# taz.de -- Zum Tod des Bergsteigers Ueli Steck: Das Leben, ein Risiko | |
> Der Bergsteiger Ueli Steck verschob die Grenzen menschlicher | |
> Leistungsfähigkeit. Ende April ist er im Himalaja tödlich abgestürzt. | |
Bild: Sie nannten ihn „The Swiss Machine“: Ueli Steck (1976-2017) | |
Wenn er über die Gefahren seines Berufs sprach, der nicht nur sein Beruf | |
war, sondern sein Leben, dann klang das ziemlich nüchtern. | |
Sobald wir in die Berge gehen, haben wir ein Restrisiko. Wenn du nicht | |
akzeptieren willst, dass du mal einen Unfall haben kannst, dann darfst du | |
nicht in die Berge gehen. Aber das ist doch überall so. Wenn du nicht | |
akzeptieren kannst, dass du jemals einen Autounfall hast, dann darfst du | |
nicht ins Auto steigen. Nur dann hast du das Risiko auf null minimiert. | |
Aber wenn unser Leben zu sicher wird, dann ist es auch nicht mehr | |
interessant. | |
Das Risiko, so hat es Ueli Steck gesehen, ist immer sehr subjektiv, es | |
hängt sehr stark von dem eigenen Können und ab und den eigenen | |
Entscheidungen. Und dann ist da dieser kleine Rest. | |
Restrisiko. Ein hässliches Wort. | |
Aber er hat wohl gar nicht so oft an das Risiko gedacht, wenn er nicht | |
gerade darauf angesprochen wurde. Er hatte, so hat er es zumindest | |
beteuert, keinerlei Angst mehr, sobald er in die Wand eingestiegen ist. | |
Sobald er geklettert ist. Sobald er frei war. | |
Das erste Mal mit zwölf, mit einem Freund seines Vaters. In der | |
Schrattenfluh im Schweizer Emmental, wo er aufwuchs, ein Zacken, 20 Meter | |
hoch, 4. Grad, nur zwei Haken. Keine Situation aus dem | |
Alpenvereinslehrbuch. Er schaffte es und war angefixt. Schon als Teenager | |
kletterte er im 9. Schwierigkeitsgrad, viel schwieriger ging damals nicht. | |
Mit 18 Jahren bezwang er zum ersten Mal die Eigernordwand. | |
## Sein Spitzname: „Schweizer Maschine“ | |
Einen ordentlichen Beruf hat er auch gelernt, Zimmermann, und auch darin | |
gearbeitet, bevor er Profibergsteiger wurde. Sein Spitzname: „Schweizer | |
Maschine“. Er spezialisierte sich auf schnelle Touren in den Alpen und im | |
Himalaja, viele ging er „free solo“, ohne Seilsicherung. | |
Am Fels tastete er sich vor, wie ein Seefahrer in unbekannte Gewässer. Er | |
kletterte eine Seillänge ohne Seil, dann eine zweite, dann immer weiter. | |
Dass es 500 Meter runtergeht, das ist völlig egal. Denn du fällst nicht | |
runter, in deinem Kopf gibt es die Option gar nicht. Ich habe da ja einen | |
Griff, den lasse ich jetzt nicht los. Ich stehe auf einem Tritt, ich stürze | |
nicht ab. Ob ein Griff gut oder schlecht ist, das checke ich sehr viel | |
besser, wenn ich ohne Seil klettere. | |
Bei den schwierigen Mixed-Touren in Fels und Eis ging es ihm auch um | |
Schnelligkeit. Weil Schnelligkeit Sicherheit ist, wenn das Wetter jederzeit | |
umschlagen kann. Und weil er schlicht zeigen wollte, dass es immer | |
schneller geht. Immer besser. | |
Die Eigernordwand ist er irgendwann einfach hoch gerannt. Rekord: Zwei | |
Stunden, 22 Minuten, 50 Sekunden. Wenn man sich Videos davon anschaut, | |
denkt man, dass die Eisgeräte in seinen Händen zu einem Teil seines Körpers | |
geworden sind. | |
## Ein Außenseiter in der Bergsteinerszene | |
Er war einer der besten Alpinisten der Welt, vielleicht sogar der beste. So | |
genau lässt sich das nicht sagen, weil Bergsteigen kein Sport ist, den man | |
einfach so mit der Stoppuhr messen kann. Er hat sich selbst als Außenseiter | |
der Bergsteigerszene gesehen, und außerhalb der Szene war er nicht so | |
berühmt wie andere. Auch wenn er wie kaum einer sonst die Grenzen dessen | |
ausgetestet hat, wozu ein Mensch in der Lage ist. | |
Er selbst hat das auch darauf geschoben, dass er sich eben nicht so gut | |
vermarkte. Weil es ihm nicht auf tolle Bilder ankomme, sondern nur auf die | |
Leistung. Ein Leistungssportler sei er, kein Abenteurer, das betonte er | |
gern. | |
Wenn Sie irgendwo am Limit sind, hat keiner mehr die Zeit und Energie, noch | |
zu fotografieren. Umso mehr Bilder es von einer Erstbegehung gibt, desto | |
einfacher ist die Tour. Das ist kein Problem. Man muss sich nur | |
entscheiden, was man will. Ich habe sehr viele schwierige Touren gemacht, | |
von denen niemand weiß. | |
Er sparte nicht mit Seitenhieben auf Kollegen, die tolle Berggeschichten | |
erzählen, die mit Red Bull zusammenarbeiten, damit am Ende ein | |
