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# taz.de -- Massentourismus auf dem Mount Everest: Einmal Gipfel mit alles, bit…
> Jedes Jahr im Mai zieht es hunderte Amateure auf den Mount Everest.
> Anbieter versprechen für teures Geld Erfolg für jedermann.
Bild: Der Mount Everest von Nepal aus gesehen
Es passierte am „Weißen Berg“, dem Dhaulagiri. 8.167 Meter hoch. Frank
Meutzner konnte das Ziel schon sehen. Er war nur noch 30 Höhenmeter davon
entfernt, wähnte sich schon oben auf dem siebthöchsten Gipfel der Welt.
Aber dann kam ihm ein Amateur entgegen. Sichtlich angeschlagen taumelte der
beim Abstieg auf den erfahrenen Bergsteiger aus Dresden zu. Ohne Eispickel,
ohne Klettergurt, dafür mit zwei Skistöcken bewehrt, versuchte der Novize,
aus der Todeszone zu entkommen. Meutzner wich aus, doch da war es schon zu
spät. Er wurde von dem Mann erfasst und 400 Meter in die Tiefe gerissen.
Sie kullerten ein Eisfeld hinab, überschlugen sich mehrfach, hatten aber
Glück.
Meutzner war nicht groß verletzt, konnte den Aufstieg auf den Achttausender
aber abschreiben. Der schwer höhenkranke Bergtourist sollte später all
seine erfrorenen Finger und Zehen verlieren.
„Das war ein klassisches Beispiel für Amateurhaftigkeit“, sagt Meutzner
rückblickend. „Wir haben dort auch Schweden erlebt, die zum Gipfel wollten
und nicht mal Abseilen konnten.“ Oder Leute, die ihr Zelt nicht ohne die
Hilfe der einheimischen Sherpas aufbauen konnten. „Die wollten erst im
Himalaja das Bergsteigen lernen.“ Da war für Meutzner klar: „Schluss, aus,
auf einen 8000er, wo Leute sind, die dort nichts zu suchen haben, steige
ich nicht mehr.“
Man muss dazu sagen, dass Meutzner ein Purist ist. Er vertritt die reine
Lehre des Höhenbergsteigens. In diesen Kreisen ist es verpönt, zusätzlichen
Sauerstoff aus Flaschen zu benutzen und sich von Trägern das schwere Gepäck
nach oben hieven zu lassen. Meutzner ist schon klar, dass er ohne diese
strenge Auslegung der Regeln mehr als nur einen Achttausender bestiegen
hätte. Die Gemeinde der Puristen hat bekannte Fürsprecher, Reinhold Messner
etwa oder Hans Kammerlander, der einmal gesagt hat, auf den Mount Everest
mit Sauerstoff zu gehen, das sei so, als fahre man die Tour de France mit
dem Motorrad.
## Überfülltes Basislager
Die Puristen geraten aber immer mehr ins Abseits, weil die großen Berge
fest in der Hand von kommerziellen Anbietern sind. Sie versprechen den
Gipfelerfolg für den zahlungskräftigen Mittelständler aus Virginia oder die
leitende Angestellte aus Sydney. Zwischen 30.000 und 95.000 Dollar kostet
so eine Tour auf den 8.848 hohen Tschomolungma, wie er auf Tibetisch heißt,
auf die „Mutter des Universums“. Jedes Jahr im Mai zieht es Hundertschaften
an den Schoß des Berges, denn nur in diesem Monat öffnet sich kurz ein
Zeitfenster, das den Gipfelsturm der Everest-Aspiranten möglich macht, oder
besser: nicht so gefährlich. Der Wettergott ist dann gnädiger als im Rest
des Jahres.
In dieser Saison wollten gut 370 Leute auf den höchsten Gipfel der Welt.
Sie hatten sich in Nepal und China sogenannte Permits besorgt, also
Lizenzen für den Aufstieg. Die Erlaubnis kostet etwa 11.000 Dollar, was
heuer aber trotzdem zu einer Überbevölkerung im 5.330 Meter hoch gelegenen
Basislager geführt hat. Auf der chinesischen Nordseite, in Tibet, sah es
nicht anders aus, denn zwei Ereignisse in den vergangenen Jahren haben zu
einem gewissen Stau am Berg geführt. 2014 kamen 16 Sherpas bei einem
Lawinenabgang im berüchtigten Khumbu-Eisbruch ums Leben; danach streikten
die Träger für bessere Bezahlung und besseren Versicherungsschutz.
Die Saison fiel auch im Folgejahr, 2015, aus, weil ein schweres Beben die
nepalesische Erde erschüttert hatte. Im Everest-Basislager kamen dabei 18
Menschen nach einem Lawinenabgang ums Leben. Im Folgejahr, 2016, hielt sich
Nepal mit der Vergabe der Permits sichtlich zurück, doch nun geht die
Berghausse mit neuem Schwung und saftigen Renditen für die Veranstalter
weiter. Das Bergbusiness brummt wieder, mitsamt den üblichen
Kollateralschäden. Bisherige Bilanz dieses Jahres: zehn Tote; jüngst wurden
vier Leichen in einem Zelt auf der Südflanke entdeckt. Sie könnten, wird
vermutet, dort schon seit einem Jahr in eisiger Kälte liegen.
