| # taz.de -- Tod dreier Spitzenalpinisten: Am Gipfel geht nichts mehr | |
| > In den Rocky Mountains in Kanada sind drei Bergsteiger umgekommen. Ihr | |
| > Tod könnte einen Umbruch in der Geschichte des Alpinismus bedeuten. | |
| Bild: Auch die Berge, genauer: die Wege hinauf, unterliegen gesellschaftlichem … | |
| Man kann es auch gefühllos ausdrücken: In der vergangenen Woche sind in den | |
| kanadischen Rocky Mountains drei Bergsteiger von einer Lawine verschüttet | |
| worden. Sie konnten nur tot geborgen werden. Es handelt sich um die | |
| Österreicher David Lama und Hansjörg Auer sowie den Amerikaner Jess | |
| Roskelley. | |
| Man kann es aber auch, wie Reinhold Messner es tat, auf eine „traurige | |
| mathematische Regel“ bringen, die lautet: „Von den absoluten Spitzenleuten | |
| in der Alpingeschichte – wie es Lama, Auer und Roskelley waren – überlebt | |
| genau die Hälfte. Die andere stirbt mit 30 oder 35 Jahren.“ Die drei nun | |
| tot geborgenen Bergsteiger wurden 28, 35 und 36 Jahre alt. Sie passen also | |
| in Messners Regel. | |
| Was Messner, mittlerweile 74 Jahre alter Pionier der modernen Art des | |
| Extrembergsteigens, formuliert, ist kein gefühlloser oder gar zynischer | |
| Kommentar des Unglücks in Kanada. Messner zählte Lama, Auer und Roskelley | |
| zu den zehn besten Bergsteigern der Gegenwart; ihren Tod bewertet er so: | |
| „Der traditionelle Alpinismus ist im Sich-Verlieren.“ | |
| Tatsächlich hat sich mehr als nur das gesellschaftlich-wirtschaftliche | |
| Umfeld von Spitzenbergsteigern grundlegend verändert. Auch die Berge, | |
| genauer: die Wege auf die Berge sind nicht mehr die alten. Die | |
| Achttausender sind touristische Ziele geworden, die auf gespurten und | |
| gesicherten Wegen zu erreichen sind. Erst vor wenigen Tagen wurde gemeldet, | |
| dass auf dem Achttausender Annapurna 1 an einem Tag 32 Bergsteiger auf dem | |
| Gipfel waren. | |
| ## Berge sind kapitalisierte Erhebungen | |
| Lama kannte das Phänomen. „Ohne uns Menschen wärn de Berg nua Stoanahaufn�… | |
| hat er im tiefsten Österreichisch einmal gesagt. Berge sind schon längst | |
| vergesellschaftete und immer mehr auch kapitalisierte Erhebungen. Lama | |
| zählte, wie Reinhold Messner es formuliert, zu den „typischen | |
| Allround-Bergsteigern, traditionellen Alpinisten, die dort hingegangen | |
| sind, wo die anderen nicht sind“. Man kann auch sagen: Lama war einer der | |
| letzten Abenteueralpinisten, einer der letzten der – beinah immer | |
| männlichen und oft draufgängerischen – Typen im Gebirge, die unter hohem | |
| Risiko etwas entdecken wollen. Welteroberer, die mit ihren Taten einen | |
| bestimmten Freiheits- und Unabhängigkeitsbegriff verkörpern. | |
| So gesehen wurde David Lamas Tod zum Symbol des Übergangs vom (immer | |
| weniger möglichen) klassischen Alpinismus zum (letztlich | |
| selbstzerstörerischen) rekord- und tourismusgeleitetem Alpinismus. | |
| Was Lama, Auer und Roskelley in der kanadischen Provinz Alberta wollten, | |
| war dies: die Besteigung des 3.295 Meter hohen Howse Peak über die | |
| Ostseite. Das war für Spitzenbergsteiger eine schwierige, aber keine | |
| unmögliche Tour, erst wenige Tage zuvor hatten sie eine ähnlich schwierige | |
| Wand durchstiegen. Die Route namens M16 war vor 20 Jahren erstmals begangen | |
| worden. Der Name stammt übrigens von dem gleichnamigen Schnellfeuergewehr | |
| der U.S. Army. „Das ist ein Aufstieg auf Expertenniveau“, sagte nun einer | |
