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# taz.de -- Film „Blauer Himmel Weiße Wolken“: Eine Bootsfahrt ins Vergess…
> Der Film "Blauer Himmel Weiße Wolken" der Bremer Regisseurin Astrid
> Menzel erzählt, wie ein geliebtes Familienmitglied mehr als nur tüdelig
> wird.
Bild: Im selben Kanu: Oma, Enkelin und die Belastung durch die Demenz
„Das habt ihr mir nicht gesagt!“ „Doch!“ „Dann hab ich das vergessen!…
diesem Dialog gibt es in „Blauer Himmel Weiße Wolken“ viele Variationen und
selten werden fast identische Sätze in einem Film so oft wiederholt. Aber
nur so kann deutlich gemacht werden, wie es ist, wenn ein Mensch schon nach
wenigen Minuten vergisst, was gerade passierte oder gesagt wurde.
Wie fühlt es sich an mitzuerleben, wie ein geliebtes Familienmitglied
langsam das Gedächtnis verliert? Diese Erfahrung machte die Bremer
Filmemacherin Astrid Menzel mit ihrer Großmutter. Und da sie einige Jahre
lang Szenen aus dem Leben ihrer Großeltern mit ihrer kleinen Digitalkamera
filmte, konnte sie diese zunehmende Auflösung des Erinnerungsvermögens aus
einer sehr intimen, subjektiven Perspektive zeigen. Ursprünglich wollte sie
so die schwere Krankheit und die letzten Tage ihres Großvaters
dokumentieren, doch als dieser dann 91-jährig starb, merkte die Familie,
dass die Oma zunehmend „tüdelig“ wurde.
Auch dieses scheinbar verharmlosende plattdeutsche Wort hört man oft in
diesem Film. So benennt die alte Dame selbst ihre immer größeren
Erinnerungslücken, denn ihre Intelligenz wird durch ihre
[1][Demenzkrankheit] nicht betroffen, und so leiden nicht nur die
Familienmitglieder daran, sondern auch sie selber merkt, was da mit ihr
passiert. Dabei verdrängt sie vieles: Dass sie „tüdelig“ wird, kann die
ehemalige Krankenschwester noch zugeben, aber: „Ich bin doch nicht dement,
ihr seit ja verrückt!“
In solchen Momenten gelingt es Astrid Menzel, deutlich zu machen, wie
tragisch die Situation für alle Beteiligten ist. Und sie selber ist
besonders betroffen, denn sie fühlt sich verantwortlich für ihre
Großmutter, und so entscheidet sie sich dazu, zusammen mit ihrem kleinen
Bruder und der Oma noch einmal eine Flussreise im Familien-Kanu zu machen,
denn die Familie schipperte schon immer gerne auf den norddeutschen
Flüsschen und Seen herum.
Diese Kanutour ist das Kernstück des Films. Hier wird das Geschehen, wie in
einem guten Drama, auf das Wesentliche reduziert. Nebenfiguren und
Nebenschauplätze fallen weg, es geht nur noch um „Drei Menschen in einem
Boot“.
Astrid Menzel war dabei zugleich Protagonistin und die Kamerafrau. Nur am
letzten Tag der Reise machte ein professioneller Kameramann ein paar
Aufnahmen, und so sieht man dieses eine Mal auch das Kanu in einer Totalen
durch das Wasser gleiten.
Diese Bilder sind zwar schön fotografiert, aber das Wesentliche, die
spannungsvoll-intime Beziehung der beiden Frauen, konnte der Profi genau
nicht einfangen. Denn es ist egal, ob bei einigen Filmsequenzen fast nichts
zu sehen ist, weil sie nachts im dunklen Schlafzimmer aufgenommen wurden.
Der Streit, der hier dokumentiert wurde und bei dem man die Verzweiflung
und Wut in der Stimme der alten Dame hört und die Hilflosigkeit ihrer
Begleiter angesichts ihres Ausbruchs spürt, wirkt sogar noch intensiver
dadurch, dass man, genau wie die Beteiligten, im Dunklen bleibt.
Man kommt den Mitgliedern dieser Familie sehr nah, aber Astrid Menzel hat
sich genau überlegt, was sie in ihrem Film zeigt und was sie weglässt. So
wirkt der Film nie voyeuristisch und die Kranke wird auch nie zum kuriosen
Objekt, sondern sie bliebt immer eine selbstbestimmt handelnde Person.
Man merkt den Aufnahmen von Astrid Menzel an, mit wie viel Zuneigung,
Sorgfalt und [2][Respekt] sie auf ihre Großmutter blickt. Dass diese auf
der Reise auch anstrengend sein kann, weil man ihr das Gleiche immer und
immer wieder erklären muss, macht deutlich wie viel Mühe es macht, eine
Demenzkranke zu betreuen.
Aber fast bis zuletzt hat sie auch ihren norddeutsch trockenen Humor
behalten, und wenn sie (natürlich gleich zweimal in wenigen Minuten) davon
erzählt, wie schön sie den blauen Himmel und die weißen Wolken findet, dann
ist dies ein Moment des Glücks auf dieser Reise ins Vergessen.
## Radikal persönlich
Astrid Menzel hat auch filmästhetisch viele richtige Entscheidungen
getroffen. So spricht sie etwa selber – mit ihrer für eine
nichtprofessionelle Erzählerin herausragend guten und klar verständlichen
Stimme – einen Kommentar im Off, in dem sie nicht nur die nötigen
Informationen liefert, sondern auch schildert, wie sie selber sich in den
gezeigten Situationen fühlte. Dabei bleibt sie bodenständig und wird nie
sentimental oder larmoyant.
Auch dadurch wirkt „Blauer Himmel Weiße Wolken“, obwohl der Film davon
erzählt, wie ein Mensch sich vor unseren Augen immer mehr innerlich
auflöst, nicht morbide oder deprimierend. Und gerade weil er so radikal
persönlich bleibt, erzählt er eine universelle Geschichte, denn
[3][ähnliche Erfahrungen machen immer mehr Menschen in ihren Familien.]
Ist der Film also ein Heilmittel gegen das Vergessen? Nicht für die
Großmutter, die schon sehr bald die ganze Reise vergessen hatte. Und wenn
sie nun den Film und sich selber darin sieht, erinnert dies sie nur daran,
dass sie sich an nichts mehr erinnern kann. Aber auch das vergisst sie
gleich wieder.
30 May 2023
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## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Demenz
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