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# taz.de -- Diversitätsbeauftragte im Museum: „Frauen nicht als Opfer darste…
> Weiqi Wang ist Diversitätsbeauftragte in einem Hamburger Museum. Sie hat
> Kunstprojekte in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern
> realisiert.
Bild: Weiqi Wang begleitet die Diversifizierungsprozesse im Hamburger „Museum…
wochentaz: Frau Wang, sind Sie Künstlerin oder Kuratorin?
Weiqi Wang: Das lässt sich gar nicht so streng trennen. Denn meine
Kunstprojekte sind soziokulturell, oft politisch – und zielen auf
Selbstermächtigung. Ich bringe Menschen im öffentlichen Raum zu bestimmten
Themen und Aktivitäten zusammen, übe mit ihnen zivilgesellschaftliches
Engagement und sensibilisiere sie für Diversität. Letzteres ist ja auch
meine Aufgabe als Kuratorin für Outreach und Diversität am Hamburger
„[1][Museum am Rotherbaum. Kulturen und Künste der Welt]“ (kurz MARKK –
Anm. d. Red.). Unser Haus hat – wie alle ethnografischen Museen – eine
besondere Verpflichtung, sich mit der Kolonialgeschichte von Institutionen
und deren Sammlungen sowie mit der exotisierenden Darstellung vor allem
nicht europäischer Menschen und Kulturen zu befassen.
Was genau tun Sie als Diversitätsbeauftragte des MARKK?
Ich begleite den Diversifizierungsprozess im Haus – und zwar in puncto
Programm, Publikum und Personal. Ich möchte das Haus weiter für das Thema
(Post-)Migrationsgesellschaften sensibilisieren und mit den entsprechenden
Communitys zusammen arbeiten. Auch möchte ich Menschen, die noch nie hier
waren, ins Haus einladen.
Und wie befördern Sie die Diversifizierung im Haus?
Oh, da gibt es viele Möglichkeiten. Zum Beispiel bin ich bei allen
Bewerbungsgesprächen anwesend und vertrete das Thema Vielfalt. Bei der
Planung großer Veranstaltungen im Haus, an den ich teilnehme, kann ich von
Anfang an mein Anliegen, Diversität und Outreach, mit einbringen. Außerdem
haben wir mit der Besucher:innen- und der
Nichtbesucher:innenforschung begonnen, um zu schauen: Wer kommt
ständig ins MARKK, wen haben wir noch nicht erreicht? Auch im
Besucher:innenverhalten finden sich Aspekte des großen Themas
Diversität und Outreach.
Haben Sie persönlich schon neue Publikumssegmente erschlossen?
Ich hoffe es: Im Zuge der inzwischen nach Berlin weitergezogenen
Ausstellung „Unbinding Bodies“ über die Praxis des Fußbindens bei
chinesischen Frauen habe ich einen Gesprächsabend mit Chinesisch
sprechenden Frauen aus Hamburg initiiert und angeleitet. Es ging um die
Frage, wie wir chinesischen Frauen heute zu solchen Praktiken stehen. Ob
wir immer noch gesellschaftliche Normen bezüglich der Füße wahrnehmen, die
man Frauen schon im Kindesalter bandagierte, damit sie zierlich blieben.
Und gibt es immer noch geistige Fesseln, die darauf abzielen, einer Norm zu
entsprechen? Das reicht von Haarentfernung über Dresscodes bis zu Regeln,
die festlegen, wie sich Frau* zu benehmen hat.
Wie haben Sie die Frauen gefunden?
Das ist eine lange Geschichte. Zuerst habe ich versucht, Vereine und
Gruppen zu kontaktieren, die nicht vom chinesischen Staat finanziert
werden. Das war recht mühsam. Irgendwann habe ich Kontakt zum chinesischen
Akademikerverband der Uni Hamburg bekommen, wo sich einige Studierende für
das Thema interessierten. Weitere Frauen habe ich über Social Media
gefunden, andere haben sich persönlich angemeldet. So sind 22 Frauen
zwischen 20 und über 60 Jahren zusammengekommen, auch von den Berufen her
bunt gemischt.
Fanden die Frauen die Ausstellung ausgewogen? Das Leiden der bandagierten
Chinesinnen, deren Füße oft lebenslang schmerzten, kommt darin kaum vor.
