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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Frage der Balance
> George Rickey erzeugt federnde Bewegung ganz ohne Technik, Martin Eder
> malt entrückte Kätzchen und die Gruppenschau „Transit“ denkt die Kunst
> als Exil.
Bild: In alle Richtungen: George Rickey, „Three Squares Vertical Diagonal II�…
Ein Sommertag auf dem Land. Keine Wolke am Himmel, die Sonne lacht und am
Boden steht das Gras hoch, in dem seltsame, silbrig glänzende Objekte zu
sehen sind. Jedenfalls auf [1][Schlossgut Schwante] in Oberkrämer. Dort
haben die Eigentümer Loretta Würtenberger und Daniel Tümpel die Streuobst-
und Feuchtwiesen, den kleinen See und die von früher rudimentär vorhandene
Gartenanlage in einen anregenden, zehn Hektar großen Skulpturenpark
verwandelt, mit Arbeiten unter anderen von Lynn Chadwick, Ulrich Rückriem
oder Carsten Nicolai. Und in diesem Jahr vor allem mit acht kinetischen
Edelstahlskulpturen von George Rickey (1907-2002).
Es ist eine kleine wunderbare Retrospektive des mehrfachen
documenta-Teilnehmers, der auch lange Jahre in Berlin gearbeitet hat. Mal
steht eine Arbeit wie „Six Lines in a T II“ (1979) auf der gemähten Wiese:
vertikal ein Stahlpfosten, auf dem ganz oben sechs überdimensionierte,
lange spitze Metallnadeln angebracht sind, die eine Vielzahl komplexer
Bewegungen vollziehen, wobei sie sich nie berühren. Und dann findet sich so
ein Edelstahlobjekt im hohen Gras, was seinen Bewegungen an diesem
Sommertag einen ganz besonderen Reiz verleiht. Denn das Gras steht still,
aber „Two Conical Segments Gyratory Gyratory II“ (1979) – ein Metallpfost…
obenauf mit einer Querstange an der auf der einen Seite eine Art
Metallfächer in doppelter Ausführung sitzt und an der anderen Seite ein
metallenes Dreieck wie eine Art Ruder hängt – tut das nicht.
Dank spezieller Kugellager und anderer technischer Raffinessen konnte
George Rickey die Gesetze der Physik, also der Schwer- und der Windkraft,
für seine Konstruktionen so präzise in Anschlag bringen, dass sich seine
kinetischen Edelstahlskulpturen leichter als die Grashalme in Bewegung
setzen. Der geringste Windhauch reicht, dass „Untitled Circle“ (2002), oder
„Space Churn with Cams V“ (1972) auf spielerischer Weise ihre kleinen Tänze
aufführen – ganz ohne jede elektrische Energie. Wenn diese Kunst uns nicht
Hoffnung schöpfen lässt, in Zeiten der Debatte um das GEG, kurz für
Gebäudeenergiegesetz, diese kleinen Maschinen, die ihre Bewegungsenergie
aus der Luft holen, was sonst?
## Katzenschnäuzig im Elysium
Ein Sommertagstraum, damit könnte Martin Eders Ausstellung „Elysium“ bei
[2][Eigen + Art] richtig benannt sein. Mit so viel sonnenhellem Licht
fluten die nur fünf oder sechs Gemälde den Raum. Der Star an der Stirnwand
des Raums ist ein weißes Kätzchen, das Eder im 100 x 150 cm messenden
Gemälde „A Glimpse of Infinity“ (2023) so ins Scheinwerferlicht gesetzt
hat, dass jedes einzelne Härchen etwa an den Ohren sichtbar ist. Tritt man
nahe ran, erkennt man die Perfektion, mit dem Eder seine Pinselstriche
setzt. Das Tiergesicht ist mit seinem matten Fell, dem feucht glänzenden
roten Schnäuzchen und den lichtreflektierenden tiefblauen Augen absolut
lebensecht getroffen. Aber mehr noch zeigt es überraschenderweise einen
nachdenklichen Gesichtsausdruck. Was man sofort als ironischen Rückzieher
interpretiert. Sooo süß, ist das alles doch nicht gemeint.
Aber dann passt die Mimik zur Haltung des Kätzchens, das sich auf seinen
Hinterpfoten sitzend aufgerichtet und seine Pfötchen wie zum Gebet gefaltet
hat. Das ist nicht mehr ironisch, das ist dann wirklich aus einer anderen
Welt. Vielleicht dem Elysium. Wer weiß das schon? Vielleicht der Typ unterm
Regenbogen, der gerade die weiße Friedenstaube in den Himmel entlassen hat
und unzweifelhaft Martin Eder ist? In ein glänzend weißes Satingewand
gehüllt hat sich der Maler in einem barock anmutenden Altarbild als eine
Figur porträtiert, die zwischen dem Typ Jesus und dem Typ Guru changiert.
