# taz.de -- Hotel Lunik in Eisenhüttenstadt: Wie der Palast der Republik | |
> In der DDR war das Hotel Lunik ein beliebter Treffpunkt. Der Unternehmer | |
> Marseille erwarb das denkmalgeschützte Gebäude und lässt es verfallen. | |
Bild: Das Dach muss dringend erneuert werden | |
Wenn Ilona Weser von ihren Besuchen im Hotel Lunik redet, schwärmt sie noch | |
heute. „Als ich 18 wurde, ging ich dort oft in die Bar“, sagt die | |
inzwischen pensionierte ehemalige Kulturdezernentin des Landkreises | |
Oder-Spree in Brandenburg. „Es gab Livemusik mit Bands aus Bulgarien und | |
viele ausländische Gäste des Eisenhüttenkombinats.“ Ein weltoffener Ort sei | |
das Lunik gewesen, sagt sie. „Ähnlich wie der Palast der Republik in | |
Berlin.“ | |
Inzwischen ist das Lunik nicht mehr weltoffen, sondern geschlossen. Durch | |
eingeschlagene Scheiben drang Feuchtigkeit in das leerstehende Hotel in | |
Eisenhüttenstadt. Seitdem der Hamburger [1][Unternehmer Ulrich Marseille] | |
das Hotel mit seinen ehemals 110 Zimmern 2006 in einer Zwangsversteigerung | |
übernommen hat, ist nichts mehr passiert. Nun hat Ilona Weser die Sache | |
selbst in die Hand genommen. | |
„Sehr geehrter Herr Marseille, wir ersuchen Sie, Ihren Verpflichtungen als | |
Eigentümer nachzukommen und dem Verfall des Gebäudes Einhalt zu gebieten“, | |
heißt es in einem offenen Brief, den die 72-Jährige im Frühjahr verfasst | |
hat. „Sie sind ein renommierter, wohlhabender Hamburger Unternehmer und | |
verfügen über Ressourcen und Möglichkeiten, dem Gebäude sein einst würdiges | |
Antlitz zurückzugeben.“ | |
2.231 Unterschriften hat Ilona Weser in wenigen Wochen gesammelt. Im April | |
hat sie den offenen Brief samt den Unterschriften nach Hamburg geschickt. | |
„Wenn keine Antwort kommt, werde ich Mitte Mai nachhaken“, verspricht sie | |
der taz. „Man kann nicht immer nur meckern, man muss auch etwas tun.“ Denn | |
das Lunik ist für Weser nicht nur ein weltoffener Ort gewesen. „Es ist auch | |
das Eingangstor zur Magistrale in Eisenhüttenstadt.“ | |
## Die sozialistische Planstadt | |
Eisenhüttenstadt ist eine junge Stadt. 1950 wurde sie zusammen mit dem | |
Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) als sozialistische Planstadt in den | |
märkischen Kiefernwald bei Fürstenberg an der Oder gesetzt. Stalinstadt | |
hieß sie seit 1953, seit 1961 trägt sie den heutigen Namen. Zwei Jahre | |
später öffnete das Lunik. Es war eines von zwei Punkthochhäusern, die den | |
südlichen Auftakt der Magistrale bildeten. An deren Ende liegt das Tor zum | |
Stahlwerk, das heute zum Konzern ArcelorMittal gehört. | |
Jeder, der damals in Eisenhüttenstadt gelebt hat, kann Geschichten wie die | |
von Ilona Weser erzählen. Neben der Bar gab es im Lunik ein Restaurant | |
mit gehobener Küche und einen Intershop. Auch deshalb ist der | |
„Schandfleck“, wie viele das leerstehende und verfallende Hotel nennen, | |
noch immer ein großer Aufreger in der Stahlstadt. Und Thema für viel | |
Geraune. Als Bürgermeister Frank Balzer (SPD) 2019 nach Hamburg gefahren | |
war, um mit Marseille persönlich zu verhandeln, kehrte er unverrichteter | |
Dinge zurück. Über den Inhalt des Gesprächs verrät er bis heute nichts. | |
Auch gegenüber der taz will Balzer nicht über das Lunik sprechen. Etwas | |
gesprächiger ist Ulrich Marseille selbst. Ja, er habe den offenen Brief | |
erhalten, bestätigt er der taz. Ob er ihn beantworten wird, lässt er | |
allerdings offen. In den schriftlichen Antworten auf die Fragen der taz | |
geht Marseille nicht auf das Treffen mit dem Bürgermeister ein, sondern | |
holt weit aus. 2006, so schreibt er, habe er das Hotel auf Bitten des | |
damaligen SPD-Bürgermeisters gekauft, da die Stadt „nicht über die | |
entsprechenden Mittel“ verfügte. Nach der Kommunalwahl sollte es dann „eine | |
Lösung im Sinne des Allgemeinwohls geben“. | |
Die aber blieb bis heute aus. Laut Marseille, weil nach der Kommunalwahl | |
2010 nicht die SPD am Ruder blieb, sondern die Linkspartei das Rathaus | |
eroberte. Mit der seien keine „sachgerechten Lösungen“ möglich gewesen. Ob | |
