# taz.de -- Sozialleistungen auf dem Prüfstand: Bremen will nicht mehr zu sozi… | |
> Eine Senatskommission soll untersuchen, wo Bremen im Sozialen mehr | |
> ausgibt als der Bundesdurchschnitt – um im Anschluss zu kürzen. | |
Bild: Teilhabe Behinderter ist ein Bereich, in dem Bremen pro Einwohner*in mehr… | |
Bremen taz | Bremen will evaluieren, wo es im Sozialen über dem | |
Durchschnitt liegt und herausfinden, wo das Land besonders großzügig | |
agiert. Das Ziel ist aber nicht, ein Ranking als soziale und lebenswerte | |
Stadt zu gewinnen, sondern eine mögliche Kürzung der Sozialleistungen auf | |
den Durchschnitt vergleichbarer Städte vorzubereiten. | |
Am Dienstag hat der Senat die ressortübergreifende Kommission | |
„Sozialleistungen“ aufgestellt. Die Kommission ist Teil der | |
Sparanstrengungen, die das hoch verschuldete Bremen [1][im Herbst dem | |
Stabilitätsrat versprechen musste], um für seinen Schuldenabbau weiterhin | |
die jährliche Sanierungshilfe von 400 Millionen Euro zu erhalten. | |
Neben Bürgermeister und Sozialsenatorin sind auch die Gesundheitssenatorin, | |
die Bau- und Mobilitätssenatorin, die Bildungssenatorin und der | |
Finanzsenator Teil der Kommission. All ihre Ressorts sind in irgendeiner | |
Form an Sozialausgaben beteiligt. | |
Rund 1,3 Milliarden Euro des 3,6-Milliarden-Euro-Etats der Stadt gingen | |
2024 für Soziales drauf. Doch nur auf einen kleinen Teil davon hat Bremen | |
Einfluss: Mehr als 90 Prozent betreffen Pflichtaufgaben, die auch in der | |
Höhe durch Bundesgesetze vorgegeben sind. Kosten für Pflegebedürftige und | |
Kosten für Sozialhilfeempfänger, etwa Kosten für die Unterkunft, gehören | |
dazu. | |
## Armut ist ungleich verteilt | |
Inwiefern Bremen bei den Sozialausgaben über anderen Ländern liegt, ob die | |
Sozialausgaben pro Bedürftigem überhaupt über dem Bundesschnitt liegen, | |
darauf will sich die Sozialbehörde am Mittwoch nicht festlegen. Das | |
festzustellen, sei Aufgabe der eingerichteten Kommission. | |
Tatsächlich ist es nicht ganz leicht, auf die Schnelle einen validen | |
Vergleich mit anderen Bundesländern oder Großstädten zu ziehen – auch, weil | |
so viele Ressorts und Problembereiche zu den Ausgaben beitragen. Dazu | |
kommt, dass ein reiner Vergleich der Summen nicht sehr aussagekräftig ist – | |
schließlich ist [2][Armut ungleich verteilt.] | |
In keinem anderen Bundesland bekommen im Verhältnis so viele Menschen | |
Sozialhilfe. Auch bei den freiwilligen Leistungen hängt die Höhe am Ende an | |
der Armutsquote: Vergünstigte Sozialtickets für den Nahverkehr etwa bieten | |
viele Städte an, in einer Stadt mit hoher Armut profitieren aber mehr | |
Menschen davon – die Kosten für die öffentliche Hand sind höher. Für einen | |
echten Vergleich sind damit die Ausgaben pro Fall interessanter als | |
Sozialausgaben pro Einwohner*in. | |
Peter Zernechel, Pressesprecher des Sozialverbands Deutschland, warnt daher | |
davor, höhere Ausgaben zur Grundlage von Kürzungen zu machen. „Dort zu | |
kürzen, wo besonders viele Menschen Unterstützungsbedarf haben, spart zwar | |
mehr Geld ein, aber man bringt damit eben auch [3][besonders viele Leute in | |
Probleme.“] | |
## Gute Gründe für überdurchschnittliche Sozialausgaben | |
Auf Nachfrage wiegeln Sozialbehörde und Senatskanzlei ab: Die Kommission | |
liefere eine Art Bestandsaufnahme. Vom Ziel, auf den Durchschnitt zu | |
kürzen, könne es am Ende auch Ausnahmen geben. Denn natürlich gibt es für | |
viele hohe Sozialausgaben gute Gründe – und einen politischen Willen: Ein | |
Bereich, in dem Bremen mehr ausgibt, als andere Länder, ist die Teilhabe | |
Behinderter. Pro Einwohner*in waren es 2021 344 Euro, in den | |
Stadtstaaten Hamburg und Berlin lagen die Ausgaben pro Kopf bei nur rund | |
270 Euro. | |
Auch die Offene Kinder- und Jugendarbeit ist pro Minderjährigem besser | |
ausgestattet als anderswo. „Angesichts der hohen Kinderarmut halten wir es | |
für richtig, Geld in die Hand nehmen, um Kinder und Jugendliche zu | |
fördern“, schreibt eine Sprecherin der Sozialbehörde. Die Senatskommission | |
werde sich auch dieses Themenfeld ansehen – ob dort gekürzt werde, das sei | |
aber „vor der Beratung rein spekulativ“. | |
Das Ziel der Kommission ist dennoch grundsätzlich klar: Die | |
Sozialleistungen sollen „im Regelfall nicht über Bundesdurchschnitt | |
beziehungsweise sachgerecht nicht über Stadtstaaten- oder | |
Großstädtedurchschnitt liegen“, heißt es im Senatsbeschluss. Deshalb soll | |
unter anderem die Effizienz bei der Leistungserbringung geprüft werden – | |
vielleicht versickern Mittel im Hilfesystem, ohne Bedürftigen zugute zu | |
kommen. | |
Aber auch „Standardabsenkungen“ und „Leistungsreduzierungen“ stehen in … | |
Senatsvorlage, also Maßnahmen, die die Bedürftigen selbst treffen würden. | |
Konkret wird das im Beschluss am Bereich der öffentlichen Unterbringung, | |
etwa von Geflüchteten oder Obdachlosen festgemacht: So sollen etwa die | |
Miethöhen für angemietete Unterkünfte geprüft werden, aber eben auch | |
Leistungen auf das Niveau anderer Länder abgesenkt werden. „Das betrifft | |
auch die Mehrpersonenunterbringung“, heißt es: Wo es Einzelzimmer gab, | |
müssen sich Untergebrachte dann womöglich häufiger mit Mehrbettzimmern | |
begnügen. | |
Auch wenn Senatskanzlei und Sozialbehörde betonen, dass die Kommission | |
ergebnisoffen ist – dass am Ende gekürzt wird, ist wahrscheinlich: Nicht | |
nur schaut der Stabilitätsrat wieder mit strengerem Blick auf Bremens | |
Sparbemühungen. Seit die Schuldenbremse wieder greift, ist einfach auch der | |
reale Spielraum für den Zwei-Städte-Staat enorm klein geworden. Die | |
Haushaltseinnahmen werden weitgehend von Pflichtaufgaben aufgefressen. | |
Sparen wird alternativlos. | |
15 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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