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# taz.de -- Leerstehendes Traditionskino: Verfallende Pracht
> In Oldenburg sorgt eine Immobilie des Unternehmers Ulrich Marseille für
> Probleme. Das denkmalgeschützte Wall-Kino wird seit Jahren nicht mehr
> genutzt.
Bild: Ziemlich imposant für einen Leerstand: das Oldenburger Wall-Kino
Der Abend des 21. März 2007 dürfte einer jener Abende gewesen sein, an dem
die Oldenburger aus Oldenburg in Oldenburg – so heißt das wirklich – ganz
bei sich waren, voller Wehmut zwar, aber doch glücklich, weil sie ein
bedeutendes Bauwerk ihrer Stadt nun doch auf der sicheren Seite wähnen
durften: [1][Das Wall-Kino] – gerettet vor dem möglichen Abriss durch den
neuen [2][Eigentümer Ulrich Marseille], der das Kino, erbaut 1914, von der
Adoptivmutter nur geerbt und dem Oldenburger Kino-Betreiber gerade erst
gekündigt hatte.
Der Kinobetrieb würde wenige Wochen nach diesem Abend im März 2007 enden,
aber jetzt kam, als im Rahmen einer Sondervorstellung [3][„Cinema
Paradiso“] gezeigt wurde, die erlösende Botschaft: Das Gebäude sei – innen
wie außen – unter Denkmalschutz gestellt worden; Jubel, Aufatmen.
Der, der die Nachricht überbrachte, war Jörg-Michael Henneberg von der
Oldenburgischen Landschaft, die das Erbe des ehemaligen Landes Oldenburg,
aufgegangen im Bundesland Niedersachsen, bewahren soll. Und nun wurde hier
etwas bewahrt, und man muss wissen, dass die Oldenburger sehr an ihren
alten Gebäuden hängen. Zu viele wurden plattgemacht, als die Stadt in den
1960er und 1970er Jahren modernisiert wurde; tragisch auch deshalb, weil
der Zweite Weltkrieg hier kaum Spuren der Verwüstung, zumindest nicht im
Stadtbild, hinterlassen hatte.
Ein Stück [4][dieses Oldenburgs in Oldenburg] bliebe erhalten, Aufatmen
also, vielleicht auch ein bisschen Häme, als Henneberg „in Richtung des
Gebäudebesitzers Ulrich Marseille sagte“, wie die Nordwest-Zeitung schrieb,
durch den Denkmalschutz „wird es schwierig, hier etwas grundlegend anderes
zu machen“.
Bewahren, das kann aber eben auch manchmal verhindern bedeuten. Jedenfalls
steht das Kino seit 2007 leer; zwischendurch musste man sich Sorgen um die
Bausubstanz machen, weil Feuchtigkeit eingedrungen war, weil es beschmiert
wurde, weil es verlotterte. 2021 hat die Stadt das Dach instandsetzen
lassen und dem Eigentümer die Kosten in Rechnung gestellt; zwischendurch,
gar nicht so lange her, war der Radweg vor dem Gebäude gesperrt, weil Teile
herabzustürzen drohten. Inzwischen hat Marseille die Fassaden aber
streichen lassen, zumindest sieht das Kino jetzt wieder ganz schön aus. Ein
bisschen wie der Filmpalast mit Schmuckfassade, der es einst war.
Aber was wird da nun draus – und welche Möglichkeiten hat eine Kommune,
wenn der Eigentümer partout nichts mit dem schönen Gebäude machen möchte
oder zumindest nicht das, was gemäß Denkmalschutz möglich wäre? Schwierig.
## Die Fassade soll bleiben
Was Marseille will: Das Gebäude bis auf die Fassade, die auch er für
schützenswert erachtet, abreißen und dahinter was Neues bauen, so hat er es
uns auf Nachfrage per SMS nochmal mitgeteilt.
Dem steht entgegen, was das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege
sagt: Fassadenschmuck, Raumstruktur und „Teile der wandfesten
Innenausstattung“ ließen „nach wie vor erkennen, wie ein Kino in der
Entstehungszeit des Gebäudes gestaltet worden war“, die Ausweisung als
Einzeldenkmal würdige „Architektur und kulturgeschichtliche Bedeutung“
dieses Ortes. Also die Hülle und das Innere des Gebäudes. Die Stadt
Oldenburg als Untere Denkmalschutzbehörde führt das weiter aus: Weil das
Gebäude als ehemaliges Kino unter Denkmalschutz stehe, müsste „eine
anderweitige Nutzung zumindest einen Bezug zum Thema Kino/Theater haben“,
schreibt Pressesprecher Stephan Onnen.
