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# taz.de -- Klimaprotest keine kriminelle Vereinigung: Absurder Vorwurf
> Die Ermittlungen gegen die Letzte Generation entbehren jeder Grundlage.
> Ein Berliner Staatsanwalt sieht keine schweren Straftaten.
Bild: Letze Generation-Sprecherin Carla Hinrichs wird von Polizisten abgeführt
Es ist ein unhaltbarer Vorwurf: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt
gegen Mitglieder der Letzten Generation wegen Bildung einer kriminellen
Vereinigung; und auch das Landgericht Potsdam erklärte diesen
Anfangsverdacht nun erst einmal für rechtmäßig und lehnte eine Beschwerde
eines von einer Hausdurchsuchung betroffenen Aktivisten ab. Die
Brandenburger Ermittler greifen damit zu dem schwerstmöglichen Vorwurf, der
einer Kriminalisierung der Klimaaktivist:innen, vergleichbar etwa mit
gewalttätigen Neonazi-Kameradschaften, gleichkommt und schwerwiegende
Grundrechtseingriffe ermöglicht.
Sie stellen in den Raum, dass es sich bei den stets friedlichen und
symbolischen Aktionen der Letzten Generation um gewichtige Straftaten
handele, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit
darstellen. Mit der Realität hat das jedoch nichts zu tun, eher mit dem
ungesunden Empfinden eines auf Rache für die Störungen trachtenden Mobs.
Wie wohltuend nüchtern und sachlich erscheint dagegen die [1][Einschätzung
der Berliner Staatsanwaltschaft]. Der zuständige Oberstaatsanwalt Holger
Brocke stellte die Vorwürfe schon im Januar vom Kopf auf die Füße. In einem
Schreiben, das der taz jetzt bekannt wurde, begründete er auf fünf Seiten,
wieso es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Letzte Generation als
kriminelle Vereinigung anzusehen sei. Mit dem Brief begründete er einem
besorgten Bürger, der eine entsprechende Anzeige gestellt hatte, warum von
Ermittlungen hinsichtlich des Vorwurfs abgesehen wird.
Brocke argumentiert darin grundsätzlich, dass die Aktionen „nicht nur durch
die verfassungsrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit gedeckt sind, sondern
sogar im Einklang mit der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen
Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) stehen.“ Ergo: Die Mitglieder der Letzten
Generation haben das Bundesverfassungsgericht im Rücken, wenn sie sich
gegen den Rechtsbruch der Bundesregierung stellen, die nicht ausreichend
für die Reduktion der Treibhausgasemissionen sorgt.
## Keine schweren Straftaten
Dass sie dabei Straftaten begehen, steht außer Zweifel. Nur sind diese eben
nicht von dieser Schwere und Relevanz, dass sie den Vorwurf der Bildung
einer kriminellen Vereinigung stützen könnten. Brocke nimmt all jene
Vorwürfe auseinander, die die Brandenburger Ermittler zur Grundlage ihrer
Ermittlungen gemacht haben: Die Blockade des Flughafens BER, das Abdrehen
von Ventilen in der Raffinerie in Schwedt und eine
[2][Kartoffelbrei-Attacke im Barberini-Museum in Potsdam].
Brocke würdigt all das, was im öffentlichen Aufschrei stets untergeht.
[3][Die Blockade des BER] wurde von den Aktivist:innen zuvor bei der
Feuerwehr angekündigt, eine konkrete Gefährdung des Flugverkehrs habe zu
keinem Zeitpunkt bestanden. Genauso wenig war die Betätigung von
Notfallventilen mehrerer Ölleitungen dazu geeignet, „zu nennenswerten
Störungen von Anlagen oder Unternehmen“ zu führen. „Die Aktionen dürften
den Rahmen eines letztlich symbolischen Charakters nicht überschritten
haben“, so Brocke.
Das gilt ebenso für die Attacken auf Kunstwerke in Museen. Zwar sei dort
mitunter Sachschaden entstanden und die Rahmen beschädigt worden, die
Bilder selbst, die sich hinter einer Glasscheibe befinden, seien aber in
keinem Fall beschädigt worden. Nichts spreche zudem dafür, dass die
Aktivist:innen dies intendiert hätten.
In dem Schreiben geht es zudem um die gängigste Aktionsform der Letzten
Generation, das Blockieren von Straßen, die selbst Brandenburger Ermittlern
nicht als Taten einer kriminellen Vereinigung gelten. Diese fallen, so
schreibt es Brocke, in den „Anwendungsbereich der Versammlungsfreiheit“ und
verlaufen zudem friedlich. Auch beim Ausbremsen des Autoverkehrs auf
Autobahnen durch eigene Fahrzeuge „dürfte es sich um ein langsames
Ausbremsen gehandelt haben, bei dem keine Verkehrsteilnehmenden (konkret)
gefährdet worden sind.“
Diese Woche hat die Berliner Staatsanwalt mitgeteilt, dass sich an ihrer
Einschätzung hinsichtlich des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen
Vereinigung nichts geändert habe. Wieso auch? Ihre Begründungen sind nicht
von der Hand zu weisen.
Wie dagegen die Brandenburger Ermittler das Gegenteil all dessen in einem
Hauptsacheverfahren beweisen wollen, bleibt ein Rätsel. Sie werden sich mit
ihrem Ermittlungseifer blamieren.
20 May 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Erik Peter
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