Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung in Göttingen: Die Seele eines Hauses
> In Österreich ist er eine große Nummer: Dem kalifornischen Wohnhaus des
> Wiener Architekten Rudolph Schindler widmet sich die Fotografin Mona
> Kuhn.
Bild: Begehbar: eine Installation Mona Kuhns im Kunsthaus Göttingen
Göttingen taz | Was kann die zeitgenössische Fotografie? Und vor allem, was
„darf“ sie noch? Denn angetreten war die Disziplin vor fast 200 Jahren mit
dem Versprechen, kraft ihrer Technik das per se authentische Abbild zu
liefern, wie es keiner anderen Methode möglich sei.
Aber heute? Zwischen verlässlichem Dokument und imaginativer Fiktion,
zwischen statischem Bild und multimedial animierter Installation: Auf
geradezu didaktische Weise demonstriert derzeit Mona Kuhn im Kunsthaus
Göttingen die ganze Palette zeitgenössischer fotografischer Möglichkeiten.
Und das unter Zuhilfenahme zweier denkbar klassischer Sujets: der
Architektur und des – nackten – weiblichen Körpers.
Ein Bauwerk ist kein seelenloses Gebilde. Spätestens seit [1][Gaston
Bachelard]s 1957 verfasster „Poetik des Raumes“ kann man um die
tiefenpsychologischen Dimensionen jeden Hauses wissen. Mona Kuhn nun
inspizierte eines, das schon bei seiner Entstehung als exzentrisch bis
visionär galt: das Wohnhaus, das der Architekt Rudolf Schindler (1887–1953)
an der King’s Road in seiner Wahlheimat Los Angeles errichten ließ – was
nahelegt, dass die künstlerische Auseinandersetzung ihre ganz eigene
Dynamik entwickeln wird.
Bauen ließ der gebürtige Wiener Schindler 1922 für seine Frau Pauline –
ausgebildete Musikerin –, sich selbst sowie ein befreundetes Ehepaar; kein
biederes Doppelhaus, sondern ein „kooperatives Wohnhaus“, ein
architektonisches wie soziales Experiment. Jede erwachsene Person erhielt
ein eigenes Studio als Individualraum, die Flanken je eines geschützten
Gartenhofs. Dieser Freibereich, mit offenem Kamin ausgestattet, übernahm
die Funktion des gemeinsamen Wohnraums.
## Erotische Konfusionen
Bei allem Experiment: Die beiden Frauen mussten sich eine zentral gelegene
Küche teilen. Sie sollten sich, so Schindlers Vorschlag, wochenweise
wechselnd die Verantwortung für die täglichen Mahlzeiten teilen.Ein
Gästeapartment mit eigenem Grünbereich war integriert, auch eine Garage gab
es.
Von Anbeginn war das Haus durch eine illustre Avantgarde aus Film, Kunst
und Wissenschaft frequentiert und diente nach 1933 vielen Emigrant:innen
als erste Bleibe. Auch die gebürtig aus Braunschweig stammende, jüdische
Kunstimpresaria Galka Scheyer (1889–1945) managte vorübergehend von der
King’s Road aus ihre Agentur „Die Blaue Vier“.
Konstruktiv war das Haus ein Versuch einfachen und preiswerten Bauens aus
rohen Materialien. Jeder Individualraum erhielt eine geschlossene Rückwand
aus vorfabrizierten, unbehandelten Betonelementen und eine zum Gartenhof
hin offene Front mit gläsernen Schiebetüren und halbtransparenten
Sichtschutzpaneelen – Innen und Außen fließen ineinander, wozu auch
Rankpflanzen und hausnahe Vegetation beitragen.
Als Besonderheit angesichts des milden Klimas sah Schindler offene
Schlafveranden auf dem Dach vor, später propagiert als „sleeping porches“.
Und da der Hausherr, hier dann wieder unkonventioneller Bohemien, als
Verfechter der freien Liebe galt, schienen erotische Konfusionen durchaus
in seinem Interesse.
## Metaphysische Qualität des Raums
In Deutschland ist Schindler weitgehend unbekannt, anders in Österreich:
Sein Haus ist seit 1994 eines von drei Bauten des Architekten, die das
Wiener Bundeskanzleramt für sein Kultur- und Stipendienprogramm in den USA
nutzt. Mona Kuhn, 1969 als Kind deutscher Eltern in Brasilien geboren, kam
1989 zum Studium in die USA und lebt seit 2005 in Los Angeles.