bildgewaltiger Film dabei herauskommt. Aber auch er lebte von | |
Sponsorengeldern und Vorträgen, die ihn auch in die USA führten oder nach | |
Japan. Er war ein guter Redner; was er über Leistung, Erfolg und Scheitern | |
erzählte, kam gerade auch bei einem eher bergfernen Publikum gut an. | |
## Jedes Gramm zählte | |
Er verstand sich als „athletischen Alpinisten“, hörte auf die Erkenntnisse | |
der Sportwissenschaft, trainierte Ausdauer systematisch in der Höhe und | |
schraubte an der Ausrüstung. Jedes Gramm weniger zählte, um die Leistung zu | |
steigern. | |
Das Bergsteigen ist immer noch auf sehr bescheidenem Niveau, rein sportlich | |
gesehen. Die meisten, die etwa im Himalaja unterwegs sind, machen dasselbe | |
wie vor 30 Jahren. Wie viele wirklich schwierige Erstbegehungen gibt es im | |
Himalaja, bei den 8.000ern? | |
Er versuchte sie. Die meiste Aufmerksamkeit bekam er, wenn oben in der | |
Todeszone Emotionen ins Spiel kamen. 2013 gerieten er und seine zwei | |
Begleiter am Mount Everest auf rund 7.000 Metern Höhe mit einem Sherpa | |
aneinander, der gerade Fixseile präparierte. Der Streit eskalierte, rund | |
100 Sherpas jagten die drei, es gab Schläge und einen Stein ins Gesicht. | |
Es ging um Geld, Konkurrenzdenken und verletzte Eitelkeiten. Mittendrin ein | |
Bergsteiger, der einfach nur auf einer möglichst schwierigen Route auf den | |
Gipfel möchte. Und der sich plötzlich mit Vorwürfen herumschlagen musste, | |
er habe die Sherpas provoziert. Mit kommerziellen Touren für | |
Hobbybergsteiger konnte er nichts anfangen, aber er sagte immer: Jeder, wie | |
er mag. | |
Die meisten extremen Erfahrungen – im Schlechten wie im Guten – machte er | |
am Annapurna. Bei seiner ersten Expedition rutschte er mehrere hunderte | |
Meter ab. Seinen zweiten Versuch brach er ab, um einen Kollegen zu retten, | |
der am Ende doch nicht überlebte. Und beim dritten Mal bezwang er die | |
Südwand des 8.091 Meter hohen Himalaja-Gipfels im Alleingang. Dafür bekam | |
er seinen zweiten Piolet d’Or, den Oscar für Alpinisten. Doch dann kamen | |
Zweifel auf, ob er wirklich auf dem Gipfel war. | |
Wenn man in einer Höhe ist, wo nur noch 30 Prozent so viel Sauerstoff ins | |
Blut kommt wie auf Meereshöhe, denkt man über andere Sachen nach. Noch nie | |
hat jemand ein GPS mitlaufen lassen, und dann hieß es plötzlich, das sei | |
ganz normal. Das hat mich alles schon sehr getroffen. Ich denke, da ist | |
sehr viel Neid dabei. Die Leute denken, das etwas nicht möglich ist, nur | |
weil sie es sich nicht vorstellen können. | |
Er wusste, dass er nicht ewig auf diesem jenseitigen Niveau wird | |
bergsteigen können, ein paar Jahre vielleicht noch. Er trainierte und | |
kletterte und sah seine Frau oft für längere Zeit nicht. Auch in Europa | |
suchte er neue Herausforderungen: 2015 erklomm er alle 4.000er der Alpen | |
und legte die Wege dazwischen zu Fuß, mit dem Fahrrad und dem Gleitschirm | |
zurück. 82 Gipfel und 117.000 Höhenmeter in 62 Tagen. Wenn er davon | |
erzählte, klang das wie ein Sonntagspaziergang. | |
Seine letzte Tour führte ihn wieder in den Himalaja. Er wollte den Mount | |
Everest auf der Hornbein-Route besteigen, die noch nie wiederholt wurde, | |
und von dort gleich auf den Lhotse, auch ein 8.000er. Ohne | |
Sauerstoffflasche natürlich. Das hat noch nie jemand gemacht. In einem | |
Interview vor der Abreise sagte er: „Scheitern heißt für mich: Wenn ich | |
sterbe und nicht heimkomme.“ | |
## Er stürzte 1.000 Meter tief | |
Auf seiner Facebook-Seite berichtete er noch von einer schnellen | |
Akklimatisierungstour vom Basislager auf 7.000 Meter. „Ich liebe es. Es ist | |
hier so ein toller Ort.“ Vier Tage später, am 30. April, kletterte er zur | |
weiteren Vorbereitung am Nuptse, gleich neben dem Mount Everest. Er stürzte | |
1.000 Meter tief. | |
Auch über den Tod hat Ueli Steck gelassen gesprochen, als ich ihn vor gut | |
einem Jahr traf. | |
Jeder von uns wird sterben. Wann und wo, das wissen wir zum Glück nicht. Es | |
macht auch keinen Sinn, wenn wir uns darüber jeden Tag den Kopf zerbrechen. | |
Wir müssen uns darüber bewusst sein und unser Leben so gestalten, wie es | |
für uns passt. Und der Rest wird von alleine kommen. | |
Ueli Steck wurde 40 Jahre alt. | |
6 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
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