# taz.de -- Spielfilm „Human Flowers of Flesh“: Die junge Frau und das Meer | |
> Regisseurin Helena Wittmann zeigt einen Mittelmeer-Segeltörn, der den | |
> Spuren der Fremdenlegion folgt, um deren Männlichkeitskult zu verstehen. | |
Bild: Scheinbar absichtslos unterwegs: Ida (Angeliki Papoulia) und ihre Crew | |
Bremen taz | Das Blau des Meerwassers und die Sonne in den Gesichtern der | |
Bootsmannschaft. Die Handgriffe, mit denen Segel gesetzt oder eine | |
Seilrolle repariert werden. Das Schwappen der Wellen, das Knarren der | |
Planken. So sinnlich und poetisch wie hier wurde eine Reise auf einem | |
Segelboot im Kino nur selten dargestellt. | |
In ihrem experimentellen Spielfilm „Human Flowers of Flesh“ erzählt | |
[1][Helena Wittmann] von der Fahrt eines Segelboots über das Mittelmeer, | |
von Marseilles bis nach Algerien. Wobei: „Erzählt“ ist nicht das passenden | |
Wort dafür, wie die Hamburgerin Filme macht. | |
So gibt es hier keine herkömmliche Geschichte. Ja: eine Protagonistin, Ida, | |
der das Boot gehört, auf dem sie mit ihrer ausschließlich männlichen Crew | |
lebt. Aber wir erfahren so gut wie nichts über Ida – außer, dass sie in | |
Marseille [2][Fremdenlegionäre] sieht und so fasziniert von deren | |
männlichem Mikrokosmos ist, dass ihr Segeltörn deren Spuren folgt. | |
Diese Recherche bildet den Kern des Films: Es wird aus Büchern über die | |
Fremdenlegion vorgelesen, Geschichten und Gerüchte werden kolportiert, | |
Gedichte rezitiert; und man hört einige ihrer Lieder mit ihrer Mischung aus | |
Sentimentalität, Todessehnsucht und Obszönitäten. | |
## Irritierende Parallelmontage | |
Dialoge gibt es dagegen kaum, stattdessen zitiert oder übersetzt jeweils | |
ein Crewmitglied die Fundstücke. Und weil die Crew aus – wie man mitunter | |
sagt – aller Herren Länder kommt, so wie auch die Legionäre, wird im Film | |
Englisch, Französisch, Portugiesisch, Tamazight und Serbokroatisch | |
gesprochen – aber kein Wort Deutsch. Bei entsprechend durcheinander | |
gehenden Unterhaltungen werden auch mal die Untertitel weggelassen: Der Ton | |
ist Wittmann hier wichtiger als das Verständnis. | |
Hat man sich erst daran gewöhnt, dass kaum geredet wird, sondern eher | |
vorgetragen, merkt man, wie interessant und erhellend die ausgewählten | |
Quellen sind: So wird etwa vom ehemaligen Hauptsitz der Fremdenlegion Sidi | |
bel Abbès in [3][Algerien] erzählt, dass es dort auch eine Konditorei gab, | |
weil damals so viele Deutsche in der Fremdenlegion dienten – und gerne | |
Kuchen aßen. | |
Bei den Aufnahmen einer Truppenübung bedient sich Wittmann dann doch einmal | |
aus der Trickkiste des Erzählkinos: In einer Parallelmontage sieht man die | |
Soldaten mit den Gewehren im Anschlag, im Gegenschnitt Mitglieder der | |
Segelcrew, nichts ahnend durch eine ganz ähnliche Waldlandschaft wandernd. | |
Sind sie in Gefahr? Und was passiert, wenn Ida am Ende des Films in | |
Algerien einen Fremdenlegionär auf der Straße sieht und diesem ihr völlig | |
Fremden in seine Wohnung folgt? | |
Immerhin treffen in dieser Sequenz mit Angeliki Papoulia und Denis Lavant | |
zwei Stars des internationalen Films aufeinander. Aber wiederum verweigert | |
Wittmann eine konventionelle dramatische Auflösung – die wäre bei diesem | |
Film aber auch nur ein enttäuschender Stilbruch wäre. | |
Insgesamt ist Wittmanns Bildsprache gewöhnungsbedürftig, so gibt es einige | |
sehr lange Einstellungen. Aber es gelingt ihr das Lebensgefühl der Gruppe | |
junger, scheinbar absichtslos reisender Menschen umso eindringlicher zu | |
vermitteln. | |
Dabei macht sie auch immer deutlich, mit welchen filmischen Mitteln sie | |
arbeitet: Gedreht hat sie „Human Flowers of Flesh“ auf | |
[4][16-Millimeter-Kodakfilm], da sind Material- und Belichtungsfehler | |
üblich. Diese im herkömmlichen Sinne misslungenen Aufnahmen hat Wittmann, | |
verantwortlich für Regie, Drehbuch, Kamera und Schnitt, nun aber nicht etwa | |
weggeschmissen, sondern in ihren Film integriert. | |
Und so sieht man manchmal nur die Farbe Blau auf der Leinwand oder | |
Unreinheiten auf dem Filmmaterial. Auch daran merkt man, dass das Bild | |
Helena Wittmann wichtiger ist als die Handlung: Sie erzählt nicht, sondern | |
zeigt. | |
Eine Konstante ist dabei ihr Interesse an Seefahrt und Meer: In ihrem | |
[5][Debütfilm „Drift“ (2017)] treffen sich zwei Freundinnen auf Sylt und | |
treten beide lange Seefahrten an: die eine über den Atlantik nach | |
Argentinien, die andere in einem Segelboot in der Karibik. | |
Eine Videoinstallation Wittmanns hat den Titel „Look! Das Meer!“ Und in | |
ihrem neuen Film hat sie Mikroskopaufnahmen vom kleinsten Meereslebewesen | |
und Unterwasseraufnahmen integriert. „Human Flowers of Flesh“ ist ein Film, | |
bei dem man von jeder Einstellung neu überrascht wird und in dem Helena | |
Wittmann einen Männlichkeitskult mit dem neugierigen Blick auf etwas ihr | |
völlig Fremdes betrachtet. Erklärt sich so der Titel? Sind die Legionäre | |
für sie „Menschliche Blumen aus Fleisch“? | |
3 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] http://www.helenawittmann.de/ | |
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[4] /Das-Zelluloid-Kino-lebt/!5432037 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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