Die Rückmeldungen waren sehr unterschiedlich. Einige schätzen es, dass die
Frauen nicht als Opfer dargestellt wurden. Andere fanden, dass die
Geschichte der gebundenen Füße unzureichend dargestellt sei: Woher kommen
solche Praktiken? Wie kam es, dass kleine Füße in einer patriarchalischen
Gesellschaft als ästhetisch galten? Das ging ja so weit, dass chinesische
Männer den watschelnden Gang im Alltag und die schwingenden Bewegungen beim
Tanz schätzten, der durch die kleinen, verkrüppelten Füße der Frauen
entstand. Bis heute gibt es übrigens in China schöne Damenschuhe nur bis
Größe 39. Ab Größe 40 müssen Damenschuhe speziell angefertigt werden, wie
zwei Frauen an jenem Abend erzählten. Das war auch mir neu.
Existiert die Praxis des Fußbindens noch?
Nein. Aber für viele in der Generation meiner Mutter und Großmutter ist das
Thema noch präsent – und damit auch für die Nachkommen. Meine Großmutter
zum Beispiel hatte kleine, aber keine deformierten Füße. Bei ihr wurde wohl
mit Bandagieren begonnen, aber nur für kurze Zeit. Ich kann mich erinnern,
als Kind beobachtet zu haben, dass sie abends ihre Füße massierte, weil sie
schmerzten. Ich weiß aber nicht, ob es daran lag, dass ihre Füße in ihrer
Kindheit gebunden waren.
Erzählen Sie von Ihren Wurzeln. Wie würden Sie Ihre Geburtsstadt Shenyang
beschreiben?
Shenyang ist eine Industrie- und zugleich eine Kulturstadt in
Nordost-China. Wichtigstes historisches Baudenkmal – und
UNESCO-Weltkulturerbe – ist der [2][Mukden-Palast] aus dem 17. Jahrhundert.
Erbaut wurde er in Shenyang unter dem Mandschu-Kaiser Nurhachi und seinem
Sohn, den Begründern der Qing-Dynastie, der letzten des chinesischen
Kaiserreichs. Der Mukden-Palast war letzte Residenz der Qing-Dynastie,
bevor sie in die „Verbotene Stadt“ in Beijing wechselte.
Und woher stammt Ihre eigene Neigung zur Kultur?
Das hat ganz bestimmt mit dem Einfluss meines Elternhauses zu tun. Mein
Vater war im Hauptberuf Landschaftsarchitekt. Sein großes Interesse galt
auch der Malerei. Überall waren Zeichnungen und Gemälde, die mich als Kind
stark beeindruckten. Von Anfang an gehörte künstlerisches Arbeiten zu
meinem Alltag. So bin ich zur Kunst gekommen.
Wie wurde die Kunst zu Ihrem Beruf?
Nach dem Abitur wurde ich an der Jiangnan Universität in Wuxi in Südchina
angenommen. Nach einem Semester wurde mir bewusst, dass es in der Welt noch
eine größere Bühne gibt – besonders für Kunst und Design. Deshalb bin ich
2008 zum Studium nach Deutschland gekommen. Seither lebe und arbeite ich
hier.
Wie sehen Ihre Kunstprojekte aus?
In Kiel zum Beispiel war ich 2015, als viele Menschen mit Fluchterfahrung
ankamen, mit einer Tüte Ton und einem Brett vorm Bauch in der Innenstadt
unterwegs. Ich habe Menschen angesprochen, und während wir uns
unterhielten, habe ich aus Ton ein kleines Porträt der jeweiligen Person
modelliert – als Dokumentation unseres Gesprächs. Während des halbjährigen
Projekts bin ich fast 1.000 Menschen begegnet. Zum Abschluss habe ich alle
Büsten auf dem Europaplatz in der Innenstadt aufgestellt, und diejenigen,
die ihre Mail-Adresse hinterlassen hatten, eingeladen. Viele kamen, suchten
„sich selbst“ und durften ihr Porträt dann mitnehmen. So ist dieser Platz
zu einem Ort der Begegnung und des Dialogs für die Porträtierten und
zufällig Vorbeikommenden geworden.
Gab es keine Sprachbarrieren?
