# taz.de -- Bewegungsforscher über Letzte Generation: „Noch hat die Bewegung… | |
> Der Staat geht mit Razzien gegen Aktivist:innen der Letzten | |
> Generation vor. Wohin soll das führen? Fragen an den Protestforscher | |
> Simon Teune. | |
Bild: Bei einer Blockade der Letzten Generation wird ein Aktivist von der Stra�… | |
wochentaz: Herr Teune, vergangene Woche wurden deutschlandweit Razzien bei | |
der Letzten Generation durchgeführt. Finden Sie die Aktion verhältnismäßig? | |
Simon Teune: Vor allem finde ich es spannend zu beobachten, an welcher | |
Stelle der Staat Energien aufwendet und wo nicht. Man versucht mit aller | |
Macht, die Aktivist:innen von der Straße zu bekommen. Das ist eine | |
bezeichnende Reaktion. Es wird keine Anstrengung sichtbar, die Ursachen zu | |
beseitigen, die die Letzte Generation überhaupt erst auf die Straße | |
treiben. Die Schere zwischen dem Aufwand in der Verfolgung von | |
Klimaaktivist:innen und dem realen Klimaschutz der Politik geht immer | |
weiter auseinander. | |
Schon [1][vor den Razzien konnte man sich über das Vorgehen] der | |
Polizist:innen wundern. Bei den Blockaden sieht man immer wieder, wie | |
sie die Gelenke der Aktivist:innen auf schmerzhafte Weise verbiegen. | |
Warum geht die Polizei teils so brutal vor? | |
Diese Blockaden sind für die Polizei eigentlich sehr übersichtlich. Man hat | |
da Leute vor sich sitzen, die sagen, von ihnen geht keine Gewalt aus und es | |
gibt auch kein Beispiel dafür, dass das anders wäre. Trotzdem haben | |
Räumungen mit Schmerzgriffen deutlich zugenommen über die Zeit. Das heißt, | |
man wendet da Mittel an, die man gar nicht anwenden müsste, um die | |
Situation zu klären. Und das reiht sich auch ein in den Umgang mit anderen | |
Klimaaktivist:innen. Also es gibt da eine Kontinuität, die zeigt: Gewalt | |
hat nicht nur die Funktion, eine Situation zu klären, sondern sie hat auch | |
eine erzieherische Funktion. Dafür hat der Staat aber nicht das | |
Gewaltmonopol. | |
Was führt dazu, dass die staatliche Gewalt zunimmt? | |
Ich glaube, dass das mit der öffentlichen Debatte zu tun hat. Es zeigt ja | |
schon eine gewisse Haltung, wenn die Berliner Innensenatorin sagt, die | |
Gewalt von Autofahrer:innen gegen die Letzte Generation müsse man ja | |
„leider auch verfolgen“. Oder wenn die Bundesinnenministerin wiederum sagt, | |
„wir müssen mit aller Härte gegen die Proteste vorgehen“. Das ist natürl… | |
auch ein Signal, das von den Polizist:innen gehört wird. | |
Viele Menschen haben sich besorgt geäußert, die Kriminalisierung könnte die | |
Protestierenden in die radikale Ecke treiben. Sehen Sie diese Gefahr auch? | |
Die Klimabewegung und die Letzte Generation zeichnen sich bislang durch ein | |
großes Vertrauen in die demokratischen Institutionen aus. Aber wenn Politik | |
und Institutionen den Aktivist:innen jetzt zunehmend feindselig | |
gegenüberstehen, kann sich das auch ändern. Das heißt nicht, dass Letzte | |
Generation und Fridays for Future zur grünen RAF werden. Gewaltfreiheit ist | |
ein Prinzip und keine Taktik, die man einfach so aufgibt. | |
Immer wieder werden Vergleiche zwischen Klimaaktivismus und Protesten der | |
Vergangenheit gezogen, etwa zur Studentenbewegung der 60er. Was | |
unterscheidet die Klimabewegung eigentlich von früheren Bewegungen? | |
Generell steht die Klimabewegung vor einer überwältigenden Aufgabe. Nämlich | |
buchstäblich die Welt zu retten, wie wir sie kennen. Und das unter dem | |
Zeitdruck, den die Klimakrise mit sich bringt. Andere soziale Bewegungen | |
konnten immer darauf setzen, dass ihre Forderungen im Laufe der Zeit in die | |
