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# taz.de -- Neues Konzept fürs Sprengel Museum: Die Kunst der Selbstbespiegelu…
> Das Sprengel Museum in Hannover wird saniert. Jetzt ist mit „Abenteuer
> Abstraktion“ der erste Teil der Neuaufstellung zu sehen.
Bild: Bewusst von Sehgewohnheiten des tradierten Tafelbildes abstrahiert: Bild …
Die Abstraktion als geistige Leistung des Menschen war das Lebensthema des
Schweizer Kunsthistorikers, Publizisten und Kurators [1][Markus Brüderlin
(1958–2014)]. Er sah sie als Erbgut und ein immer wieder zu belebendes
Reservoir der Moderne und barg aus den Tiefen der Kunstgeschichte das
Ornament als Wegbereiter der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts. Als er
2006 die Leitung des Kunstmuseums Wolfsburg übernahm, folgten Ausstellungen
mit abenteuerlichen Gedankengängen, 2014 das große Finale: die Urerfahrung
menschlichen Abstraktionsverlangens im textilen Gewebe, der unendlichen
Wiederkehr horizontalen und vertikalen Fadenwerks.
Solch theorielastigen Unterbau erspart sich das Sprengel Museum in
Hannover, wenn es nun als ersten Abschnitt seiner Neuaufstellung Werke der
klassischen Moderne bis hin zur Gegenwart zeigt, subsummiert als
„[2][Abenteuer Abstraktion]“. Für zwei weitere Jahre noch mit den widrigen
Bedingungen einer umfassenden Sanierung kämpfend, soll diese Präsentation
einen Vorgeschmack auf Kommendes geben, etwa 2025 eine große Schau zum
25-jährigen Jubiläum der Schenkung Niki de Saint Phalle.
Denn das Haus kann aus eigenen Depotbeständen schöpfen, die in üppiger
Fülle verschiedenste Tendenzen der Moderne und geradezu mustergültig den
lokalen Impuls der Zwischenkriegsjahre aufzuzeigen vermögen. Der war, man
kann es sich heute kaum noch vorstellen, ungemein wichtig und wirkte bis
tief ins internationale Kunstgeschehen. Im Wesentlichen war dafür [3][Kurt
Schwitters] (1887–1948) verantwortlich, Hannoveraner Multitalent wie
Bürgerschreck gleichermaßen, und ein so genialer wie umtriebiger
Netzwerker, der immer wieder maßgebliche Protagonist:innen der
Kunst-Avantgarde in die Leinestadt zu bringen vermochte.
Schwitters gebühren nun zwei von insgesamt 19 Räumen der neuen
Dauerausstellung. Hinzu kommt die Teil-Rekonstruktion seines ganz
persönlichen Gesamtkunstwerkes, jenes Merzbaus, den er ab 1923 durch seine
Privaträume in der Waldhausenstraße wuchern ließ. Wand- und
Deckendurchbrüche im elterlichen Wohnhaus waren dazu vonnöten, auch der
Balkon wurde irgendwann angegangen. Den expressionistisch
konstruktivistischen Versuchsbau prägten Grotten, befreundeten
Künstler:innen gewidmet oder von ihnen selbst verfasst.
Es gab, neben je einer Höhle für Ehefrau Helma und Sohn Ernst, etwa eine
Mondrian-, eine El Lissitzky-, eine Mies van der Rohe-Grotte, immer mit
persönlichen Zutaten der Geehrten. Diese reichten von einem Stück Krawatte
bis zur ausgedienten Zahnprothese oder einem Gläschen Urin, sorgfältig
beschriftet und liebevoll eingebettet.
Haus, Merzbau, weitere Kunst, Notenhandschriften zur Ursonate, dem
akustisch-performativen Hauptwerk, Archiv und eine große Bibliothek: Alles
fiel 1943 einem Bombenangriff zum Opfer. Schwitters Versuch nach
Kriegsende, aus dem britischen Exil heraus Gelder für die eigenhändige
archäologische Grabung der Kriegsruine aufzutreiben, scheiterte – und damit
auch seine Rückkehr nach Hannover. Der Kunst-Schutt wurde irgendwann
geräumt. Die bislang weitgehend ausgeblendeten Auswirkungen des NS-Regimes
auf Künstler:innen wie die Kulturlandschaft Hannovers, aber auch
personelle Verstrickungen, zeigt nun eine materialreiche Recherche –
eingerichtet in einem Spiegelkabinett zur Selbstkonfrontation.