Ja, aber das hat die Kommunikation nicht verhindert. Redete jemand in einer
Sprache, die ich nicht kannte, antwortete ich Chinesisch. Da ich die
Person, mit der ich Kontakt aufgenommen hatte, gleichzeitig porträtierte,
entspannte sich außerdem die Situation, weil die Porträtierten sich nicht
verpflichtet fühlten, etwas zu sagen. Manchmal hielten wir einfach
Blickkontakt, und es ging um die Zeit, in der wir zusammen saßen.
Und wie funktionieren Ihre „Selbstermächtigungs“-Projekte?
2021 wurde ich zum Beispiel nach [3][Triebsees] eingeladen, eine kleine
Stadt in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist ein schöner Ort mit großer
Abwanderung und vielen leeren, teils schon verfallenen Wohnhäusern. Nun
fragen sich die verbliebenen Bewohner:innen, wie es mit der Infrastruktur
weitergehen soll. Ich habe mir eine große Wiese gesucht, neben der die
Ruine eines Lehmhauses stand. Dann habe ich Ziegelsteine der leeren und
kaputten Häuser gesammelt, aus Wasser und Sand ein Bindemittel hergestellt
und die Menschen aufgefordert, ein Version ihres Dorfs der Zukunft zu
bauen. So entstanden Schule, Schwimmbad und so weiter. Ein Schulkind
wünschte sich einen mittelalterlichen Turm, damit Tourist:innen kämen.
Eine Familie wollte einen Bahnhof. Da kam jemand vorbei und erzählte, dass
es früher wirklich einen Bahnhof gegeben habe. Auf genau solche Interaktion
und Selbstermächtigung kommt es mir an: Ich möchte Menschen für ein
gesellschaftlich relevantes Thema sensibilisieren, um sie anzuregen,
gemeinsam etwas zu bewerkstelligen. Besonders deutlich wurde das in meinem
Projekt der „Mitmach-Stadt“ 2018 in Shenyang.
Worum ging es da?
Meine Leitfrage war: Wie können wir gemeinsam über demokratische
Stadtentwicklung nachdenken? Es war ein dreiwöchiges Projekt mit Vorträgen
und Workshops. Für die Workshops haben wir auf dem Boden aus Ton einen
Stadtteil von Shenyang nachgebaut. Dann haben alle Teilnehmenden – von
Kindern bis zu Senior:innen – ein eigenes Haus gebaut und dort
platziert. Auch ein Pflegeheim war darunter. Ich selbst habe eine
Politikerin gespielt, die in Begleitung einer Investorenfirma daherkam und
Dinge sagte wie: „Dieser Stadtteil muss abgerissen werden“ oder „Hier wird
eine große Straße hindurch gebaut“. Dann mussten die Menschen überlegen:
Was tun wir? Kann ein Haus umgesetzt werden – oder kann man gemeinsam den
Abriss oder die ganze Planung verhindern? Anhand einer fiktiven
Versuchsanordnung habe ich die Menschen angeregt, sich als Betroffene zu
fühlen und Handlungsoptionen durchzuspielen. So imaginierte das Spiel die
Realität.
Ist ein solch demokratieförderndes Projekt nicht riskant im heutigen China?
Es ist nötig. Und Kunst ist in China eine relative Grauzone. Vielleicht bin
ich einfach noch nicht aufgefallen … Außerdem hatte ich das Projekt vorher
beschrieben und angemeldet, habe mit dem Liu Hongdian Architekturmuseum,
der Luxun Kunstakademie, der Architekturuniversität Shenyang und lokalen
Behörden kooperiert, die mir verschiedene Orte anboten. Ursprünglich war
ein öffentlicher Park genehmigt – aber dann mussten wir auf die Terrasse
des TIEMAO Kulturzentrums umziehen. Nicht wegen unseres Themas, sondern
weil sich die Stadt gerade als Green City bewarb. Deshalb richtete das
staatliche Überprüfungsteam ein besonders Augenmerk auf diese Grünfläche.
Während des Workshops selbst hatten wir, obwohl wir so kritisch arbeiteten,
keine politischen Schwierigkeiten. Ein Gastredner kam sogar aus dem
Stadtplanungsamt.
