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# taz.de -- Neuauflage von R2G in Bremen: Weiter so!
> Die Bremer SPD will mit Grünen und Linken Koalitionsverhandlungen führen.
> Das ist besser als Kommentator:innen und Opposition behaupten.
Bild: Bremen wird auch künftig von SPD-Bürgermeister Bovenschulte (Mitte) sam…
„Es kann kein ‚Weiter so‘ geben“, singen in Bremen im Chor die
Leitartikler:innen sowie CDU- und FDP-Politiker:innen, nachdem sich am
Mittwoch [1][die Wahlgewinnerin SPD] für eine Fortsetzung der
rot-grün-roten Koalition entschieden hat. Ab Dienstag sollen nach Befassung
der jeweiligen Parteigremien Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden.
Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) besänftigt vorsichtshalber jetzt
in seinen Statements alle, die angesichts der Fortsetzung dieser Koalition
Stresspickel bekommen, [2][weil sich die Welt in den letzten vier Jahren
nicht genau so verändert hat], wie sie es je nach persönlichen Vorlieben,
Abneigungen und Geschäftsinteressen für richtig halten.
Für viele in Bremen – so klingt es aus Leserbriefen, Wahlkampf-Slogans der
Opposition und Kommentaren – bedeutet das, dass sie eine hübsche Innenstadt
mit schicken Geschäften bekommen, die sie sowohl mit Bus, Auto, Rad, zu Fuß
und vielleicht auch Fähre gleichermaßen gut erreichen, ohne dass sich
irgendwer in die Quere kommt. Die Armut soll bitteschön auch verschwinden,
Kriminalität sowieso und ach ja, Bildung gibt es ja auch noch.
Es wäre doch fein, wenn nicht nur die Mittelschichtskinder in ihren
Gymnasial- und Privatschulgettos lesen und rechnen lernen, sondern auch die
anderen am Stadtrand, die mit den schwierig auszusprechenden Nachnamen, die
aus Sicht der Privilegierten zum Glück nicht dieselben Schulen besuchen wie
ihre Kinder, die aber den Schnitt [3][bei den Länder-Schulvergleichen]
immer so übel nach unten drücken. Wie sieht denn das aus!
## Genau das braucht Bremen
Allen, die so denken, spricht Bovenschulte am Mittwoch aus der Seele, als
er nach der Entscheidung des SPD-Vorstands für Rot-Grün-Rot vor die Kameras
tritt. Die neue alte Koalition müsse „besser“ werden, das hätten ihr die
Wähler:innen ins Stammbuch geschrieben. „Es kann ja nicht einfach ein
‚Weiter so‘ geben.“
An dieser Stelle sei entgegnet: Doch, unbedingt, genau das braucht Bremen
und profitieren werden davon auch andere: Wenn das klitzekleine Bundesland,
in dem sich Bürger:innen und Entscheider:innen täglich drei Mal über
den Weg laufen, als Labor dient, in dem an der Zukunft experimentiert wird.
Denn die Frage hat Bovenschulte in demselben Statement auch aufgeworfen:
„Mit wem können die Zukunftsherausforderungen am besten gelöst werden?“
Nun gibt es immer eine Reihe von Herausforderungen, die gelöst werden
müssen, hier eine Krise, dort eine Krise, ein Haushaltsloch mehr oder
weniger. Aber dabei geht es doch immer irgendwie um die unmittelbare
Gegenwart, während es eine relativ neue Erfahrung für Wähler:innen ist,
dass auf diese die Zukunft angesichts der Klimakrise nicht mehr
zwangsläufig folgt, sondern nur dann, wenn wir unseren – pardon – Arsch aus
dem Fernsehsessel hochkriegen.
Und um im Laborbild zu bleiben: Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, das
ginge ohne Krachen und Scheppern? Dass sich zum Beispiel
Autoliebhaber:innen und grüne Umweltsenator:innen nicht in die
Quere kommen? Oder Umweltschützer:innen und Bremerhavener
Hafenpolitiker:innen, die die Weser zur Not auch persönlich ausbuddeln
würden? Linke Sozialpolitiker:innen und grüne Wärmepumpenfans,
Warmduscher und Verzichtsrhetorikerinnen?
