# taz.de -- Gipfelsiegerin: "Ein Leben vor und nach dem K 2" | |
> Erfüllter Lebenstraum: Die Spanierin Edurne Pasabán hat alle vierzehn | |
> Achttausender der Erde bestiegen. Ein Gespräch über Tod und | |
> Selbstbestätigung. | |
Bild: Edurne Pasabán beim Aufstieg auf den K2. | |
taz: Frau Pasabán, Sie sind nach einem doppelten Gipfelsieg an der | |
Annapurna und am Shisha Pangma im April und Mai dieses Jahres und nach der | |
Entscheidung der koreanischen Bergsteigervereinigung, Oh Eun-Suns | |
Kangchendzönga-Besteigung für ungültig zu erklären, die erste Frau, die | |
alle vierzehn Achttausender der Erde bestiegen hat. Wie fühlen Sie sich? | |
Edurne Pasabán: Ich bin glücklich. Ich muss mich manchmal kneifen und | |
verwundert feststellen: Es ist wahr! Ich habe mir tatsächlich meinen großen | |
Traum erfüllt - einen Traum, für den ich und viele andere viele Jahre | |
gearbeitet haben. | |
Ihre Gipfelerfolge waren immer wieder vom Tod guter Freunde und Seilpartner | |
überschattet. Wie geht man damit um, jemanden neben sich sterben zu sehen? | |
Mein Sport hat mir viele Freunde geschenkt, aber er hat mir auch viele | |
Freunde genommen. Ich habe immer gehofft, dass nie direkt neben mir ein | |
geliebter Mensch stirbt. Aber in dem Moment, in dem es passiert, reagiert | |
man völlig nüchtern und versucht, vernünftige Entscheidungen zu treffen, um | |
sein eigenes Leben zu retten. | |
In Deutschland wird jetzt nach dem Tod von Frederik Ericsson wieder darüber | |
diskutiert, ob es ein Besteigungserfolg rechtfertigt, ein Leben zu opfern | |
und eventuell ein Rettungsteam zu gefährden. Wie stehen Sie dazu? | |
Ich sage mir immer, diejenigen, die am Berg ums Leben kamen, sind | |
wenigstens bei etwas gestorben, das ihnen Spaß bereitet hat. Sie sind auf | |
eigene Verantwortung gegangen, und es ist theoretisch niemand verpflichtet, | |
ihnen bei einem Unfall zur Seite zu stehen. Eine Rettung auf über 7.000 | |
Meter ist äußerst schwierig, darum muss jeder selbst entscheiden, ob er das | |
Risiko auf sich nimmt. Meist sind es Freunde des Verunglückten oder andere | |
Bergsteiger, die sich aufmachen, um Hilfe zu bringen. | |
Kurz nachdem Sie die Annapurna verlassen hatten, starb dort Ihr Bekannter | |
Tolo Calafat. Auf den Shisha Pangma sind Sie einer Route gefolgt, die | |
seinerzeit Ihr verstorbener Freund Iñaki Ochoa erstbegangen hatte. An der | |
Annapurna kam auch er ums Leben. Hat Sie dies beeinträchtigt? | |
Während der Annapurna-Expedition hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, Iñaki | |
an meiner Seite zu haben, und habe gleichzeitig seine Abwesenheit so | |
schmerzhaft gespürt wie selten zuvor. Dann erreichte uns im Basecamp des | |
Shisha Pangma die Nachricht, dass Tolo Calafat in Schwierigkeiten steckte. | |
Es folgten zwei schreckliche Tage und Nächte, an denen wir ununterbrochen | |
am Funkgerät hingen. Uns blieb nichts, als für den Erfolg der | |
Rettungsaktion zu beten. | |
Hat es Sie enttäuscht, dass die Expedition von Oh Eun-Sun, die ganz in der | |
Nähe war, die Hilfe für Tolo Calafat verweigerte? | |
Ich war nicht dort, und aus der Ferne lässt sich das Vorgefallene schwer | |
beurteilen. | |
Am K 2 haben Sie sich zwei Zehen erfroren und sind nur knapp mit dem Leben | |
davongekommen. Ähnlich erging es Ihnen vergangenen Herbst am | |
Kangchendzönga. Was passiert mit einem, wenn man dem Tod so direkt ins | |
Gesicht sieht? | |
Es wird in meinem Leben immer ein Vor und ein Nach dem K2 geben. Darum habe | |
ich damals erst einmal zwei Jahre lang ausgesetzt. Ich wollte herausfinden, | |
ob ich wirklich noch überzeugt vom Bergsteigen war oder bereits nur der | |
Erwartung der Öffentlichkeit genügen wollte. Der Druck, der mit dem Projekt | |
der vierzehn Achttausender einherging, hat mir Angst bereitet. Am K 2 habe | |
ich gelernt, dass es im Zweifelsfall besser ist umzukehren. Am | |
Kangchendzönga habe ich trotzdem eine falsche Entscheidung getroffen und | |
musste bezahlen. | |
Stellt sich nun ein Gefühl der Leere ein? Schließlich hat das Projekt der | |
vierzehn Achttausender Sie über ein Jahrzehnt in Anspruch genommen. | |