| der M16-Erstbegeher, der Amerikaner Barry Blanchard. „Von den Millionen | |
| Menschen, die weltweit ernsthaft Berge besteigen, kann man vielleicht mit | |
| gerade mal einem Prozent die Ostseite des Howse Peak erreichen.“ Vermutlich | |
| sogar deutlich weniger, zumal Lama, Auer und Roskelley den Aufstieg an | |
| einem Tag schafften, Blanchard und seine Kollegen vier Tage benötigten. Sie | |
| erreichten damals gar nicht den Gipfel, denn Sturm und Schneefall ließen | |
| sie umkehren. | |
| David Lama war von den drei nun umgekommenen Kletterern der berühmteste und | |
| nach Einschätzung vieler Experten der talentierteste. Als sein Entdecker | |
| gilt der Österreicher Peter Habeler, der 1978 mit Messner zusammen als | |
| erster Mensch den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen | |
| hatte. Habeler hatte den erst fünfjährigen David Lama in einer Kletterhalle | |
| gesehen und dessen Talent erkannt. Lama, Kind einer österreichischen Mutter | |
| und eines nepalesischen Vaters, wurde als Sportkletterer gefördert: Mit | |
| sieben Jahren kletterte er seinen ersten Wettkampf, mit neun gewann er den | |
| „Junior-Cup“ des Alpenvereins, er war der jüngste Kletterer, der eine | |
| 8a-Route – die Nummerierung bezeichnet den Schwierigkeitsgrad – bewältigte, | |
| 2004 und 2005 wurde er Jugendweltmeister und Jugend-Europacup-Sieger, 2006 | |
| gewann er den Weltcup – als Jüngster aller Zeiten. | |
| Interessant an der Biografie des Sportkletterers ist die Orientierung an | |
| der Halle und ihren Kletterwänden. Erst 2010, da war er 20 Jahre alt, | |
| konzentrierte er sich auf den klassischen Alpinismus. Und auch da | |
| leistete Lama Unglaubliches: 2012 schaffte er am Cerro Torre in Argentinien | |
| die bis dato als nicht kletterbar geltende „Kompressor-Route“, zusammen mit | |
| Peter Ortner. Ein beeindruckender Dokumentarfilm „Cerro Torre – Nicht den | |
| Hauch einer Chance“ entstand daraus. | |
| ## Es gibt keine Bergvagabunden mehr | |
| Er konnte solche Touren machen, weil er bei Red Bull unter Vertrag stand, | |
| obwohl er sich nicht als Extremsportler verstand. Das gesellschaftliche | |
| Umfeld ist nicht mehr so, wie es noch ein Reinhold Messner vorgefunden | |
| hatte. Lama konnte kein solcher Freigeist sein, der von Büchern und | |
| Vorträgen lebt und sich gewiss nie von einem Sponsor einen Zeitplan hätte | |
| vorschreiben lassen. Und schon gar nicht war Lamas Alpinismus etwa mit dem | |
| der als „Bergvagabunden“ in die Geschichte eingegangenen Alpinisten der | |
| Dreißigerjahre vergleichbar. Die lösten die, wie es damals hieß, „letzten | |
| Probleme“ der Alpen. | |
| Die deutschen und österreichischen Bergvagabunden waren überwiegend | |
| proletarische Männer – und wenige Frauen, die sich in der | |
| Weltwirtschaftskrise Anfang der Dreißigerjahre in die Alpen zurückgezogen | |
| hatten. Sie ernährten sich von Pflanzen und gewildertem Fleisch und | |
| verdienten als Träger oder illegale Bergführer ein bisschen Geld. Dazu | |
| bildeten sie eine eigene Subkultur, eine Welt für sich. Mit unglaublicher | |
| Innovation des Alpinismus: als unbezwingbar geltende Nordwände wurden | |
| bestiegen – vom Matterhorn 1931 bis zum Eiger 1938. | |
| Der nächste Innovationsschub für den Alpinismus ging von den kalifornischen | |
| Kletterern aus, die sich in den Siebzigerjahren als Hippies zurückzogen. | |