Als sie das erste Mal das Schindler-Haus betrat, erzählt sie, habe sie
intuitiv die metaphysische Qualität, seine Seele empfunden. Schindlers
künstlerisches Medium war der Raum, geschaffen durchweg aus Materialien von
starkem stofflichem Reiz: rauer Beton, nur gebürstetes lokales Rotholz mit
plastischen Adern; dazu kommt eine diffuse, eher gedämpfte Lichtstimmung.
Kuhn recherchierte im Schindler-Archiv der Universität Santa Barbara, trug
Skizzen, Pläne, theoretische Postulate und jede Menge seiner Korrespondenz
zusammen. Großformatig reproduziert, bilden diese Materialien nun den
ersten Teil ihrer Ausstellung, ganz klassische Dokumentation – bis auf
einen (fiktiven) Brief, in dem Schindler eine Geliebte von der
Unmöglichkeit ihrer Liebe zu überzeugen versucht.
Diese Person mitsamt der tragischen Liebesgeschichte wird dann als zweiter
Teil in Szene gesetzt: atmosphärische Bilder der Architektur und eine Frau,
die eher als Traum und Geist, denn als realer Mensch anwesend ist. Leicht
bekleidet oder nackt im Bett hat Mona Kuhn sie fotografiert, entrückt und
ohne den leisesten Hauch von Voyeurismus.
## Elegisches Finale
Für einige Porträts wandte sie die Pseudo-Solarisation an, fotohistorisch
ein Dunkelkammer-Zufall surrealistischer Fotografie, der Lee Miller und
[2][Man Ray] zugeschrieben wird: Film oder Fotopapier werden während der
Verarbeitung diffus nachbelichtet und ausentwickelt. Kuhn will damit auf
ein zeittypisches Stilmittel der 1920er-Jahre verweisen, somit der
Entstehungszeit des Hauses – einer Zeit, in der sich auch die Fotografie
als Kunst zu verstehen begann.
Im dritten Teil ist das gesamte Material zu einer großen multimedialen
Animation von 15 Minuten Länge verschmolzen. Die beiden anderen Teile hat
er eher karg untermalt, hier nun sorgt Kuhns Ehemann Boris Salchow für
einen opulenten Surround-Soundtrack: 20 Streicher, fünf Klaviere, Gesang,
Violine, Synthesizer.
Das elegische Finale unterstreicht den Anspruch des Kunsthauses, initiiert
von dem [3][Verleger Gerhard Steidl]; Kuhn arbeitet seit 20 Jahren mit ihm
zusammen. Nun hat er die in den USA und Paris bereits gezeigte Arbeit als
erste institutionelle Einzelpräsentation in Deutschland nach Göttingen
geholt – als kleine zwischen zwei großen Ausstellungen.
Mona Kuhn: Kings Road. A Rudolph Schindler House: bis 4. 6., [4][Kunsthaus
Göttingen];
Buch „Mona Kuhn: Kings Road“, Steidl 2021, 160 S., 100 Abb., 58 Euro
13 May 2023
## LINKS
[1] /Performance-im-Radialsystem-Berlin/!5827872
[2] /Biografie-einer-Pariser-Bohemienne/!5929900
[3] /Gerhard-Steidls-Kunsthaus-Goettingen/!5814377
[4] https://kunsthaus-goettingen.de/
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Architektur
Fotografie
Kunst
Göttingen
Installation
Ausstellung
DDR
Ausstellung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tolia Astakhishvili im Kunstverein Bonn: Geister zwischen Abriss und Neubau
Die Künstlerin Tolia Astakhishvili übt im Bonner Kunstverein
Institutionskritik und versetzt ihn in einen schaurigen Schwellenzustand.
Buch über Architektur der DDR: Exportschlager Weltflucht
Die DDR exportierte global Architektur. Doch preußischer und
internationaler Kommunismus waren nur schwer vereinbar, wie ein neues Buch
beschreibt.
Zürcher Ausstellung „Unschöne Museen“: Wenn das Schöne unschön wird
Eine prominent besetzte Kunstausstellung in der Zürcher ETH zeigt blinde
Flecken in der Museumskultur auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.