Nein, leer fühle ich mich nicht, ganz im Gegenteil. Mein Leben ist jetzt | |
ausgefüllter als vor zehn Jahren, aber nicht deswegen, weil ich vierzehn | |
Achttausender bestiegen habe, sondern weil ich unglaubliche Freundschaften | |
schließen konnte und über all die Jahre so viel Unterstützung erfahren | |
habe. Gleichzeitig ist eine große Last von mir abgefallen. In den | |
vergangenen Monaten ist mein persönliches Projekt mehr und mehr zu einer | |
Medienschlacht geworden. Das hat einen zusätzlichen Druck erzeugt, mit dem | |
ich in der Tat nicht immer gut zurechtkam. Ich habe diesen Lebensabschnitt | |
nun beendet und fühle mich frei, neue ehrgeizige Projekte zu entwickeln. | |
Der Bergsteiger Reinhold Messner hat Ihnen nach Ihrem Gipfelsieg | |
Glückwünsche überbracht und Ihre vierzehn Achttausender als unnütz und | |
gerade deshalb so schön bezeichnet. Können Sie sich dieser Auffassung | |
Messners anschließen? | |
Seine Glückwünsche erhielt ich kurz nach der Ankunft im Basecamp in einem | |
sehr emotionalen Zustand. Er hat meine Gedanken gelesen, denn auch ich habe | |
mich gefragt, welchen Sinn mein Projekt eigentlich gehabt hat. Ich war zu | |
dem Schluss gekommen, dass es keinem Zweck gedient hat, sondern einfach nur | |
die Erfüllung eines Lebenstraums war. Dennoch wünsche ich mir, dass meine | |
Gipfelerfolge anderen Menschen Mut machen, ähnlich ambitionierte Projekte | |
anzugehen. Besonders für Frauen in Männersportarten ist dies noch immer | |
schwierig. | |
Sie waren immer die einzige Frau im Team. Sind Sie auch zuletzt trotz Ihrer | |
Bekanntheit noch auf Schwierigkeiten im männerdominierten Bergsport | |
gestoßen? | |
Ja. In dieser absolut maskulinen Welt bin ich zwar inzwischen akzeptiert, | |
aber ich musste immer mehr Einsatz zeigen als meine männlichen Kollegen. | |
Bis heute wird es in der Bergsteigerszene so dargestellt, als hätte ich | |
viele Berge nur aufgrund der Ausdauer meiner Begleiter geschafft. Dabei | |
trage ich dieselbe Menge an Material und nicht zuletzt mich selbst den Berg | |
hinauf. | |
Sie haben oft betont, es sei Ihnen nie darum gegangen, als erste Frau auf | |
allen 14 Achttausendern zu stehen. Dennoch haben Sie zuletzt Eile an den | |
Tag gelegt und sogar einen Helikopter von Katmandu zum Fuße des Shisha | |
Pangma genommen. Hat es Sie gereizt, Oh Eun-Sun doch noch zu überrunden? | |
Das Rennen um die vierzehn Achttausender war eine Sache der Medien und | |
nicht der Bergsteigerinnen. Doch ich muss einräumen, dass ich ganz zuletzt | |
an einem Punkt war, an dem ich dachte: Mal sehen, vielleicht schaffe ich es | |
ja doch als Erste. Wobei die Doppelbesteigung in erster Linie logistische | |
Gründe hatte und ich mir davon vor allem eine gute Akklimatisierung für die | |
besonders schwierige Annapurna erhoffte. | |
Sind Sie enttäuscht, es nicht als Erste geschafft zu haben? | |
Nein. Ich empfinde weder Neid noch Enttäuschung. Ich bin glücklich über | |
das, was ich erreicht habe. | |
Haben Sie die vielen Jahre im Himalaja verändert? | |
Ja, der Himalaja hat mich sehr verändert. Mit jeder Besteigung habe ich | |
unglaublich viel gelernt. Auch über mich selbst. Das Bewusstsein, im Leben | |
das zu tun, was einem wirklich gefällt, verändert die Persönlichkeit. | |
Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Tourismus in dieser Region ein? | |
Nepal und Tibet sind absolut abhängig von den Einnahmen aus dem Tourismus. | |
Aber vor allem die Menschenmassen am Everest und am Cho Oyu nehmen dem | |
Bergsteigen die Romantik. Viele der Himalaja-Touristen haben noch nie im | |
Leben Steigeisen an den Füßen gehabt und wollen ausgerechnet mit dem | |
Everest anfangen. Das ist ein sehr gefährliches Spiel. | |
Was sind Ihre nächsten Projekte? | |
Oh, ich habe noch viel im Kopf. Ich möchte zum Beispiel den Mount Everest, | |
meinen ersten Achttausender, noch einmal ohne Sauerstoff besteigen. Was | |
mich auch schon lange beschäftigt, ist der Wunsch, eine Familie zu gründen. | |
31 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Annika Müller | |
## TAGS | |
Reiseland Spanien | |
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