Auch er ist vor einer tropische Naturlandschaft von Licht umhüllt, wobei
sich buntes Film- oder Disco-Scheinwerferlicht von hinten und
vermeintliches Tageslicht von vorn mischen. Und auch er ist in sich
versunken, hat die Augen meditierend geschlossen. Aber weil Martin Eder so
unbestechlich genau malt, erkennt man, dass er sich nicht als ganz
entspannt sieht, dass er sich eher anstrengt, so zu tun, dass er eigentlich
jeden Moment die Augen aufmachen und aus der Rolle fallen könnte.
Einen Rest Skepsis behält sich der Künstler einfach vor. Auch jetzt im
Licht durchfluteten Elysium, nach dunklen Ausstellungen wie „Dystopia“ oder
„Martyrium“. Es gibt im „Garten Eder“ – der Witz drängt sich einfach…
in dieser Ausstellung – dann noch weitere hinreißende Kätzchen, Details zum
großen Selbstporträt und, wie es zum Paradies gehört, die berühmten
Jungfrauen. Bei uns heißen sie Pin-ups und werden – Wetten dass..? – von
Mathias Döpfner gekauft. In dessen Jugend kannte man sie, so wie sie Eder
mit freilich größter malerischer Delikatesse als Motiv aufgreift, von
Motorhauben oder Benzintanks her. Heute ist das im Motorbusiness wohl nicht
mehr so richtig cool. Dafür in der Galerie.
## Bis zum Hals
„Transit“, die Gruppenausstellung mit zehn Künstler-innen und -paaren in
der [3][Galerie Zilberman] bräuchte sehr viel mehr Raum, um angemessen
besprochen zu werden. Doch das soll nicht davon abhalten, auf die von Lotte
Laub und Susanne Weiß kuratierte Schau hinzuweisen und einen Besuch zu
empfehlen. „Transit“ ist die erste Ausstellung von Zilberman am zweiten
Berliner Standort in der Schlüterstraße 45. Einmal weil in den 1930er
Jahren hier die Modefotografien Yva, deren Lehrling Helmut Newton war, ihr
Studio hatte. Zum anderen wegen des 1964 eröffneten Hotels Bogotá, das sich
hier noch bis 2013 behaupten konnte. Yva wurde 1942 als Jüdin deportiert
und in Majdanek ermordet. Heinz Rewald gelang die Flucht nach Bogotá,
weswegen er nach der Rückkehr sein Hotel nach der rettenden Stadt benannte.
Wie der Name es schon sagt, dockt „Transit“ also an das Schicksal des
Hauses und seiner Bewohner an, detailliert dargelegt durch Joachim
Rissmanns Privatsammlung in einem Vitrinentisch. Und „Transit“ dockt mit
Kunst an, die Flucht, Exil beziehungsweise den Limbo des
Hin-und-hergeschoben-werdens thematisiert. Die aus Singapur stammende
Künstlerin Sim Chi Yin geht der Lebensgeschichte ihres in der Familie
totgeschwiegenen Großvaters nach.
Ihr Zweikanalvideo „The Mountain That Hid“ schaut auf der linken Leinwand
aus einem verlassenen Eisenbahntunnel auf die Gleise, auf denen der
Großvater, ein linker Journalist und antikolonialer Aktivist im malayischen
Unabhängigkeitskrieg, von den Briten nach China in den sicheren Tod
deportiert wurde. Parallel dazu ist auf der rechten Leinwand in fast
romantisch zu nennenden Bildern die Annäherung an das Haus zu sehen, in dem
der Großvater lebte, bis ihn der Kuomintang exekutierte.
Im gleichen Raum hat Itamar Gov, 1989 in Tel Aviv geboren, eine
Leuchtschrift auf ein Gerüst geschraubt wie man es früher von Hoteldächern
her kannte, wo die Schrift schon von weitem Unterkunft und Ruhepause
versprach. „Refuge of all Strangers“ steht bei Gov mehrdeutig geschrieben.
Aber was spricht gegen die Interpretation, die Kunst sei der rettende Ort
für die, die fremd sind oder sich auch nur fremd fühlen?
Die Flucht Lots und seiner Familie greift Hanna Frenzel auf, die in ihrer
Performance im Salzbergwerk Asse zur Salzsäule erstarrt, in dem sie in
einer Plexiglasröhre steckt und bis zum Hals mit Salz zugeschüttet wird.
Hätte Lots Frau nicht zurückgeschaut, wäre sie unbeschadet davongekommen.
Aber soll man die Ruhe bewahren und keine falsche Bewegung machen, in einer
Situation, die einem doch die Selbstbeherrschung ganz grundlegend raubt?
24 Jun 2023
## LINKS
[1] https://schlossgut-schwante.de/kunst/
[2] https://eigen-art.com/ausstellungen/aktuell/elysium-martin-eder/?from=start
[3] https://www.zilbermangallery.com/exhibitions.html
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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