# taz.de -- Tolia Astakhishvili im Kunstverein Bonn: Geister zwischen Abriss un… | |
> Die Künstlerin Tolia Astakhishvili übt im Bonner Kunstverein | |
> Institutionskritik und versetzt ihn in einen schaurigen Schwellenzustand. | |
Bild: Ein Heizungskeller? Aus der digitalen Animation von Tolia Astakhishvili u… | |
Seit einigen Monaten erfahren verwaiste Häuserblocks, ausgestorbene Flure | |
und verlassene Parkhäuser eine ungewohnte Aufmerksamkeit im Internet. Unter | |
Schlagworten wie „the Backrooms“ und „liminal spaces“ versammeln sich a… | |
Tiktok und Youtube millionenfach gelikte Videoschnipsel dieser eigentlich | |
stark frequentierten Orte. Auf denen fehlen dann merkwürdigerweise jegliche | |
Menschen. Ausrangierte Möbel, Abfall und andere Überbleibsel erinnern | |
permanent an deren Abwesenheit. | |
Was bleibt von unseren Wohnsilos oder Städten, wenn die Menschen aus ihnen | |
verschwinden?, fragt man sich da. Wie prägen wir die uns umgebende | |
Architektur – und werden durch sie geprägt? | |
Das überlegt auch die zwischen Berlin und Tiflis pendelnde Künstlerin Tolia | |
Astakhishvili. In ihrer Ausstellung „The First Finger“ im Bonner | |
Kunstverein meint man, in einem dieser digitalen Backrooms gelandet zu | |
sein. Eine Reihe labyrinthischer Ein- und Umbauten deutet dort eine | |
bewohnte Vergangenheit an. Die verwinkelten Kammern und leeren Hallen aus | |
Gipskarton, Spachtelmasse und Holzlatten sind in einen Schwellenzustand | |
versetzt. Befinden wir uns noch vor dem Abriss dieser Orte oder wird schon | |
Neues errichtet? Leben tut hier jedenfalls niemand mehr. An mancher Stelle | |
ist der Boden aufgebrochen, anderswo wuchert das Gras, dazwischen hat | |
Astakhishvili aufgefundenen Sperrmüll arrangiert. | |
Die immersive Szenerie dient der georgischen Künstlerin als Backdrop für | |
die Zeichnungen, Videos auf kleinen Displays oder seltsam | |
zusammengestellten Alltagsobjekte, die sie selbst und andere | |
Künstler:innen hier installiert haben. | |
## Das Gemäuer abfragen | |
Sich überlagernde Figuren und Köpfe, von Astakhishvili flüchtig mit Tinte | |
gezeichnet und an die Wände gehängt, scheinen das Gemäuer abzufragen auf | |
seine glücklichen und leidvollen Erinnerungen. Die Leinwände von Ser Serpas | |
zeigen nackte, verwundete Körper, sie sind nur durch schmale Fenster aus | |
der Ferne zu betrachten. Auch Gewalt kann ins Häusliche eindringen, sagt | |
uns Serpas – man selber bleibt aber außen vor. | |
Unsere Zimmer, Wohnungen und Häuser haben eine Geschichte. Deren | |
Erinnerungsfetzen an einstige Bewohner:innen materialisieren sich nun | |
in Gestalt vergessenen Krimskrams und aussortierter Möbel. Astakhishvilis | |
Parcours gleicht dem Weg durch eine Gedächtnislandschaft, und die ist | |
ebenso unheimlich wie die „liminal spaces“ auf TikTok und Youtube. | |
Doch die Künstlerin geht auch über das Private und Psychologische hinaus. | |
Man kann aus ihrem Werk eine Institutionskritik ablesen, jene Form der | |
Kunst, die institutionelle Prozesse hinter einer Ausstellung anzweifelt. | |
Gemeinsam mit James Richards, der 2017 den walisischen Pavillon auf der | |
Venedig-Biennale bespielte und – wie kürzlich bekannt wurde – 2024 als | |
[1][einer von Vieren den Preis der Nationalgalerie Berlin erhalten wird], | |
zeigt Astakhishvili in Bonn ein Video. Darin verschmelzen Ansichten | |
früherer gemeinsamer Ausstellungen mit fiktiven Räumen. Die Frage, wie | |
Architektur und deren Nutzer:innen einander formen, dehnen die beiden | |
auf das Feld der zeitgenössischen Kunst und ihrer Organisation aus. | |
Wenn Astakhishvili in Bonn den Boden aufreißt, neue Wände einzieht und | |
andere abbricht, bearbeitet sie auch das bauliche Gedächtnis der | |
Institution des Bonner Kunstvereins. Und sie wird dies in einer zweiten, ab | |
Juni zu sehenden Ausstellung in der [2][Villa des Berliner Hauses am | |
Waldsee] fortsetzen. Welche Werke, welche Künstler:innen haben diese | |
Institutionen in der Vergangenheit öffentlich gemacht? Wessen Gedanken | |
spuken noch immer durch die Ausstellungshallen? | |
Der anfängliche Schauer, der beim Besuch von „The First Finger“ an die | |
beklemmenden Videos leerstehender Wohnungen und Keller erinnert, | |
verflüchtigt sich bald. An seiner Stelle rücken nun Astakhishvilis feine | |
Beobachtungen über das, was uns umgibt und uns umgeben gemacht wird. | |
15 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Robert Schlücker | |
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