gesellschaftlichen Debatten einsickern. Aber das ist eine Perspektive, die | |
für das Aufhalten des Klimawandels einfach nicht ausreicht. Klimapolitik | |
kann eben nur erfolgreich sein, wenn sie innerhalb von sehr kurzer Zeit | |
eine sehr grundlegende Transformation einleitet. | |
Was bedeutet das für die Zukunft der Klimabewegung? | |
Die Not wird nicht geringer bei Gruppen wie der Letzten Generation. Und der | |
Versuch dieser Straßenblockaden ist es ja, dieser Not eine Form zu geben. | |
Wenn wir uns die Debatte über die Letzte Generation in fünf Jahren | |
angucken, werden wir uns vielleicht sagen: Das waren gute Zeiten, als wir | |
noch Leute hatten, die das Grundgesetz und die politischen Institutionen | |
anerkannt haben. Denn es ist natürlich eine mögliche Entwicklung, dass sich | |
kleine Gruppen in der Bewegung Gedanken über konfrontativeren Protest | |
machen und möglicherweise Abstand nehmen von den demokratischen | |
Institutionen, die sich gerade als nicht hilfreich erweisen in der | |
Bewältigung der Klimakrise. | |
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Warnungen vor einer | |
sogenannten „Klima-RAF“? | |
Als der Aktivist Tadzio Müller diesen Begriff in die Debatte einbrachte, | |
war das vielmehr eine Befürchtung als eine Drohung, auch wenn die Aussage | |
dann teilweise so ausgelegt wurde. Das Argument war ja nicht: „Wenn ihr | |
nicht macht, was die Klimabewegung fordert, dann gründen wir die neue RAF“, | |
sondern: „Wenn das Problem nicht von den Institutionen gelöst oder | |
angegangen wird, dann besteht diese Gefahr.“ | |
Die Kriminalisierung hat in den letzten Tagen wieder mehr Menschen zu den | |
Protestmärschen getrieben. Die Letzte Generation geht davon aus, dass sie | |
eine kritische Masse braucht, um die gewünschte politische Veränderung zu | |
erreichen. Kann man so die Transformation herbeiführen? | |
Die Annahme, dass nur genug Leute mitmachen müssen und dann ändert sich | |
etwas, halte ich für ein bisschen unterkomplex. Außerdem sind die | |
Forschungen, auf denen diese Annahme beruht, gar nicht für liberale | |
Demokratien entstanden, sondern für autoritäre Regime. Ich glaube nicht, | |
dass es eine Formel gibt, nach der sich Gesellschaft verändern lässt. Zumal | |
es hier um grundsätzliche Fragen geht, wie der Transformation einer ganzen | |
Wirtschafts- und Lebensweise, in der der globale Norden auf Kosten des | |
globalen Südens lebt. Ich bin sehr skeptisch, dass es eine kritische Masse | |
an Protestierenden gibt, ab der die Leute an der Macht nicht mehr anders | |
können, als sich auf die Forderungen einzulassen. | |
Was braucht es stattdessen? | |
Das Problem ist ja nicht, dass es kein gesellschaftliches Interesse gäbe. | |
Sondern es gibt einfach eine politische Blockade. Und das ist die Nuss, die | |
man nicht geknackt kriegt, weder mit Straßenblockaden noch mit einem | |
Gesellschaftsrat. Das verändert sich nur dann, wenn der Druck für eine | |
andere Politik wirklich gesamtgesellschaftlich da ist. | |
Wie könnte das aussehen? | |
Im Moment ist es sehr bequem für fossile Akteure. Die FDP kann sagen, das | |
Tempolimit wollen die Leute ja gar nicht, auch wenn das empirisch nicht | |
stimmt. Aber wenn der ADAC das als Forderung aufnimmt, weil er sich damit | |
auseinandersetzt, was die Klimakrise für den Verband und die Mitglieder | |
bedeutet, würde das die Situation verändern. Das ist der Punkt, den es | |
jetzt braucht: dass sich alle Akteure mit ihrer eigenen Verantwortung für | |
die Klimakrise auseinandersetzen. | |
4 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jannik Grimmbacher | |
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