Mit einem gewissen Zynismus könnte man sagen: Es war ein normales Jahr am
Everest, der bisher knapp 300 Bergsteiger verschlungen hat. Die meisten
waren Nepalesen, weit über 100. Die Sherpas, die in einer Saison
bestenfalls 3.500 Euro verdienen, sind die Tagelöhner, das Prekariat, das
den Berg mit Seilen und Leitern herrichtet für die Gutbetuchten aus dem
Westen. Frank Meutzner findet dafür markige Worte: „Wenn der Everest nicht
eingestrickt ist, dann ist das ein sehr anspruchsvolles Ziel. So ist er
aber zum Latschberg mit einer gewissen Höhe degradiert worden. Wenn ich
dann noch Sauerstoff nehme, dann besteige ich eigentlich nur einen 7000er
mit einem Seil, an dem ich mich immer festmachen kann.“
## Zweifelhafte Erfolge
Er schaut mit Abscheu auf das geschäftige Treiben, deswegen meidet er ihn
seit vielen Jahren. Im Jahr 2001 war er das letzte Mal dort, und damals
waren schon 300 bis 400 Leute im Basislager. Meutzner war Teil einer Gruppe
von Individualreisenden, „wir waren eine absolute Ausnahmeexpedition, rein
privat.“ Das hat damals insgesamt 250.000 Mark für mehrere Leute gekostet,
„ein Schnäppchen“, wie Meutzner, 52, heute findet. Er hat es nicht auf den
Gipfel geschafft, weil in Camp 4, auf knapp 8.000 Meter Höhe, ein Gewitter
aufzog und er nicht noch eine Nacht in dieser Höhe ohne Sauerstoff
verbringen konnte.
Meutzner hat nach dieser Enttäuschung noch einmal Pläne geschmiedet für den
Everest. Er wollte ihn mit Freunden von Nord nach Süd überschreiten, aber
das wäre zu teuer geworden, „da hätten wir schon mehrmals im Jahr im Lotto
gewinnen müssen.“ Außerdem war ihm das Gewusel und Geflirre am Mount
Everest zu viel. „Das ist mittlerweile ein Massenauflauf. Dort zieht mich
beim besten Willen nichts mehr hin. Es wird auch viel gelogen und
geschoben, viel Mist erzählt.“
Leute prahlen mit Erfolgen, die oft zweifelhaft sind, dennoch legt er Wert
darauf zu betonen, dass im Himalaja von den Größen der Szene wie etwa
Simone Moro oder Tamara Lunger immer noch „großartiges Bergsteigen“ gezeigt
werde. Meutzner zieht es aber jetzt in einsame, unerschlossene Gegenden,
mit Gleichgesinnten, die Bergsteigen als Lebenseinstellung begreifen – und
nicht als Egotrip: „Ich wollte nie Gewinner sein oder der Schnellste.“
Nicht so ein Typ wie Ueli Steck, der vor wenigen Woche am Nuptse unweit
des Mount Everest verunglückt ist. Steck war ein Alleingänger, ein
Rekordjäger, ein Getriebener. Er hat mit seinem Leben gespielt – und
verloren.
## Chance für Jedermann
Mit größtmöglicher Sicherheit am Berg wirbt indes Lukas Furtenbach aus
Österreich. Er plant mit seiner Firma Furtenbach Adventures Bergabenteuer
für Gutbetuchte. Neuester Schmäh: die „Everest Flash Expedition“.
Furtenbach verspricht den Aufstieg zum Mount Everest in rekordverdächtig
kurzer Zeit, in nur vier Wochen. Der Spaß kostet 95.000 Dollar und soll im
kommenden Jahr steigen. Die Teilnehmer bereiten sich schon zu Hause in
Hypoxiezelten auf die Höhe vor, simulieren Bedingen von bis zu 7.200
Metern. So müsse man sich nicht mehr vor Ort akklimatisieren, verspricht
das Unternehmen. Außerdem baden die Teilnehmer am Berg förmlich in
Sauerstoff. Sie atmen acht Liter Sauerstoff in der Minute, etwa doppelt so
viel wie üblich. 16 Flaschen bekommt jeder Tourist gestellt.
Furtenbach spricht – was in der Szene für gehörigen Wirbel gesorgt hat –
davon, dass sich seine Methode „in nur wenigen Jahren zum neuen
Industriestandard entwickeln wird“. Industriestandard – dieser Begriff
erzürnt nicht nur Meutzner. Furtenbach jedoch ist davon überzeugt, dass das
kommerzielle Höhenbergsteigen auf dem Stand der 70er Jahre stehen geblieben
sei: „Das ändern wir und stellen eine moderne Besteigungsvariante zur
Verfügung.“ Jeder Mensch, der den Everest erklimmen möchte, solle auch die
Gelegenheit haben, sich diesen Traum zu erfüllen, findet Furtenbach. Und an
die Adresse von Messner gerichtet, sagt er im Magazin Bergwelten: „Ich tue
mich schwer mit dem Gedanken, dass irgendjemand in Südtirol sitzt und die
Besteigung eines ihm wildfremden Menschen öffentlich schlechtredet und als
Betrug bezeichnet.“
Frank Meutzner hat den Everest „zum Glück“ hinter sich gelassen. Er war
zuletzt auf einer Trekkingtour im Gebiet des Manaslu unterwegs und hat
einen 6000er erkundet. Den Namen des Bergs will er nicht nennen. Könnte die
Falschen anlocken.
28 May 2017
## AUTOREN
Markus Völker
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