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# taz.de -- Provisorische Ölraffinerien in Syrien: Schwarzer Ruß über jedem …
> Mohameds Kinder hören nicht auf zu husten. Sie leben nahe einer
> Raffinerie, die Erdöl über offener Flamme auskocht. Die Folgen sind
> dramatisch.
Bild: Rauch, Ruß, Einkommen: Provisorische Raffinerien sind zweischneidig
Vor Beginn der Revolution im Jahr 2011 und des darauffolgenden Krieges in
Syrien galt der Nordosten des Landes als Kornkammer der Region. Der Krieg
hat seitdem nicht nur mindestens 350.000 Menschenleben gefordert und 80
Prozent der Bevölkerung in die Armut gestürzt, sondern in dem fruchtbaren
Gebiet zu einer Umweltkatastrophe geführt. Der Grund ist der Kampf um das
Erdöl.
Von 2013 bis 2017 kämpften verschiedene rivalisierende Gruppen, unter
anderem auch die [1][dschihadistische Terrorgruppe „Islamischer Staat“], um
die Kontrolle über die lukrativen Erdölfelder im Nordosten Syriens. Dabei
wurden viele Raffinerien zerstört sowie die Pipeline, welche die
Förderanlagen des Nordostens mit der zentralen Raffinerie in der Stadt Homs
verbindet, die von dem Regime Baschar al-Assads kontrolliert wird.
Seitdem wird Erdöl wieder auf die alte Art raffiniert: Über einer offenen
Flamme steigen giftige Dämpfe ungefiltert empor, schwarzer Ruß legt sich
über die Arbeiter, über jeden Grashalm in der Nähe der Behelfsraffinerien.
Diese operieren nahe der Menschen, inmitten landwirtschaftlich genutzter
Flächen oder in den Dörfern, die in der Nähe der Ölfelder liegen. Laut
einer Studie der [2][niederländischen Friedensorganisation PAX] gibt es in
Nordsyrien etwa 30.000 Behelfsraffinerien auf insgesamt 1.400 Ölfeldern –
mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur.
## Rasanter Anstieg der Krebserkrankungen in Syrien
„Wolken von Qualm hängen am Himmel, unsere Kinder husten pausenlos, und
wegen des Gestanks ist uns die ganze Zeit übel. Wenn wir morgens aufwachen,
ist das, was wir ausspucken, manchmal grau“, erzählt Mohamed. Er lebt im
Umland von Rmelan, einer Kleinstadt südlich von Hasaka. Seine beiden Kinder
leiden an einer chronischen Atemwegserkrankung.
Auch im Hochsommer müssen Fenster und Türen geschlossen bleiben, selbst
wenn es im Haus unerträglich heiß wird, weil wieder einmal der Strom
ausgefallen ist und die Klimaanlage nicht funktioniert. „Meine Kinder
bekommen von der Luft hier Asthmaanfälle“, sagt er. „Es ist, als ob wir den
Tod einatmen würden.“
Ärztinnen und Ärzte aus der Region berichten von einem rasanten Anstieg der
Krebserkrankungen. Ende 2016 erhob das auf Tumorbehandlungen spezialisierte
Universitätsklinikum Al Bayrouni in Damaskus eine Studie dazu: 7.000
Krebserkrankungen werden pro Jahr im Schnitt neu diagnostiziert.
Einer der wenigen Onkologen, die das Land noch nicht verlassen haben, ist
Doktor Danish, der eine Praxis in Qamischli im kurdisch kontrollierten
Nordostsyrien betreibt. Er schätzt, dass die Krebserkrankungen in der
Region im letzten Jahr um etwa sieben Prozent zugenommen hätten.
Insbesondere seien Menschen betroffen, die in der Nähe der Ölfelder und
Raffinerien leben. „Bei Frauen beobachten wir vor allen einen Anstieg der
Brustkrebszahlen, bei Männern ist es Lungenkrebs und bei Kindern Leukämie.“
Besonders gefährdet seien Menschen wie Adel Fattah, ein 37-Jähriger aus
einem Dorf nahe der türkisch-syrischen Grenze. Seit mehr als sechs Jahren
betreibt er eine Raffinerie. Er sei keiner dieser primitiven Ölkocher,
darauf legt er Wert. Trotzdem steigen auch hinter ihm schwarze Rauchsäulen
auf, während er seine Arbeit erklärt: „Der Raffinationsprozess dauert 24
Stunden. Wenn wir die Anlage dann öffnen, steigt schwarzer Qualm auf, aber
weniger und nicht so lange wie bei den anderen. Zwar brauchen die nur etwa
sieben Stunden für das Raffinieren, aber dafür qualmt es die ganze Zeit.“
## Lösungen? Gibt es nicht
Für die Arbeiter sei das Gesundheitsrisiko dennoch hoch, gibt er zu. Zum
einen trügen sie keine Schutzausrüstung, sodass die bei der Produktion
entstehenden Gase sie mittelfristig krank machen könnten, zum anderen sei
der Betrieb der Anlage selbst gefährlich. Wenn die Arbeiter zu unerfahren
oder zu unvorsichtig seien, könne der Öltank explodieren.
Auch wenn Fattah und seine Kollegen wissen, wie gefährlich ihre Arbeit ist
und was die Langzeitfolgen für ihre Gesundheit sind, haben sie kaum eine
andere Wahl. Ihre Arbeit ernährt viele Familien – auch die Fattahs: ihn,
seine Frau und die vier Töchter. Die Behelfsraffinerien stellen zudem für
Hunderte Arbeiter eine Einkommensquelle dar und decken den Bedarf der
Region an Brennstoffen zum Heizen und Kochen sowie an Kraftstoffen für den
Transport.
Lösungen, wie das Problem behoben werden könnte, gibt es nicht. Kürzlich
baute die [3][kurdische Selbstverwaltung Nordostsyriens] in Zusammenarbeit
mit einem US-amerikanischen Unternehmen eine moderne Raffinerie auf den
Rmelan-Feldern in der Provinz al-Hasaka. Diese kann 3.000 Barrel Öl pro Tag
verarbeiten, was die Abhängigkeit von den improvisierten Raffinerien
verringern soll.
Jamsheed Oskan, ein Chemieingenieur des Ölfelds Qara Shouk, schlägt zudem
vor, Raffinerien in der Nähe von Flüssen zu errichten, um giftige Gase wie
Kohlenstoffoxide, Wasserstoff und Schwefeloxide über das Wasser abzuleiten.
In der Nähe der Raffinerien sollten außerdem Bäume gepflanzt werden, die
Gase absorbieren und Sauerstoff abgeben. Außerdem empfiehlt er, die
Arbeitenden mit kalzium- und eisenreichen Lebensmitteln wie Eiern und Milch
zu versorgen. Nach einer nachhaltigen, umweltfreundlichen Lösung klingt das
jedenfalls nicht.
Hadeel Salem, Al-Darbasija, Syrien
1 Jul 2023
## LINKS
[1] /IS-Gefangene-in-Syrien/!5940042
[2] https://paxforpeace.nl
[3] /IS-Prozesse-in-Nord--und-Ostsyrien/!5932880
## AUTOREN
Hadeel Salem
## TAGS
Fossile Rohstoffe
Gesundheit
Erdöl
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