# taz.de -- Extrembergsteigerin wird heute 50: Auf ihre Art | |
> Gerlinde Kaltenbrunner hat alle 14 Achttausender bestiegen – ohne | |
> Lastenträger und Zusatzsauerstoff. Vor ihr hat das noch keine Frau | |
> geschafft. | |
Bild: Nah am Himmel: Gerlinde Kaltenbrunner 2011 auf dem Gipfel des K2 | |
Am heutigen Sonntag wird Gerlinde Kaltenbrunner 50 Jahre alt. Das | |
vereinbarte Telefonat beginnt die österreichische Ausnahmebergsteigerin mit | |
angenehm-freundlicher Stimme: „Hier ist die Gerlinde.“ Zu Hause am Attersee | |
im oberösterreichischen Teil des Salzkammerguts ist es für sie „nur ein | |
weiterer Geburtstag. Ich bin dankbar für das, was ich bisher erleben | |
durfte, und freue mich auf alles, was noch kommt.“ | |
Wegen der Coronapandemie wird sie den Tag ohne große Feierlichkeiten mit | |
ihrem Lebensgefährten begehen und einen Ausflug in die Natur unternehmen. | |
Wer die bescheidene Frau mit den wachen Augen schon mal live erlebt hat, | |
der weiß, dass große Partys und übertriebener Rummel um ihre Person nun | |
wahrlich nicht ihr Ding sind. Dafür gäbe es für großen Rummel gute Gründe: | |
Kaltenbrunner ist die erfolgreichste Höhenbergsteigerin der Welt. | |
Am 23. August 2011 vollendete sie mit dem Erreichen des schwierigen | |
K2-Gipfels (8.611 Meter), als erste Frau der Welt die Besteigung aller 14 | |
Achttausender ohne Zuhilfenahme von zusätzlichem Sauerstoff. Der | |
Südkoreanerin Oh Eun-Sun sowie der Spanierin [1][Edurne Pasaban] war die | |
finale Besteigung aller 14 Bergriesen bereits im Jahr 2010 gelungen, | |
allerdings mit Flaschensauerstoff, was eine große Erleichterung darstellt. | |
Doch Kaltenbrunners Vorgehensweise war es, diese Gipfel auch ohne | |
Hochträger und aus eigener Kraft zu bezwingen. | |
Aufgewachsen in einer großen Familie mit zwei Schwestern und drei Brüdern, | |
weckte ausgerechnet der Gemeindepfarrer Erich Tischler aus Spital am Pyhrn | |
in Oberösterreich die Leidenschaft für die Berge in ihr, indem er sonntags | |
nach der Messe die Mädels und Buben auf Wandertouren mitnahm und ihnen die | |
Natur näherbrachte. | |
## Kein Wettkampftyp | |
Sie spürte damals schon, wie gut ihr die Bewegung im Freien tat, war im | |
Ski- und auch im Turnverein aktiv und ist Mountainbike- und auch Ski-Rennen | |
gefahren. Aber sie merkte, dass diese Form von Wettkampf einfach nicht ihr | |
Ding ist. „Meine Freundinnen waren auf einmal meine Konkurrentinnen, das | |
hat mir gar nicht gefallen“ Beim Bergsteigen war das anders. „Da ging es | |
mir nicht um Wettkampf, sondern um das eigene Ausprobieren.“ | |
Doch auch dort wurden später die weltbesten Frauen, angeheizt durch | |
reißerische Berichterstattung, in einen Wettbewerb gedrängt, wer nun die | |
erste Frau sei, die alle Achttausender der Erde erklimmt. Ihre Sache sei | |
das nicht gewesen. „Ich wollte es auf meine Art schaffen, ohne Hochträger | |
und Zusatz-Sauerstoff“, sagt sie | |
Kaltenbrunner ist ausgebildete Krankenschwester. Bei der Arbeit in einer | |
Onkologie-Station hat sie viele Sterbende begleitet und dabei dabei viel | |
gelernt über die Vergänglichkeit des Lebens. Trotz vieler Überstunden hat | |
die Anzahl der Urlaubstage für ihre Expeditionen nicht mehr ausgereicht, | |
sodass sie 2003 ihren Beruf aufgab, um sich als Profibergsteigerin ganz den | |
Gebirgsriesen zuzuwenden. | |
Obwohl sie bei den verschiedensten Expeditionen zahlreichen anderen | |
verletzten Kletterern medizinisch helfen konnte, musste sie dennoch mehrere | |
tragische Todesfälle von Bergsteigerkameraden verkaften. Sie war dabei, als | |
ihr schwedischer Freund und Begleiter Fredrik Ericsson abgestüzt ist. Auch | |
den Tod weiterer Alpinisten musste sie verarbeiten. So war bei einer | |
Expedition auf den Dhaulagiri (8.167 Meter) auf rund 6.400 Metern Höhe eine | |
Lawine abgegangen, unter der zwei spanische Bergsteigerkollegen ihr Leben | |
verloren. | |
## Verschüttet unter einer Lawine | |
Sie selbst hatte Glück und konnte sich aus den Schneemassen befreien. | |
Verschüttet in ihrem Zelt, gelang es ihr gerade noch, mit einem freien Arm, | |
mit einem Messer das Zelt aufzuschneiden und sich nach oben hin | |
auszugraben. „Das war für mich das erste Mal, wo ich die Erfahrung machen | |
musste, um das eigene Leben zu ringen und die eigene Vergänglichkeit | |
hautnah zu spüren.“ Doch war und ist ihre Leidenschaft für das Bergsteigen | |
so groß, dass sie immer wieder aufbrach zu neuen Zielen. | |
Meditation und Yoga mit den Atem-und Körperübungen helfen ihr seit Jahren, | |
den Fokus auf die wichtigen Ziele zu richten. Diese Entspannungstechniken | |
