# taz.de -- Polizeieinsatz in Hannover: Durchsuchung bei verletztem Sanitäter | |
> Ein junger Mann wird überfallen und schwer verletzt. Die Polizei | |
> durchsucht daraufhin seine Wohnung. Einen Gerichtsbeschluss hat sie | |
> nicht. | |
Bild: Offenbar verdächtig: Die Polizei Hannover hielt Verbandsmaterial für ge… | |
Hamburg taz | In Hannover-Linden hat die Polizei ohne Gerichtsbeschluss die | |
Wohnung eines 17-Jährigen durchsucht, nachdem dieser im Treppenhaus seines | |
Wohnhauses schwer verletzt worden war. Während der Geschädigte im | |
Krankenhaus lag, [1][betrat die Polizei seine Wohnung – angeblich zur | |
Beweis- und Spurensicherung.] Vor Ort fand sie große Mengen an | |
Sanitätsmaterial, woraufhin sie dem Minderjährigen vorwarf, dieses geklaut | |
zu haben. | |
Der Schwerverletzte Simon S. ist Mitglied eines Kollektivs von | |
Sanitäter*innen, die Verletzte auf Demonstrationen und nicht kommerziellen | |
Veranstaltungen medizinisch versorgen – das Arbeitsmaterial lagert die | |
Gruppe in der Wohnung des Verletzten zwischen, der Gruppenführer in dem | |
Kollektiv ist. Die Polizei hat das gesamte notfallmedizinische [2][Material | |
beschlagnahmt.] | |
Der Demosanitäter war am vergangenen Donnerstag von mehreren Personen | |
angegriffen worden. Dabei wurde er mit Stich- und Schnittwunden an Armen, | |
Schulter und Brust so schwer verletzt, dass ein Notruf abgesetzt werden | |
musste. Der Rettungswagen brachte den Verletzten daraufhin ins Krankenhaus. | |
Die Polizei beschlagnahmte gegen den Willen des Opfers seine Kleidung sowie | |
sein Handy und seinen Wohnungsschlüssel, wie aus einer Pressemitteilung des | |
Sanitätskollektivs hervorgeht. Die Polizei will ihm die Sachen ebenfalls | |
zur Beweis- und Spurensuche abgenommen haben. Noch während der 17-Jährge | |
sich im Schockraum des Krankenhauses von dem Überfall erholte, hat die | |
Polizei die Wohnung des Demosanitäters durchsucht – ohne dessen Wissen und | |
Einverständnis. | |
Simon S. bestätigt der taz, der Angriff habe sich im Treppenhaus seines | |
Wohnhauses ereignet. Allerdings wohne er im zehnten Stock eines Hochhauses. | |
Dort oben seien keine Blutspuren gewesen, die darauf hindeuteten, dass sich | |
der Angriff in seiner Wohnung zugetragen haben könnte. | |
## Zweifel an Aussage der Polizei | |
Die Polizei gibt an, sie habe die Wohnung auch auf der Suche nach den | |
Täter*innen betreten. Auf taz-Nachfrage, warum die Polizei denn Simon S. | |
nicht selbst nach Personen in seiner Wohnung gefragt habe, antwortete ein | |
Sprecher, der 17-Jährige wäre für eine ausgiebige Befragung zu wenig | |
ansprechbar gewesen. | |
Im Gespräch mit der taz bestreitet Simon S. diese Behauptung. Er berichtet, | |
er sei die ganze Zeit über ansprechbar gewesen. Beispielsweise habe er sich | |
lautstark dagegen gewehrt, dass die Polizei seine persönlichen Gegenstände | |
mitnahm. Er habe sogar versucht, von der Rettungstrage herunterzusteigen. | |
Offensichtlich waren keine Täter*innen in Simon S. Wohnung – schließlich | |
fahndet die Polizei noch immer nach den Unbekannten. Stattdessen stieß die | |
Polizei in der Wohnung auf einen „Zufallsfund“: große Mengen an | |
Sanitätsmaterial. Erst daraufhin hat die Polizei eine Eilanordnung durch | |
die Hannoversche Staatsanwaltschaft für eine Wohnungsdurchsuchung erhalten, | |
bestätigt diese. | |
Richterlich ist die Durchsuchung nicht bestätigt worden, wie das | |
Amtsgericht Hannover gegenüber der taz bestätigt. Eine Anordnung durch die | |
Staatsanwaltschaft reiche aber in Einzelfällen aus, etwa wenn Gefahr im | |
Verzug sei. Jedoch bleibt offen, welche Dringlichkeit vom Sanitätsmaterial | |
ausging, wenn Simon S. zu dem Zeitpunkt selbst verletzt und ohne Kenntnis | |
darüber im Krankenhaus lag. | |
## Zu viel Verbandsmaterial scheint verdächtig | |
Die Polizei Hannover hat nach Angaben eines Sprechers aufgrund der Menge | |
des vorgefundenen Sanitätsmaterials und der Notfallmedikamente Verdacht | |
geschöpft. Das sei für einen 17-Jährigen ungewöhnlich. | |
Simon S. berichtet der taz, dass sich die Polizei nicht bei ihm erkundigt | |
habe, was es mit dem Material auf sich hat. Auf dem Sanitätsmaterial wie | |
auf den ebenfalls in der Wohnung befindlichen Rucksäcken stehe der Name des | |
Sanitätskollektivs: „Medics for peace“. Der Polizei sollte er aus dessen | |
Einsätzen bei Demonstrationen bekannt sein. „Ab dem Zeitpunkt, an dem die | |
Polizei ‚Medics for peace‘ auf dem Rucksack gelesen hat, wirkt es für mich | |
wie ein reiner Repressionsversuch“, sagt der 17-Jährige. | |
Den Verdacht und Vorwurf der Polizei Hannover, die gefundenen | |
Sanitätsmaterialien seien gestohlen, weist das Kollektiv in seiner | |
Pressemitteilung von sich. Ihre Arbeit finanzierten die ehrenamtlichen | |
Notfallhelfer*innen über Spendengelder oder aus eigener Tasche. | |
Auf Instagram teilte das Kollektiv in einem Post bereits am vergangenen | |
Sonntag mit, dass es seiner Arbeit vorerst nicht mehr nachgehen könne. | |
Anfragen, Demonstrationen medizinisch zu begleiten und einen sichereren | |
Protest zu gewährleisten, könnten sie derzeit nicht mehr annehmen – weil | |
die Polizei das gesamte Sanitätsmaterial bei der Durchsuchung der Wohnung | |
von Simon S. beschlagnahmt habe. | |
## Beschwerde gegen Beschlagnahmung | |
Mittlerweile hat der 17-Jährige eine [3][mündliche Beschwerde gegen das | |
Vorgehen der Polizei] wegen der Beschlagnahmung des Sanitätsmaterials | |
eingelegt. Von der Polizei hat er auch ein paar Tage nach der Razzia weder | |
eine Kopie des Durchsuchungsprotokolls noch des Protokolls über die | |
konfiszierten Gegenstände ausgehändigt bekommen, wie es im Fall von | |
Hausdurchsuchungen üblich ist. | |
Das Kollektiv hat mittlerweile eine Spendenkampagne gestartet, um neues | |
Notfallmaterial zu kaufen. | |
1 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nina Nevermann | |
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