# taz.de -- Dokumentarfilm „Kurs Südwest“: Nur Kajak, Kamera und Zelt | |
> Der Göttinger Student Lukas Borchers hat aus seiner Kajak-Tour durch halb | |
> Europa im Alleingang einen Film gemacht. Entstanden ist ein langes | |
> Selfie. | |
Bild: Das Zelt ist der Ort abendlicher Reflexion und stimmungsvoller Ausblicke … | |
Einst brauchte man, um einen Film zu machen, ein Filmteam und viel Geld. | |
Kamera, Ton und Schnitt waren technisch so anspruchsvolle Gewerke, dass nur | |
Fachleute sie beherrschten, und die Ausrüstung sowie das Filmmaterial waren | |
teuer. | |
Inzwischen kann man Filme mit dem Smartphone drehen und die technischen | |
Herausforderungen sind nur noch Fragen der richtigen Software. Und so kann | |
der Göttinger Student der Wirtschaftsinformatik, Lukas Borchers, ganz | |
allein einen Dokumentarfilm über seine Kajaktour auf der Rhône, der Loire | |
und auf dem Atlantik produzieren, der durchaus für das Kino tauglich ist, | |
also auch auf der großen Leinwand noch gut aussieht und das Publikum 102 | |
Minuten lang nicht langweilt. | |
Allerdings nur, wenn man weiß, worauf man sich einlässt, denn so | |
abenteuerlich, wie im Titel versprochen, geht es in „Kurs Südwest“ nur | |
selten zu. Einmal kentert Borchers mit seinem Kajak in den Stromschnellen | |
bei einer Staustufe und im [1][Atlantik] wirft ihn eine hohe Brandung aus | |
seinem Boot. Aber ansonsten besteht das Abenteuer darin, dass er auf seiner | |
vier Monate langen Reise allein durch halb Europa paddelt, abends allein in | |
seinem Zelt sein Süppchen kocht und im Regen lieber auf dem Fluss | |
weiterpaddelt, weil es im Kajak für ihn „warm und trocken“ ist. | |
Im Grunde ist der Film ein langes [2][Selfie], aber zum Glück hat Lukas | |
Borchers nichts von dem digitalen Exhibitionismus an sich, der vieles auf | |
Youtube so unerträglich macht. Stattdessen erzählt er sachlich und mit | |
leicht selbstironischer Distanz davon, was es heißt, 2.000 Kilometer am | |
Stück auf dem Wasser zurückzulegen. Zum Teil spricht er seine Kommentare | |
selbst in die Kamera. Aber er erzählt auch durchgängig im Stil eines | |
Reisetagebuchs aus dem Off, wo er gerade paddelt und was ihm da passiert. | |
Dokumentarfilmer*innen werden oft zu Recht davor gewarnt, solche | |
Kommentare in der Ich-Form selbst einzusprechen. Stattdessen sollten sie | |
dies Profis überlassen. Anders bei Borchers. Auch bei ihm merkt man, dass | |
er es nicht gewohnt ist, lange Texte einzusprechen. Atmung und Rhythmus | |
sind manchmal ungelenk und die Texte werden hörbar abgelesen. Aber | |
seltsamerweise gewöhnt man sich schnell daran und es wirkt so viel | |
authentischer. | |
Dies ist der große Pluspunkt des Films: Da wird nicht oder nur wenig | |
geschummelt und meistens kann man genau nachvollziehen, in welcher | |
Situation Borchers welche Aufnahmen macht. Zuerst lassen die Luftaufnahmen | |
von schönen Landschaften wie dem [3][Rhônetal] daran zweifeln, aber dann | |
zeigt Borchers, wie er eine Drohne einmal aus dem fahrenden Kajak heraus | |
startet und wieder einfängt. Er hat sich offensichtlich viele Gedanken | |
darüber gemacht, wie er seine Tour kinotauglich bebildern kann. Dies ist | |
also kein digitaler Reisebericht, sondern eine Kinoproduktion, die | |
erstaunlich professionell wirkt. | |
Seltsam wirkt nur, dass Borchers auf seiner Reise durch [4][Frankreich] | |
niemanden zu treffen scheint. Er filmt sich immer nur selbst, und als ihm | |
dann einmal doch andere Kajakfahrer dabei helfen, sein Boot an einer | |
Staustufe über einen Schotterweg zu schleppen, sieht man sie nur für wenige | |
Sekunden im Hintergrund. | |
Tatsächlich hört man die erste Stimme von einem anderen Menschen nach mehr | |
als einer Stunde. Und dies auch nur, weil Borchers nach einigen Wochen | |
Paddeln im Atlantik aufgibt, weil es zu gefährlich wird und er für das | |
letzte Kapitel der Reise von einem alten Segelschiff auf Kreuzfahrt in | |
Richtung Brasilien mitgenommen wird. Auch hier hört man nur ein paar Worte | |
von der Segelcrew. Im ganzen Film gibt es keinen Dialog. | |
Die minimalistische Begrenzung ist stilistisch konsequent: Borchers sieht | |
seine Reise vor allem als Gelegenheit an, ihre technischen Schwierigkeiten | |
und körperlichen Herausforderungen zu überwinden. Daran, wirklich „Land und | |
Leute“ kennenzulernen, hat er wenig Interesse, und der Segeltörn wirkt dann | |
wie ein überflüssiger Epilog. Gerade die Sturheit, mit der er sein | |
Abenteuer angeht, machen ihn und seinen Film sympathisch. Für eine | |
Fortsetzung könnte er ja als Alleinsegler den Atlantik überqueren. | |
21 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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