Trotz aller Schnittmengen: Ist Ihre Arbeit als Kuratorin so inspirierend
wie solche Projekte?
Ja, denn in genau dieser Überschneidung liegt der Reiz. Ich habe mich so
gefreut, dass ich mit einer Künstler:innenbiografie hier eingestellt
wurde, um mein kreatives Potenzial im Arbeitsalltag zu erproben. Und es
funktioniert ja: Zum Spielfest MARKK 2023 habe ich eine
regierungsunabhängige Gruppe – die chinesische Gemeinde in Deutschland e.
V. – eingeladen, einen chinesischen Platztanz aufzuführen.
Einen Platztanz?
Dieses Phänomen ist seit den 2000er Jahren in China präsent – und zugleich
umstritten: Ältere Menschen, meist Frauen, treffen sich am Abend an
unterschiedlichen Orten. Sie haben CD-Player, manchmal eine kleine
Stereoanlage dabei, und tanzen zur Musik. Inzwischen gibt es das in ganz
China. Auch jüngere Menschen nehmen mittlerweile mit eigenen Outfits und
eigenem Tanzstil teil. Der Vorteil der Platztänzer:innen: Sie sind mobil,
können so gut wie jeden Ort aufsuchen, wo Raum ist. Das verstehe ich
durchaus als Selbstermächtigung, als eine Art Besetzung des öffentlichen
Raums. Zumal Ältere – insbesondere Frauen – in China zu einer
marginalisierten Gruppe gehören, deren Bedürfnis nach Selbstausdruck im
Platztanz ausgelebt werden kann.
Und inwiefern ist der Platztanz umstritten?
Manche Menschen finden die Musik geschmacklos und zu laut. Andere meinen,
dass die Platztänzer:innen zu viel öffentlichen Raum beanspruchen.
Dabei handelt es sich dabei doch gesellschaftliche Teilhabe an öffentlichen
Raum. Tatsächlich besetzten die Platztänzer:innen manchmal Teile eines
öffentlichen Basketball- oder Tischtennisplatzes. Es kann aber auch unter
einer Brücke sein, auf einem Parkplatz, an einer Straßenecke …
Wie finden diese Menschen zusammen? Kennen sie sich?
Nicht alle. Aber es hat fast einen Ansteckungseffekt. Sobald sie da sind
und der Tanz beginnt, kommen immer mehr Leute dazu. Kinder, Junge, Alte –
alle können mitmachen, ohne aufzufallen oder sich verdächtig zu machen. Ich
nenne es „nicht-organisierte Selbst-Organisation“. Hier im MARKK haben
dann, wie erwähnt, Erwachsene und Kinder gemeinsam im Gewölbesaal getanzt.
Außerdem haben Sie ein antirassistisches Projekt für Schüler:innen
initiiert.
Ja, ich habe gerade mit einen Workshop für Schulklassen zum
rassismuskritischen Umgang mit Schulbüchern begonnen. Denn selbst in
Mathematikbüchern lassen sich rassistische Inhalte in Abbildungen und
Formulierungen finden. Ich möchte den Blick der Schüler:innen schärfen,
ihnen eigene Erfahrungen als Werkzeug mitgeben, um sie zur selbstständigen
Auseinandersetzung mit rassistischen Inhalten zu befähigen. Das Angebot
gilt für Schüler:innen ab der 7. Klasse.
Haben Sie dieses Programm erfunden?
Nein. Ich gehe davon aus, dass sich Bildungsinstitutionen aller Sparten
intensiv mit dem Thema befassen.
Ihre Stelle ist auf zwei Jahre befristet. Was kann man in dieser Zeit
bewegen?
Die Aufgabe, der Bedarf nach Diversifizierung bleibt, aber das hängt nicht
von einer bestimmten Person ab. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Ein
Etappensieg wäre schon der selbstverständliche Umgang mit dem Thema
Diversität. Aber schon jetzt nehme ich wahr, dass viele Mitarbeitende hier
im Haus für das Thema sensibilisiert und mit ihm vertraut sind. Das ist ein
gutes Zeichen.
21 May 2023
## LINKS
[1] https://markk-hamburg.de/
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Mukden_Palace
[3] http://www.stadt-tribsees.de/
## AUTOREN
Petra Schellen
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