| Wie bei den Bergvagabunden basierte ihre unglaubliche Kletterfähigkeit auf | |
| der subkulturellen Zurückgezogenheit, auf der ökonomisch wie ideologisch | |
| völligen Konzentration auf ihren Sport. | |
| Sowohl die Bergvagabunden als auch die kalifornischen Hippies hatte nichts | |
| gemein mit dem, was als „Belagerungsalpinismus“ gilt: den logistisch | |
| perfekt durchgeplanten Versuchen, die höchsten Berge der Welt zu bezwingen. | |
| Diesen Expeditionen, die an militärische Eroberungen erinnerten, machten | |
| erst bergsteigerische Achtundsechziger wie Reinhold Messner ein Ende. Die | |
| stellten nicht mehr Eroberungstrupps zusammen, die von Europäern beherrscht | |
| wurden und das nepalesische Volk der Sherpa als bloße Träger ansah – was so | |
| weit ging, dass der Begriff Sherpa als Synonym für „Träger“ Eingang in die | |
| Sprache fand. Stattdessen empfanden die neuen Bergsteiger die Sherpas als | |
| Kollegen, die die klimatischen und kulturellen Bedingungen im Himalaja | |
| besser kannten als sie. So profilierten sich Bergsteiger wie Reinhold | |
| Messner und Peter Haberer, aber ihre Erstbesteigungen und Erstbegehungen | |
| sorgten letztlich dafür, dass die Möglichkeiten am Berg weniger wurden. | |
| ## Der Rekordalpinismus hat sich durchgesetzt | |
| In den vergangenen Jahrzehnten setzte sich der Rekordalpinismus durch: Wer | |
| kommt am schnellsten auf die höchsten Berge? Wer schafft die meisten Gipfel | |
| in einer bestimmten Frist? Wer macht die höchsten und die zweithöchsten | |
| Gipfel jedes Kontinents? Viel war da an Neuem nicht mehr zu holen. | |
| Gerade David Lama, dessen Vater Sherpa-Bergführer im Himalaja war, | |
| verkörperte also in besonderer Weise das Dilemma, das sich bei anderen | |
| Spitzenkletterern, den Huber-Buam etwa, schon andeutete: die Unmöglichkeit, | |
| frei in den Bergen zu klettern. Ein Draufgänger, der den Gipfel mit jedem | |
| Risiko bezwingen wollte, war Lama nicht. 2015 und 2016 scheiterte er am | |
| Westpfeiler des 6.895 Meter hohen Lunag Ri in Nepal, erst 2018 bezwang er | |
| ihn im Alleingang. | |
| Peter Habeler sagte, dass weder David Lama noch Hansjörg Auer unvernünftig | |
| waren – vermutlich auch Jess Roskelley nicht, aber den kannte Habeler nicht | |
| persönlich. „Es ist schwer zu verstehen, dass so gute Leute am Berg | |
| umkommen. Aber es passiert immer wieder.“ | |
| Messner, der kritische Chronist des Alpinismus, sagt, dass die hohe | |
| Mortalitätsrate der Spitzenkletterer nichts mit mangelnder Erfahrung oder | |
| fehlendem Können zu tun habe. „Wer am Limit Bergsteigen geht, der muss sich | |
| dieser Wahrheit stellen. Deshalb ist diese Art von Bergsteigen nach außen | |
| hin auch nur sehr schwer zu verteidigen.“ | |
| David Lama, Hansjörg Auer und Jess Roskelley hatten, wie die Neue Zürcher | |
| Zeitung in ihrem Nachruf schreibt, die M16-Route nicht gewählt, weil sie | |
| etwas ausprobieren wollten, „sondern gerade, weil sie ihr gewachsen waren“. | |
| Dass die drei oben waren, beweist ein Foto, das nach der Bergung auf | |
| Roskelleys Handy gefunden wurde. Beim Abseilen, als also das Schwierigste | |
| vorbei war, begrub eine Lawine die, wie Messner sagt, „letzten Stars, die | |
| wirklich am Ende der Welt in höchster Schwierigkeit unter großen Gefahren | |
| und Ausgesetztheit ihre Touren machen“. | |
| 27 Apr 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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