Marseille stört sich vor allem an den schrägen Böden in den beiden
Kinosälen. Er sagt, damit könne man nichts anfangen. Er hat gegen die
Ausweisung als Denkmal geklagt, aber sowohl das Verwaltungsgericht
Oldenburg als auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg
haben den Schutz bestätigt. Es gab auch Gespräche zwischen Marseille und
der Stadt; 2015 fuhr Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann zu ihm
nach Hamburg, aber von dem Abrisswunsch wollte der Eigentümer nicht
abrücken. Per Brief stellte er dann, so schreibt es Stadt-Sprecher Onnen,
einen Neuanfang in Aussicht, aber der Einladung nach Oldenburg im Januar
2022 folgte Marseille nicht.
Stattdessen traf man sich zu einer Videoschalte und vereinbarte, sich
Gedanken über „mögliche Nutzungsideen“ zu machen und klären zu wollen,
„welche Bestandteile des Denkmals auf jeden Fall zu erhalten sind und wo es
mögliche Spielräume geben könnte“. Klingt gut, endete aber im Nichts.
Marseille habe am 11. Februar 2022 mitgeteilt, dass er ein Votum erwarte,
wonach der Oberbürgermeister „einem Abriss des Gebäudes unter Beibehaltung
der historischen Fassade ‚nicht mehr abneigend gegenübersteht‘“.
Der Oberbürgermeister wiederum verwies auf die Absprache, nach
Nutzungsideen zu suchen; eine pauschale Zustimmung zu einem Abriss werde es
nicht geben. Seitdem ist der Kontakt abgerissen. Das Kino steht da, die
Fassade sieht hübsch aus, aber: wie weiter?
## Nichts als Nostalgie?
Marseille glaubt, es sei viel Nostalgie im Spiel, die den Oberbürgermeister
von der SPD im Handeln blockiere. Im SMS-O-Ton von Marseille klingt das so:
„Der Bürgermeister hat Angst vor dem Zorn einiger seiner nostalgischen
Parteifreunde, die seinerzeit im Kino ihren ersten Kuss bekommen haben –
deshalb ist er bewegungsunfähig“.
Das weist die Stadt einigermaßen empört zurück, wie auch die
Landes-Denkmalschutzbehörde. Es gehe hier wirklich allein um den
Denkmalschutz, und der habe das Kino nun mal als solches im Blick. Und man
sei ja gar nicht kompromisslos, nur müsse Marseille eben mal konkrete
Vorschläge machen, was er vorhabe – abgesehen vom Abriss. Stadt-Sprecher
Onnen schreibt, es sei durchaus denkbar, die schrägen Böden zu überbauen,
um gerade Flächen zu schaffen. Im Rahmen eines Bauantrages könne geprüft
werden, was möglich ist.
Also, da sind Gespräche, die im Sande verlaufen; eine Gruppe Oldenburger
Investoren traf Marseille, aber auch da kam nichts heraus; das
Staatstheater wollte das Gebäude mal nutzen, als das eigene Haus saniert
wurde, doch die Gespräche scheiterten. Aber könnte die Stadt den Eigentümer
nicht enteignen?
Die Idee dazu kam vor ein paar Jahren auf, das städtische Rechtsamt hat das
auch geprüft, ist aber skeptisch. Ein externes Gutachten wird erwartet,
aber die Hürden, die Paragraph 30 des Niedersächsischen
Denkmalschutzgesetzes setzt, sind hoch.
Manche in Oldenburg vermuten, Marseille wolle das Gebäude langsam verrotten
lassen, damit am Ende nur noch der Abriss bliebe. Er schreibt dazu per SMS:
„Quatsch.“ Und auch das Landesamt für Denkmalpflege sieht die Gefahr nicht,
denn Eigentümer seien ja zum Erhalt des Denkmals verpflichtet. Und können
notfalls auch dazu gebracht werden.
Wie es aussieht, wird das Wall-Kino in Oldenburg noch lange dort stehen. In
alter Pracht, aber leer.
14 May 2023
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Oldenburger_Wallkino
[2] /Ein-Mann-geht-seinen-Weg/!5931536
[3] https://www.imdb.com/title/tt0095765/
[4] /Protest-gegen-Abrissplaene/!5072825
## AUTOREN
Felix Zimmermann
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