haben ihr auch sehr geholfen, „in Extremsituationen am Berg die innere Ruhe | |
zu bewahren und nicht die Nerven zu verlieren“. Sie sagt: „Ohnehin sind die | |
Atemübungen auch für das Höhenbergsteigen sehr wichtig.“ Und | |
Extremsituationen hatte sie regelmäßig zu meistern. | |
Etliche Male sind Besteigungsversuche auch gescheitert, wenn etwa | |
Lawinengefahr oder heftige Stürme an den hohen Bergen der Welt nur noch ein | |
Umkehren zuließen. Für den äußerst schwierigen und gefährlichen K2-Gipfel | |
im Karakorum brauchte sie insgesamt sieben Anläufe. Doch als Scheitern | |
sieht sie das nicht an. „Gesund zurückzukommen ist das Wichtigste, da ist | |
es auch absolut verkraftbar, wenn man nach Tagen höchster Anstrengung | |
letzlich 100 Meter unter einem Gipfel umdrehen muss, weil ein Weitergehen | |
zu gefährlich war.“ | |
In der Rückschau war die geglückte K2-Besteigung ihr „allerintensivstes | |
Bergerlebnis überhaupt“. Gerlinde Kaltenbrunner hat eine einzigartige | |
Physis und ist bei mehreren Expeditionen vor den Männern auf dem Gipfel | |
angekommen, was bedeutet, das sie manchmal bei hohem Schnee auch die | |
schwere Spurarbeit verrichtete. Mit der Sauerstoffarmut in der sogenannten | |
Todeszone über 8.000 Höhenmetern kam sie immer gut zurecht. „Da oben ist es | |
besonders wichtig, genügend Schnee zu schmelzen und ausreichend zu trinken, | |
so um die sechs Liter, auch wenn man kein Durstgefühl hat, damit das Blut | |
sich nicht verdickt und der Körper samt dem Gehirn ausreichend versorgt | |
wird und keine Halluzinationen auftreten.“ | |
## Mentales Training | |
Damit hatte sie zum Glück im Gegensatz zu vielen Bergsteigerkollegen nie | |
Probleme. Dabei geholfen haben ihr auch die professionelle Vorbereitung im | |
mentalen Bereich, 50 Prozent der Leistung mache der Kopf aus, akribisches | |
Ausdauertraining, eine sehr bewusste vegane Ernährung und eine kluge | |
Strategie mit ausreichend Zeit für die Akklimatisierung in den | |
menschenfeindlichen Höhenlagen. In einer Höhe von mehr als 8.000 Metern ist | |
der Sauerstoffgehalt der Luft nur rund ein Drittel so hoch wie in normalen | |
Höhen. Die seit Jahren von ihr praktizierte rein pflanzliche Ernährung | |
hilft ihr, topfit zu bleiben. | |
Heute wird sie dafür bewundert. Vor zwanzig Jahren wurde sie von vielen | |
männlichen Alpinisten indes noch nicht so akzeptiert, weil das Rollenbild | |
vom starken Mann im Alpinismus dominierte. Doch mit ihren großen Erfolgen | |
hat sich das längst geändert. Den K2-Gipfel hat sie über die schwere Route | |
über den Nordpfeiler erreicht, und die Südwand des Shisha Pangma (8.027 | |
Meter) zu durchsteigen, war ebenfalls sehr anspruchsvoll. Gerlinde | |
Kaltenbrunner überzeugte durch Leistung und glaubt, dass die Männer von ihr | |
auch durchaus etwas lernen konnten: „Nicht immer auf Biegen und Brechen den | |
Gipfelerfolg erreichen zu müssen, sondern auch auf die innere Stimme zu | |
hören.“ | |
Eine Bergsteigerin hat sie besonders beindruckt: In ihrer Jugend verfolgte | |
sie die Leistungen der polnischen [2][Alpinistin Wanda Rutkiewicz], die | |
acht Achttausender bestiegen hat und seit 1992 am dritthöchsten Berg der | |
Erde, dem Kangchendzönga (8.586 Meter), verschollen ist. Sie hat den | |
Eindruck, dass „sich die Frauen inzwischen mehr zutrauen als noch vor | |
Jahren. Auch beim Skitourengehen sind heute mehr Frauen unterwegs.“ Für | |
eigene Kinder war in Gerlinde Kaltenbrunners Leben kein Platz. Das sei eine | |
„bewusste Entscheidung“ gewesen, sie erfreut sich an ihren „vielen Nichten | |
und Neffen“. Dass einer ihrer Brüder jetzt, mit 53 Jahren, einen | |
Kletterkurs absolviert, auch das bereitet ihr große Freude. Es passt zu | |
ihrem Motto: „Es ist nie zu spät, was Neues anzufangen.“ | |
Immer wieder organisiert Kaltenbrunner Spendenkampagnen. Seit ein paar | |
Jahrfen schon sammelt sie Geld für den Bau von Schulen in Nepal. „Natürlich | |
ist die Coronapandemie nicht schön und für einige sogar existenzbedrohend. | |
Aber im Vergleich zur Situation bei uns in Europa geht es in solch armen | |
Ländern wie Nepal, wo der Bergtourismus ja völlig eingebrochen ist, nicht | |
nur bei den Sherpas und ihren Familien ums blanke Überleben.“ Natürlich | |
möchte sie ihre „Hilfsprojekte weiter fortsetzen und auch noch viele Berg- | |
und Ski-Expeditionen in aller Welt angehen. Wenn wir so weit gesund | |
bleiben“, sagt Gerlinde Kaltenbrunner. | |
13 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Purschke | |
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