann den Rest des
Jahres überleben können“, sagte der freiberufliche Bergführer Passant
Rinzee Sherpa dem Onlinedienst Rock and Ice.
Daher wollen die Bergführer nun die Auszeit sinnvoll nutzen. „Dies ist der
goldene Moment für die Regierung“, sagte [2][Kami Rita Sherpa] der
Tageszeitung Kathmandu Post. Rita Sherpa ist in Nepal eine
Bergsteigerlegende: 24 Mal war er auf dem Everest, damit ist er
Weltrekordhalter, er sagt:. „Bei der Everest-Aufräumaktion könnten
mindestens 25 Prozent der Bergführer und Träger, die sonst ohne Aufträge
dastehen, beschäftigt werden.“
## 300 Tote insgesamt
Das Problem, das Rita Sherpa und der Bergführerverband in dieser Krisenzeit
lösen möchten, drängt schon seit Jahren. Everest-Besteiger berichten immer
wieder von auf dem Weg liegenden Leichen, die sie passieren müssen. Wer in
der sauerstoffarmen Todeszone über 7.500 Meter Höhe umkommt, wird so gut
wie nie geborgen. Etwa 300 Bergsteiger sind schon am Everest zu Tode
gekommen.
Gerade der Boom der vergangenen Jahrzehnte hat das Risiko steigen lassen.
Agenturen bieten geführte Touren mit „Gipfelgarantie“ an, auch für weniger
erfahrene Bergsteiger. Im vergangenen Jahr kamen auf der nepalesischen
Seite neun, auf der chinesischen Seite zwei Bergsteiger um – so viel wie in
den vergangenen vier Jahren nicht.
Ein weiteres großes Problem ist der auf dem Berg zurückgelassene Müll.
Gerade leere Sauerstoffflaschen, aber auch Zelte, Seile, Essens- und
Getränkedosen lassen westliche Bergsteiger oft oben. Zwar hat die
nepalesische Regierung für die Sauerstoffflaschen ein teures Pfandsystem
eingeführt, aber zu einer vollständigen Rückgabe führte das nicht.
## Touristisches Desaster
Der Bergführerverband hat ausgerechnet, dass eine konzertierte Bergungs-
und Aufräumaktion drei Monate dauern und die Regierung umgerechnet etwa
acht Millionen Euro kosten würde. „Wir können nicht sagen, wie viele
Leichen geborgen werden können“, sagt Rita Sherpa, „aber für die
Spezialisten in diesen hohen Höhen gäbe es dann keinen Druck, auf ein
günstiges Wetterfenster zu warten.“
Will sagen: Totenbergungen finden sonst nur selten und nur nach der Saison
statt, denn solche Aufstiege zu Zeiten, wenn es das Wetter am besten
erlaubt, kollidieren mit zu vielen Bergtouristen, die unterwegs sind,
geführt von den wenigen nepalesischen Spezialisten. Nun aber ruht der
Everest-Tourismus zum günstigsten Aufstiegszeitpunkt im Jahr. „So eine
Möglichkeit wird es in Zukunft kaum noch geben“, sagt Rita Sherpa. Zu
finanzieren sei die Aufräumaktion, wenn die Regierung das Geld für ihre
derzeit auf Eis gelegte teure Tourismuskampagne „Visit Nepal 2020“ umwidme.
Schon 2015 war für Nepal ein Katastrophenjahr, bei einem ein verheerenden
Erdbeben kamen 9.000 Menschen um. Auch am Everest selbst hatte eine durch
das Beben ausgelöste Lawine mindestens 18 Bergsteiger getötet. Der
Tourismus war völlig zum Erliegen gekommen. Seither hatte die Regierung in
Kathmandu daran gearbeitet, den Ruf Nepals als Bergsteiger- und Trekkerland
wiederherzustellen. 2019 kamen 1,2 Millionen Touristen, für dieses Jahr
wollte man dank „Visit Nepal 2020“ zwei Millionen Touristen begrüßen, es
wären Einnahmen von umgerechnet 600 Millionen Euro gewesen.
## Wegfall der Einnahmequelle
Für Nepal, das zu den ärmsten Ländern der Erde zählt, ist der Ausfall der
Alpintouristen ein enormes Problem. Allein durch den Verkauf der „Permits“
für den Everest-Aufstieg – eine Erlaubnis kostet 11.000 Dollar – erhält d…
Regierung jährliche Einnahmen von vier Millionen Dollar. Dabei ist das nur
ein kleiner Batzen. In einigen Dörfern und Städten ist der Bergtourismus
die einzige Einnahmequelle. 28 Millionen Einwohner hat Nepal, eine Million
davon ist unmittelbar im Tourismus beschäftigt, indirekt hängen wesentlich
mehr an ihm.
Santa Bir Lama, Präsident der Nepal Mountaineering Association, berichtet,
dass er mit dem Vizepremierminister Ishwar Pokhrel über die Forderung
seines Verbandes spricht. Wenn man die Chance jetzt ergreife, könnte man
die alpinistischen Bedingungen am höchsten Berg der Erde für die nächsten
Jahre verbessern, so Bir Lama. „Der Everest kann immer noch Arbeitsplätze
schaffen.“
Derweil berichtete die nepalesische Tageszeitung Himalayan Times, dass die
Ruhe am Mount Everest bald doch unterbrochen wird. Eine 26-köpfige
Expedition aus China, 20 Männer und sechs Frauen, will über die Nordseite
auf den Gipfel. In der ersten Aprilwoche geht es in der tibetischen
Hauptstadt Lhasa los, im Mai will die Gruppe oben stehen.
Die Zeitung berichtet auch, dass sich einheimische Bergführer nicht mehr
einer 14-tägigen Quarantäne unterziehen müssten. Mit der Forderung, für die
die nepalesischen Bergführer streiten, die Krise als Chance zu nutzen,
verträgt sich das kaum.
27 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.nepalmountaineering.org/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kami_Rita_Sherpa
## AUTOREN
Martin Krauss
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