| # taz.de -- Die Kunst der Woche für Berlin: Der Weg ist versperrt | |
| > Künstler und KI, die Schafe co-kreieren, Kunst in Luxusresorts und eine | |
| > Ausstellung von Ziervogel, die als Metalllabyrinth daherkommt. | |
| Bild: Wenn Metall das Bild abriegelt: Ziervogels „Parcours“ (2023) vor „a… | |
| Pünktlich zum Gallery Weekend schlug in Berlin Marat Guelman auf, berühmter | |
| Galerist in Moskau in den der Zeit von 1990 bis 2000. Längst als | |
| ausländischer Agent stigmatisiert, lebt er seit 2014 in Montenegro, wo er | |
| in Budva an der Adriatischen Küste das Kunstzentrum „Montenegro European | |
| Art Community“ betreibt. | |
| In Berlin firmiert er als „[1][Guelman und Unbekannt Gallery]“ in den | |
| Räumen des World Chess Club Berlin in der Mittelstraße 51/52. Interessante | |
| Location und interessantes Konzept, denn Guelman und sein nicht genannter | |
| Partner wollen sich ganz auf digitale Kunst konzentrieren. Und schon „Reue“ | |
| (Psalm 51), die Ausstellung des in Lviv geborenen, ukrainischen Künstlers | |
| Andriy Bazuta, mit der sie eröffnen, zeigt, dass es spannend werden könnte. | |
| Als Co-Creator der großen Inkjet-Hochformate nennt sich Bazuta Arik | |
| Weissman und in dieser Rolle hat er den Psalm 51 einer | |
| Deep-Learning-Algorithmen-Exegese unterzogen, die vom Programm als Malerei | |
| visualisiert wurde. Steht man etwas von der „Petitioning the Paraclete“ | |
| benannten Serie von Bildern entfernt, meint man barocke Altargemälde zu | |
| sehen. Offenbar scheint die Datenlage den Psalm allein in den christlichen | |
| Raum zu verorten. Wir sehen Kirchenfenster, wir sehen Kerzen, Kreuze, wir | |
| sehen Schafsherden, aufsteigend angeordnet und von Weihrauch umwölkt, dass | |
| es nur so eine Freude ist. | |
| Von Nahem betrachtet freilich sieht man von alledem – nichts. Die Fenster, | |
| die Kerzen, die Kreuze und die liturgischen Gewänder, auch die Schafe, sie | |
| alle zeigen sich nur in Form einer denkbar schrägen Annäherung. Dass sie | |
| abstrahiert wären, kann man nicht sagen, denn zu deutlich ist, dass die KI | |
| keine Ahnung hat, was ein Schaf ist, wie es ausschaut und wie davon zu | |
| abstrahieren wäre. Bei all ihrer Scheußlichkeit und ihrer feuerrotgelben | |
| Übertreibung, die Bilder faszinieren. Diese wolligen, naturweißen Dinger, | |
| die Schafe sein wollen, mit ihren unglücklichen Köpfen, sie tun einem leid, | |
| und sie beschäftigen einen. Niemals würde man sich als Mensch, der mit | |
| Tieren lebt, eine solche Kreatur ausdenken können. | |
| ## Im Luxusresort | |
| Als eine Abstraktion künstlerischer Arbeit könnten Arik Weismans Bilder | |
| freilich schon begriffen und daher im Luxusresort durchaus erfolgreich | |
| vermarket werden. Dass die künstlerische Arbeit von KI geleistet wird, muss | |
| nicht stören, denn auf ihre Spezifik kommt es im Resort nicht an, sagt die | |
| Kunstwissenschaftlerin Isabelle Graw. Sie hat diesen neuen Ort der Kunst, | |
| der an illustren Plätzen wie Gstad, Aspen, Menorca u.U. vielleicht auch | |
| Budva zu verorten ist, untersucht und damit einen Strukturwandel des | |
| Kunstbetriebs analysiert. Ihren unter dem Titel „Willkommen im Resort“ | |
| veröffentlichten Thesen zu der dadurch veränderten Wertbildung der Kunst, | |
| hat sie nun in Form einer Ausstellung weitere Argumente zur Seite gestellt, | |
| den Diskurs zu befeuern. | |
| Isabelle Graw versammelt in ihrer Schau „In Defense of Symbolic Value. | |
| Artistic Procedures in the Resort“ bei [2][Max Hetzler] neun Künstler, | |
| Rosemarie Trockel, Soil Thornton, Adam Pendleton, Avery Singer, Albert | |
| Oehlen, Merlin Carpenter, Valentina Liernur, Kerry James Marshall und Jutta | |
| Koether. Bei Koethers „Dream until it’s your reality“-Frühling – eine … | |
| ein barockes oder hippieskes All-over von Blüten und Gräsern eingebettete, | |
| streng blickenden Gestalt, wobei die zarten Farben gleichwohl luftig und | |
| leicht auf die Leinwand gesetzt sind – scheint der Symbolwert, zu dessen | |
| Verteidigung im Titel der Ausstellung aufgerufen wird, in der Reflexion des | |
| Diskurses der Malerei auf, also etwa ihrer Geschichte, ihres vermeintlichen | |
| Geschlechts und ihres Status. | |