das Lunik von seiner Seite heute noch immer in Sinne einer solchen Lösung | |
zum Kauf stehe, beantwortet Ulrich Marseille mit einem lapidaren | |
„Vielleicht“. | |
## Landkreis schaltet sich ein | |
Nicht nur Ilona Weser hat das Spiel auf Zeit inzwischen satt. Auch der | |
Landkreis Oder-Spree mischt sich nun ein. Denn das Lunik gehört nicht nur | |
zum Flächendenkmal Eisenhüttenstadt, mit dem die ersten vier Wohnkomplexe | |
aus den fünfziger und sechziger Jahren geschützt sind. Es ist 2002 auch als | |
Einzeldenkmal ausgewiesen worden. Zuständig ist nun die Untere | |
Denkmalbehörde des Landkreises. | |
„Als ich vor zwei Jahren im Lunik war, war noch alles trocken, sagt Sascha | |
Gehm, der als Dezernent für Bauen für den Denkmalschutz in Oder-Spree | |
zuständig ist. „Inzwischen ist alles durchfeuchtet.“ In der Arbeitsgruppe | |
Lunik, in der neben der Stadt und dem Landkreis auch der Landeskonservator | |
vertreten ist, habe man sich deshalb entschlossen, schnell zu handeln. „Wir | |
haben bereits eine erste Erhaltungsanordnung an Marseille rausgeschickt“, | |
sagt Gehm. Eine zweite sei in Vorbereitung. | |
Sollte Marseille nicht auf die Anordnungen reagieren, will der Landkreis | |
über Ersatzvornahmen verhindern, dass das Lunik weiteren Schaden nimmt. Vor | |
allem das Dach müsse erneuert werden, sagt Sascha Gehm. Mit insgesamt | |
500.000 Euro will der Landkreis nun in Vorleistung gehen. | |
Für Ulrich Marseille könnte es damit eng werden. Weigert er sich, die | |
Rechnungen des Landkreises zu begleichen, könnte die Summe als Grundlast im | |
Grundbuch eingetragen werden. Marseille wäre damit nicht mehr | |
uneingeschränkt verfügungsberechtigt, könnte das Lunik auch nicht mehr ohne | |
Weiteres mehr an Dritte verkaufen. Selbst eine Zwangsversteigerung ist | |
möglich. Marseille selbst bezeichnet das als „unwahrscheinlich“. | |
Auch in der Stadtverwaltung freut man sich über den neuen Schwung. „Für | |
einen Appel und ein Ei hat Marseille das Lunik damals geschossen“, heißt es | |
im Rathaus, das im ehemaligen „Haus der Parteien und Massenorganisationen“ | |
am „Zentralen Platz“ untergebracht ist. Seitdem spekuliere er darauf, es | |
für möglichst viel Gewinn weiterzuverkaufen. Doch seine Preisvorstellungen | |
seien „völlig aus der Luft gegriffen“. | |
Dabei wäre Eisenhüttenstadt interessiert, das Lunik zu kaufen. Ein Hotel in | |
dieser Größe hat die Stadt nicht mehr. Aber auch eine Pflegeeinrichtung | |
käme in Betracht. Am Denkmalschutz soll eine neue Nutzung nicht scheitern, | |
verrät Sascha Gehm. „Wir sind da gesprächsbereit.“ | |
Denkbar seien auch eine Büronutzung oder Co-Working. Hauptsache, es | |
passiert was. Eine Rettung des Denkmals könne nur „durch eine | |
Innutzungsnahme erfolgen“. Auch mit der Stadt Oldenburg, die gegen Ulrich | |
Marseille wegen des [2][Leerstands im historischen Wall-Kino] vorgeht, sei | |
man im Austausch. | |
Ilona Weser ist derzeit dabei, den nächsten offenen Brief zu schreiben. | |
„Der wird an Tom Hanks gehen“, verrät sie. Der US-Schauspieler hatte | |
während der Dreharbeiten zu einem Film in Berlin 2011 einen Abstecher nach | |
Eisenhüttenstadt gemacht und danach in der Talksendung von David Letterman | |
vor einem Millionenpublikum liebevoll von Iron Hut City gesprochen. | |
Auf die Frage, was das sei, Iron Hut City, hatte Hanks geantwortet, das sei | |
eine von den Kommunisten gebaute Modellstadt, die den Menschen „the great | |
and wonderful life“ im Sozialismus vor Augen führen sollte. „Ein | |
wunderbarer Ort“, schwärmte Hanks. | |
In Eisenhüttenstadt hoffen sie nun, diesen „wunderbaren Ort“ bald wieder | |
zurückzubekommen. Und noch mehr Aufmerksamkeit auf die von Abwanderung | |
betroffene Stadt zu lenken, die von den ehemals 50.000 Bewohnerinnen und | |
Bewohner seit der Wende die Hälfte verloren hat. An der Architektur kann es | |
nicht liegen. In der aktuellen Ausgabe der Geo-Saison wird Eisenhüttenstadt | |
als eines von 23 Reisezielen weltweit beworben. | |
14 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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