Ansonsten soll die Qualität und Vielseitigkeit der eigenen Sammlung für
sich sprechen, das gelingt mit erfrischend wenig museumspädagogischem
Beiwerk. Die neue Präsentation ist thematisch und nicht zwingend
chronologisch nach Ausprägungen der Abstraktion erschlossen. Dazu gehörte
der initiale Verzicht einer Abbildfunktion der Kunst zugunsten des
Selbstwerts sinnlicher Anschauung – verblüffend belegt durch Fotoreihen zu
Muscheln und Schnecken von Alfred Ehrhardt aus den 1930er-Jahren, die reine
Formanalyse werden. Es folgen etwa die konkrete Kunstauslegung eines Victor
Vasarely, Farbräume, die Konzeptkunst von Otto Piene bis Joseph Beuys, oder
Rosemarie Trockels riesiges maschinengestricktes Schwarz-Weiß-Karo, das
auch Markus Brüderlin gefallen würde.
Eine ganz eigene Qualität des Sprengel Museums sind seine Künstlerräume.
Neben dem Merzbau wäre da etwa noch das [4][„Kabinett der Abstrakten“ von
El Lissitzky], 1927 im Provinzialmuseum Hannover eingerichtet. Es wurde
2017 nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen erneut rekonstruiert
und steht nun am Beginn des Rundganges zur Abstraktion. Nur 23 Quadratmeter
groß, hält es als „lebendiges“, die Besucher:innen aktivierendes Museum
auf verschieb- und drehbaren Tableaus rund 25 Inkunabeln der Moderne vor:
Mondrian, Picasso, Eigenes von El Lissitzky.
Hinzu kommt nun eine neue ortsspezifische Totalinstallation – in einem
peripheren Raum des Zwischengeschosses, der einst als „Schaufenster“ diente
–: „Unter dem Strand“ des Hannoveraner Duos [5][Lotte Lindner & Till
Steinbrenner]. Die beiden sind Spezialisten für absurde Raumressourcen,
hatten einmal den Treppenabgang zum zugemauerten Fußgängertunnel unter dem
Friedrichswall mit rotem Licht zur „Naherholung“ umdeklariert. Oder sie
bohrten im Erdgeschoss der [6][Kestnergesellschaft] ein kleines Loch durch
den Fußboden, um das verdeckte Raumvolumen unter dem Bodenniveau erahnen zu
lassen – die Halle war schließlich einst Schwimmbad mit tiefem
Wasserbecken.
Ihre neue Arbeit ist in das Kreislaufsystem der technischen Medien im
Sprengel Museum eingebunden. Kondensiertes Wasser, das die Lüftungsanlage
der Atemluft der Besucher:innen entzieht, sorgt in einem sehr dunklen
Raum für den konstanten Pegelstand eines Aquariums. Bevölkert ist dieses
gläserne Behältnis von einem kleinen Schwarm des blassen Astyanax jordani,
der blinde Höhlensalmler. Dieser genügsame Bewohner lichtloser,
unterirdischer Gewässer hat im Laufe seiner Evolution Augenlicht und
Körperpigmente weitgehend zurückgebildet.
Mit den Fischen zieht also lebendig Naturschönes in ein eigentlich ja recht
lebensfeindliches Haus. Denn werden im Museum die Sinnesfunktionen des
Menschen nicht viel zu stark auf das Sehen reduziert, und ein bisschen
akustische Wahrnehmung? Welche Art „Zurückkonditioniertes“ zeichnet also
das ideale Museumspublikum aus, fragt nun diese leise Institutionskritik.
7 May 2023
## LINKS
[1] /Der-Leidenschaftliche-PORTRAIT/!377625/
[2] https://www.sprengel-museum.de/ausstellungen/aktuell/abenteuer-abstraktion
[3] /!5599834
[4] https://www.kunstausstellungen.de/ausstellung/1598-Sprengel-Museum-Hannover/
[5] /Auszeichnung-fuer-Installationen/!5214964
[6] /Ausstellung-ueber-Zaertlichkeit/!5870418
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Sprengel Museum Hannover
Abstrakte Malerei
Ausstellung
Moderne Kunst
Kunst
Kunst und Abstraktion
Hannover
Sprengel Museum Hannover
zeitgenössische Fotografie
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