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# taz.de -- Geplante Lauterbach-Entführung: Wirrer Auftritt der Angeklagten
> In Koblenz stehen Coronaleugner wegen eines gescheiterten Staatsstreichs
> vor Gericht. Die Angeklagten zählen zum sogenannten Reichsbürgermilieu.
Bild: Die sogenannten Vereinten Patrioten sind für die nächsten Jahre wohl er…
Koblenz taz | Vor dem Oberlandesgericht Koblenz müssen sich seit Mittwoch
fünf Angeklagte aus der Szene der Coronaleugner und
Verschwörungstheoretiker verantworten, die als „nationale Patrioten“ eine
terroristische Vereinigung gebildet und einen Umsturz in Deutschland
vorbereitet haben sollen. Laut Anklage wollten sie
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit einem militärischen Kommando
vor laufenden Kameras aus einem Fernsehstudio entführen.
Mit einer Bombenserie sollte zudem die Energieversorgung in Deutschland
lahmgelegt werden. Die „silent night“ ohne Strom sollte den Staatsstreich
vorbereiten, bei dem die Gruppe die Macht in Deutschland übernehmen wollte.
Mit einem gecharterten Schiff sollte eine fünfköpfige Delegation ins
russische Kaliningrad reisen, um die Anerkennung der Putschisten durch den
russischen Präsidenten Wladimir Putin zu erwirken.
Es sind verstörend unrealistische und skurrile Positionen und Aktionen, mit
denen die Angeklagten aus [1][dem „Reichsbürger“-Milieu] den Putsch gegen
die von ihnen abgelehnte Staatsordnung in Deutschland vorbereitet haben
sollen. Doch abgehörte Telefongespräche, ausgewertete Chats und schließlich
ein versuchter Waffenkauf führten zwischen April und Oktober 2022 zu
Festnahmen. Januar 2023 folgte [2][die Anklage der Bundesanwaltschaft]
wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung einer
schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Zum Prozessauftakt hat zunächst die 75-jährige promovierte Theologin
Elisabeth R. ihren Auftritt, nach Überzeugung der Anklage der ideologische
Kopf der Gruppe. Zwei Justizangehörige müssen die hagere Frau mit den
langen weißen Haaren stützen. Mehrfach ringt sie demonstrativ um Atem. Von
ihr stammt das Programm der Gruppe, sie wollte die Ordnung der
Bundesrepublik als Ergebnis einer „jüdisch jesuitischen Verschwörung“
abschaffen und das Kaiserreich von 1871 wiederherstellen, freilich ohne
Kaiser.
## Auf verdeckte Aktion des LKA hereingefallen
Elisabeth R. widerspricht der Vorsitzenden Richterin, als die ihre
Personalien feststellt. „Ich bin nicht anwesend als Person, sondern nur als
Treuhänder der juristischen Person“, ruft sie in den Saal und bittet um ein
Glas Wasser. Bei der Verlesung der Anklageschrift legt sie ihren Kopf auf
die Bank. „Ich habe Angst, dass ich mich übergeben muss“, erklärt sie
später ihr auffälliges Verhalten.
Von ihr sind in diesem Verfahren weitere verwirrende Auftritte zu erwarten.
Wie sie sitzen auch ihre vier Mitangeklagten in Haft. Im April 2021 hatte
die Polizei den 56-jährigen Thomas O. in Neustadt an der Weinstraße bei dem
Versuch festgenommen, automatische Waffen und Pistolen zu kaufen.
Der ehemalige NVA-Offizier war auf einen verdeckten Ermittler des LKA
hereingefallen. Sven B., 55 Jahre alt und ebenfalls mit NVA-Vergangenheit,
sollte als Chef der Operation „Klabautermann“ die Entführung des
Bundesgesundheitsministers leiten.
Doch die Verteidiger von O. und B. fordern die Einstellung des Verfahrens.
Mit dem Angebot, Waffen zu besorgen, habe der verdeckte Ermittler „Mark“
vom LKA die Straftat erst provoziert, deshalb seien die so erlangten
Beweise nicht verwertbar, argumentiert B.s Anwalt Philipp Grassl.
Zum Zeitpunkt des polizeilichen Zugriffs sei zudem noch gar keine
terroristische Vereinigung gebildet gewesen; zudem seien sämtliche
Aktivitäten der Gruppe unter der Beobachtung der Strafverfolgungsbehörden
abgelaufen, so Grassl.
## Weder Neonazi noch Reichsbürger
Über diesen Antrag auf Einstellung des Verfahrens muss der Senat nun ebenso
entscheiden, wie über eine ganze Reihe von weiteren Anträgen. Zum einen
fordern mehrere Rechtsanwälte eine Ton- oder Videoaufzeichnung, wegen der
zeitgeschichtlichen Bedeutung des Verfahrens. Ein Verteidiger beschwert
sich über die drangvolle Enge auf der Verteidigerbank, ein anderer rügt die
begrenzte Zahl an Plätzen für PressevertreterInnen und Publikum.
Ex-Militär Sven B., der gescheiterte Waffenaufkäufer, der mit einem
MP-Kommando den Bundesgesundheitsminister aus einem Fernsehstudio entführen
wollte, wird jedenfalls die Bühne nutzen, die ihm dieser Prozess bietet. B.
verstehe sich weder als Neonazi noch als Reichsbürger, sondern er habe sich
gegen die Zumutungen des Staates in der Coronapandemie gewehrt, sagt sein
Anwalt.
B. gibt noch im Gerichtssaal zu Protokoll, er werde JournalistInnen gerne
„in Wort und Bild“ zur Verfügung stehen. Doch die Vorsitzende Richterin
stoppt den redseligen Angeklagten. Interviews werde sie nicht zulassen,
stellt sie fest, bevor die fünf Angeklagten in Handschellen abgeführt
werden.
17 May 2023
## LINKS
[1] /Reichsbuerger-in-Deutschland/!5921271
[2] /Bundesanwaltschaft-gegen-Reichsbuerger/!5910570
## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
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