| # taz.de -- Tod im Polizeigewahrsam: Festgenommener war gar nicht Täter | |
| > Ein in Braunschweig auf der Polizeiwache verstorbener Schwarzer Mann war | |
| > das Opfer: Ein Überwachungsvideo widerspricht nun den Zeugenaussagen. | |
| Bild: Edelstahl und Kacheln: Blick in eine Gewahrsamszelle | |
| Hamburg taz | Im [1][Fall des Schwarzen Mannes, der nach seiner | |
| Ingewahrsamnahme durch die Braunschweiger Polizei gestorben ist], gibt es | |
| eine Wende. Wie die Braunschweiger Zeitung unter Berufung auf die | |
| Staatsanwaltschaft berichtete, war der Mann mit dem Spitznamen Johnson gar | |
| nicht der Täter, sondern das Opfer. | |
| Die Ereignisse spielten sich am Neujahrsmorgen 2023 in [2][Braunschweigs | |
| Kultviertel] ab. Die Polizei wurde in die Kneipe „Charlie Chaplin“ gerufen, | |
| wo sie vier durch Pfefferspray Verletzte vorfand. Drei der Verletzten und | |
| einige weitere Gäste deuteten nach Auskunft der Polizei auf den 38-jährigen | |
| Mamadou B. alias Johnson. „Eine Vielzahl von Zeugen hat ihn als Täter | |
| identifiziert“, sagte Polizeisprecher Dirk Oppermann. | |
| Seine Kollegen hätten Mamadou B. angesprochen, woraufhin dieser sich | |
| gewehrt habe und die Beamten ihn mitgenommen hätten. Später, im Gewahrsam, | |
| habe er Polizeimitarbeiter mit Fäusten geschlagen. Um festzustellen, ob B. | |
| Drogen oder Alkohol im Körper hatte, sollte ihm eine auf der Wache Dienst | |
| tuende Ärztin Blut abnehmen. Dabei habe sie B. bewusstlos in seiner Zelle | |
| gefunden. Die Ärztin habe sofort versucht, ihn zu reanimieren und den | |
| Notarzt gerufen. Am 3. Januar starb Mamadou B. im Klinikum Braunschweig. | |
| Nach fast fünf Monaten ist noch immer unklar, warum B. bewusstlos wurde und | |
| woran er starb. Körperliche Gewalt, die zu Brüchen oder inneren | |
| Verletzungen geführt hätte, schließt die Staatsanwaltschaft aus. B. war bei | |
| seiner Ingewahrsamnahme von den Polizisten zu Boden gebracht und zum | |
| Streifenwagen geschleift worden. | |
| ## Langer Untersuchungszeitraum | |
| Den langen Untersuchungszeitraum erklärt sie damit, dass es nur wenige | |
| Spezialisten für neuropathologische Untersuchungen gebe. Damit ließe sich | |
| etwa feststellen, ob B. einen epileptischen Anfall hatte. Überdies müssten | |
| diese Untersuchungen aufwendig vorbereitet werden. | |
| Klar ist aber inzwischen, dass Mamadou B. nicht Täter, sondern Opfer war. | |
| Wie die Auswertung einer Videoaufnahme durch die Staatsanwaltschaft ergeben | |
| hat, war es entgegen der Zeugenaussagen nicht B., der das Pfefferspray | |
| einsetzte. Vielmehr verletzten offenbar drei junge Männer im Alter von 20, | |
| 21 und 26 Jahren B. und andere Gäste. B. sei nicht der eigentliche „Störer�… | |
| gewesen. | |
| In Gewahrsam genommen worden sei B. aber nicht so sehr, weil er mutmaßlich | |
| mit Pfefferspray um sich gesprüht habe, sondern vorbeugend. „Er stand | |
| augenscheinlich unter dem Einfluss berauschender Substanzen“, sagte | |
| Staatsanwalt Wolters der taz. Er habe Pfefferspray in den Augen gehabt, | |
| wohl auch Tritte abbekommen und sei sehr aufgebracht gewesen. | |
| Um Schlimmeres zu verhüten, hätten ihn die Beamten mitgenommen. Dabei | |
| dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass B. schon mehrfach wegen | |
| Drogenbesitzes, Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und | |
| Beleidigung verurteilt worden war. | |
| Das Schicksal B.s war nach dem Bericht der Braunschweiger Zeitung auch | |
| Gegenstand einer Kundgebung am Samstagnachmittag auf dem Schlossplatz. Die | |
| Teilnehmer [3][wollten an den zweifachen Vater aus Guinea erinnern und | |
| forderten, die Umstände seines Todes vollständig aufzuklären]. „Wir wollen | |
| eine Erklärung und verlangen Gerechtigkeit“, wird ein Teilnehmer zitiert. | |
| ## „Großes Vertrauen“ in die Behörden | |
| Mamadou B.s Familie hatte über ihren damaligen Anwalt Martin Voß im Januar | |
| mitteilen lassen, „dass sie in die Ermittlungsarbeit der zuständigen | |
| deutschen Strafverfolgungsbehörden (noch) großes Vertrauen hat“. Sie hoffe, | |
| dass die [4][Umstände des Todes schnellstmöglich, objektiv und umfassend | |
| aufgeklärt würden.] | |
| Der in einem Artikel im Internet erweckte Eindruck, die Familie mache den | |
| Behörden schon vor Abschluss der Ermittlungen schwere Vorwürfe, treffe | |
| nicht zu. „Es entspricht auch nicht den Tatsachen“, heißt es in der | |
| Erklärung weiter, „dass der Instagram-Account 'johnsonbraunschweig’ von | |
| einem Familienmitglied des Verstorbenen eingerichtet wurde und/oder von | |
| einem Familienmitglied Inhalte über diesen Account hochgeladen worden | |
| sind“. | |
| Die Familie bitte darum, keine Inhalte des tragischen Geschehens im Netz zu | |
| veröffentlichen. Sie bedanke sich aber für die herzliche Anteilnahme | |
| unzähliger Personen. Aktuell mochte sich der Anwalt mangels Mandat nicht | |
| äußern. | |
| Kritik am Vorgehen der Polizei hatte sich auch daran entzündet, dass | |
| Festgenommene, die vermutlich betrunken oder sonst wie unter Drogeneinfluss | |
| stehen, nicht ins Krankenhaus eingewiesen, sondern zum Ausnüchtern auf die | |
| Wache mitgenommen werden. Das entsprechende „Braunschweiger Modell“ wurde | |
| im Sommer 2020 vorgestellt. Nach ihm verfährt die Braunschweiger Polizei | |
| noch immer. Polizeisprecher Oppermann wies aber darauf hin, dass an | |
| Wochenenden und nach Feiertagen stets ein Arzt im Gewahrsam bereit stehe. | |
| 23 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Tod-nach-Ingewahrsamnahme/!5908471 | |
| [2] https://www.braunschweig.de/tourismus/ueber-braunschweig/szeneviertel.html | |
| [3] /Polizeigewalt-gegen-Schwarze/!5889026 | |
| [4] /Gewalt-bei-der-Polizei/!5757873 | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
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