| Der Symbolwert als dasjenige im Kunstwerk, das in keiner ökonomischen Logik | |
| aufgeht, kommt mit einer kräftigen Prise bitterböser Ironie versehen | |
| selbstreflexiv gewendet bei Kerry James Marshalls „History of Painting (May | |
| 17, 2007)“ und „History of Painting (February 6, 2007)“ ins Spiel. Die | |
| Leinwände zeigen die Ergebnisse der Abendauktionen in New York mit | |
| deutlichem Preisgefälle nach unten für nicht weiße, nicht männliche | |
| Künstler. Da wir wissen, wie teuer inzwischen ein Kerry James Marshal ist, | |
| kommt der Symbolwert auch so noch einmal ins Spiel, auf seiner Verheißung | |
| setzt der Marktwert auf. | |
| An sich reduziert Käuflichkeit ja die Zugangsbedingungen zu einem Gut, das | |
| als Ware in der Öffentlichkeit beworben und damit auch diskutiert wird. Wer | |
| mitreden oder den Preis bezahlen kann, ist dabei, weil der Markt nicht | |
| exklusiv und daher niemand qua Herkunft, Salbung, Mitgliedschaften oder | |
| Initiationen privilegiert ist. | |
| Die Kunst im Luxusresort, so das Kalkül der internationalen Großgalerien, | |
| kann nun diese Profanisierung der Kunst qua Käuflichkeit, extrem auf | |
| Kunstmessen sichtbar, unterlaufen. Aber das Widerständige gegen die | |
| Warenförmigkeit der Kunst findet sich eben nicht in der neu gegründeten, | |
| gut aussortierten, exklusiven Kunstgemeinde, die nur die Preise, aber nicht | |
| das Interesse an der Kunst in die Höhe treibt. | |
| ## Im Raum gegängelt, hinter der Wand gespeichert | |
| So stellt man sich das vor, wenn ein Künstler sagt, dass Freiheit | |
| grundlegendes Thema seines Werks sei. Man betritt das 1960 auf Initiative | |
| von Willy Brandt – auf den sich der Künstler bezieht – gegründete [3][Haus | |
| am Lützowplatz] und sieht am Ende der Raumflucht linkerhand eine gerahmte, | |
| großformatige Zeichnung an der Wand hängen: Sie ist voller winziger, | |
| detailreicher Szenen, die man sich unbedingt von Nahem anschauen möchte, | |
| aber man kommt nicht hin, der Weg ist versperrt. Davor steht ein Labyrinth | |
| aus Viehgittern. Man kann die Zeichnung nur durch die Metallstreben | |
| betrachten. Von barrierefreier Sicht also keine Spur. Die eindrucksvolle | |
| Installation dient strikt der Gängelung, Einengung und Beschränkung der | |
| Bewegungsfreiheit des Publikums im sonst leeren Raum. | |
| Freiheit ist ein Verlustgeschäft, schießt es einem durchs Hirn. Denn | |
| offenbar schärft vor allem ihr Entzug die Sinne für die Notwendigkeit wie | |
| Wohltat der Freiheit. Wie stellen wir uns zum Kunstwerk, wenn wir ihm nicht | |
| frei begegnen können? Diese Frage, auch in Hinblick auf soziale Barrieren, | |
| wirft Ziervogel mit seiner Installation und seiner Ausstellung „Wir sollen | |
| wie Hunde sein“ auf. | |
| Schon das erste Mal als ich auf Ziervogel stieß, [4][2005 in der Galerie | |
| Barbara Thumm], erinnere ich mich, hatte er den Galerieraum so zugestellt, | |
| dass er zum Ausstellungstunnel wurde, durch den man unausweichlich auf die | |
| damals fünf Meter breite Panoramazeichnung, einem Wimmelbild aus Sex und | |
| Grausamkeiten, zulief. Ziervogel interessiert die Rezeptionssituation von | |
| Kunst und deshalb inszeniert und irritiert er sie. | |
| „Das Erste“, ein kurzes Video aus dem Jahr 2000 bringt einen dann auf die | |
| Frage nach dem Verhältnis von Selbstdisziplin und Freiheit. So wie | |
| Ziervogel es darstellt, der sich beim dreiminütigen Zähneputzen nach | |
| zahnärztlichem Rat zeigt, scheint Selbstdisziplin unausweichlich auf die | |
| abschüssige Bahn des Zwanghaften, Hysterischen zu führen. | |
| Während ein Selbstporträt als Fettabdruck dann fast unsichtbar ist auf der | |
| Wand, wird eine weitere Arbeit, die Ziervogel im HaL ausstellt, nach | |
| Ausstellungsende hinter ihr verschwinden. Die ins Gemäuer eingelassene | |
| Glasbox enthält eine Zeichnung aus einer Lösung von Glaspartikeln, in denen | |
| synthetischer und menschlicher DNA-Code steckt, der als Speichermedium für | |
| Ziervogels Werk aus den letzten 20 Jahren und eigene Erbgutinformation | |
| dient. Nachfolgenden Generationen wird der Zugang zu Ziervogel von | |
| Ziervogel auch nicht leichter gemacht. | |
| 14 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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