Nächste Frage: Wer traut der CDU – außer einigen ihrer Anhänger:innen –
zu, dass sie in einer Koalition mit der SPD harte Klimaschutzmaßnahmen auf
den Weg bringt? Wie gut sich mit einseitig auf Wirtschaftsförderung
ausgerichteten Parteien in dieser Hinsicht zusammenarbeiten lässt, erleben
SPD und Grüne derzeit im Bund, wo die FDP in der Ampel-Koalition das
Heizungsgesetz blockiert.
Die Bremer SPD weiß das alles ganz genau. Und sie weiß auch, dass sie die
Grünen braucht, um sie vorzuschicken. Wenn die zehn Schritte in Richtung
postfossiler Energie rennen, kann die SPD sie um die Hälfte zurückpfeifen
und steht super da.
Würde Bovenschulte finden, dass „Jetzt mal alles ganz anders“ auch für
seine eigene Partei gilt, dann bestünde die Aufgabe der SPD darin, den
Bremer:innen zu erklären, warum es auch für sie kein „Weiter so“ geben
kann. Warum es in ihrem Interesse sein könnte, sich von lieb gewonnenen
Wohlstandsgewohnheiten zu verabschieden, zum Beispiel dem Parken im eigenen
Auto vor der eigenen Haustür.
Aber gut, es gibt ja neben dem Klimawandel und der Frage, wie breit Radwege
sein dürfen, noch andere Probleme, allen voran die hohe Armutsquote und
deren Folgen wie Bildungsferne und Drogenkriminalität. Dass Rot-Grün-Rot an
deren Bekämpfung genau so scheitern wird wie die Regierungen der letzten 30
Jahre, muss sie allerdings erst noch unter Beweis stellen.
## Pandemie gut bewältigt
Weil es schnell in Vergessenheit geraten ist: Wir hatten gerade eine
Pandemie und keinerlei Ahnung, wie damit umzugehen ist. Alle
Gesellschaftsbereiche, auch die Politik, waren im Dauerkrisenmodus.
Das begann etwa ein halbes Jahr, nachdem SPD, Linke und Grüne ihre Arbeit
aufgenommen hatten, und sie hat die Politik bis zum Frühjahr 2022
beschäftigt, also die Hälfte der Legislaturperiode. Langeweile kam auch
danach nicht auf, dafür hat ein Herr Putin gesorgt, denn tatsächlich kamen
auch in Bremen ukrainische Kriegsgeflüchtete an und die Energiekrise.
Was wäre also so verkehrt an einem „Weiter so“? Schließlich hat diese
vermeintlich linksgrünversiffte Koalition die Krisen gerade auch im
Vergleich mit anderen Bundesländern ziemlich gut bewältigt.
Dabei hat es offensichtlich überhaupt nicht geschadet, mit der Linken ein
paar echte Sozialpolitiker:innen in Schlüsselfunktionen sitzen zu
haben. All das scheint einigen weniger wichtig als Nickeligkeiten um
missglückte Verkehrsexperimente und Brötchentasten sowie um
Law-and-Order-Politik gegen Drogenkriminalität am Hauptbahnhof oder
Warteschlangen vor Bürgerservicecentern.
## Bildung geht besser
Wenn es in irgendeinem Politikbereich wirklich kein „Weiter so“ geben darf,
dann in dem, an dem die SPD so klebt wie in Berlin die jungen Leute auf der
Straße: dem Bildungsressort.
Hamburg macht vor, dass Schulen einen kleinen Teil von dem wett machen
können, [4][was manche Eltern ihren Kindern als Babys und Kleinkinder nicht
mitgeben konnten] – in den Ländervergleichen zu Schulleistungen liegt
Hamburg nach vielen Jahren am Tabellenende mittlerweile im Mittelfeld.
Vielleicht gelingt das in Bremen, ohne Lehrkräfte und
Sozialarbeiter:innen zu verprellen.
26 May 2023
## LINKS
[1] /Landtagswahl-in-Bremen/!5931840
[2] /Schwaechelnde-Gruenen-nach-der-Bremen-Wahl/!5931782
[3] /Studie-zu-Lesekompetenz/!5931959
[4] https://www.zeit.de/2023/11/brise-bremen-fruehkindliche-entwicklung
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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