# taz.de -- Seniorenwohnen: Oldies und Goldies | |
> Im Alter wollen Menschen in Gemeinschaft leben, versorgt sein oder im | |
> Luxus schwelgen. Beim "Servicewohnen" geht das. Aber es gibt zu wenig | |
> Angebote. | |
Bild: Seit 26 Jahren wohnt Christa Fuchs im Caritas-Seniorenheim in Berlin – … | |
BERLIN taz | Es gibt Frühlingstage wie diesen, da verliert das hohe Alter | |
seinen Schrecken. Die Sonne scheint, auf dem Balkon blüht es lila und gelb, | |
unten im Garten sonnen sich die Mitbewohner:innen. „Ich fühle mich hier | |
geborgen“, sagt Christa Fuchs, 91 Jahre alt, „man grüßt sich, man ist nic… | |
so allein“. | |
Fuchs, den rot-weißen Seidenschal sorgfältig umgebunden, sitzt in ihrer | |
Einzimmerwohnung im fünften Stock des Seniorenzentrums Kardinal Bengsch in | |
Berlin. Der Blick nach draußen reicht weit in den Himmel. „Es war ein | |
Glücksfall“, sagt Fuchs, „dass ich das Haus hier vor vielen Jahren gefunden | |
habe“. | |
„Servicewohnen“, auch Betreutes Wohnen genannt, bietet das Seniorenzentrum | |
der Caritas an. Dabei wohnt man zur Miete in einem barrierearmen Haus mit | |
Aufzug und bucht diverse Angebote, auch Pflegeleistungen, dazu. Jüngere | |
Außenstehende mögen den Gebäudekomplex aus den 80er Jahren mit den | |
Bewohner:innen, von denen sich viele mit Stock, Rollator oder im Rollstuhl | |
bewegen, vielleicht als „Altenghetto“ empfinden. | |
Aber für die Bewohner:innen hier ist der Mietvertrag wie ein Sechser im | |
Lotto. „Wir werden überrannt von Bewerberinnen“, erzählt Christine Nawrat… | |
die agile Seniorenberaterin in dem Caritas-Haus. Man könne die | |
Interessent:innen nicht mal auf eine Warteliste vertrösten, sondern | |
müsse auswählen, so stark sei der Andrang. | |
## Ein boomender Markt | |
Im Caritas-Haus, das direkt an der Spree liegt, kostet eine | |
43-Quadratmeter-Wohnung mit Schlafnische und abgetrennter Küche warm rund | |
690 Euro im Monat, inklusive einer Service-Pauschale von 105 Euro für die | |
Angebote an Gruppenaktivitäten und Beratungssprechstunden, aber ohne | |
Mahlzeiten. Damit gehört das Haus zu den günstigen im Bereich des | |
Servicewohnens, und das in einer Metropole wie Berlin. | |
Servicewohnen ist ein boomender Markt, rund 300.000 Plätze gebe es | |
schätzungsweise in Deutschland, aber der Bedarf sei viel höher, so der | |
„[1][Pflegeheim Rating Report 2022]“. Dazu zählen Einzimmerappartements in | |
altersgerechten Seniorenwohnhäusern ebenso wie Dreizimmerwohnungen in | |
hotelähnlichen Residenzen. | |
„Wir raten den Leuten, sich genau anzuschauen, welche Leistungen sie für | |
welche Kosten bekommen“, sagt David Kröll, Sprecher des | |
[2][Patientenschutzbundes Biva], „manche Menschen haben falsche | |
Vorstellungen davon, was betreutes Wohnen ist. Die denken, dass sie da | |
gewissermaßen an die Hand genommen werden.“ Die Serviceleistungen schließen | |
aber keine pflegerische Betreuung ein. Die Versorgung durch einen | |
ambulanten Pflegedienst muss vielmehr im Bedarfsfall hinzu gebucht werden, | |
dann werden gegebenenfalls auch Eigenanteile fällig. | |
Fuchs wohnt schon seit 26 Jahren im Caritas-Seniorenwohnhaus. Davor lebte | |
sie alleine, sie hat keine Kinder. „Ich war selbstständig, | |
Bandagenmeisterin“, erzählt sie, „heute nennt man das | |
Orthopädiemechanikerin. Meine Wohnung lag in einem Altbau, Kohleheizung, | |
vier Treppen ohne Aufzug“. Im hohen Alter konnte sie da nicht bleiben, so | |
kam sie her. Zweimal in der Woche hilft ihr jemand vom ambulanten | |
Pflegedienst beim Duschen. | |
## Feingetunte Balance zwischen Nähe und Distanz | |
Es gibt Gemeinschaft im Haus, aber man dürfe nicht zu viel erwarten. „Eine | |
Nachbarin bringt mir jeden Tag die Post hoch“, berichtet Fuchs, „und eine | |
Nachbarin hat mir Blumen abgeholt, die ich für eine Beerdigung bestellt | |
habe“. Bei Gemeinschaftsfeiern kommt sie und hilft bei den Vorbereitungen, | |
so gut sie kann. Sie geht am Rollator oder kurvt mit dem Elektrorollstuhl | |
durch die Gänge. | |
Hat sie in all den Jahren Freundinnen im Haus gefunden? Hm, sie würde es | |
„Freundschaften“ nennen, sagt sie vorsichtig. Die feingetunte Balance | |
zwischen Nähe und Distanz ist entscheidend in einem Haus mit hochbetagten | |
Bewohner:innen, meist alleinstehenden Frauen, die alle ihre Eigenheiten | |
haben. | |
Im Haus haben 30 bis 40 Prozent der Bewohner:innen einen Pflegegrad, | |
erzählt die Seniorenberaterin Nawrath. Wer einen Pflegegrad hat, kann | |
Leistungen von der Pflegekasse etwa für ambulante Pflege beanspruchen, was | |
sich aber auf die Wohnkosten nicht auswirkt. | |
In der Regel kommen die Leute in jüngeren Jahren ohne Pflegegrad ins Haus | |
und werden dann mit den Jahren gebrechlicher. Das Eintrittsalter liege bei | |
Mitte 70, das Durchschnittsalter bei über 80 Jahren, „ein Mix ist gut“, | |
sagt Nawrath. Jüngeren, noch etwas fitteren Menschen fällt es in der Regel | |
leichter, an Gemeinschaftsaktivitäten teilzunehmen und Kontakte | |
herzustellen. | |
## Seniorenyoga und Doppelkopf | |
Daher belebt eine Altersmischung, will man nicht eine Einrichtung haben, in | |
der zumeist hochgebrechliche Bewohner:innen isoliert auf ihren Zimmern | |
sitzen und nur noch auf den nächsten Besuch des Pflegedienstes warten. | |
Unter den vielen Bewerberinnen und Bewerbern könne man ein bisschen | |
auswählen und darauf achten, dass man jene nimmt, die auch Interesse an | |
Gemeinschaftsaktivitäten haben, schildert Nawrath. | |
Betreuerinnen, Ehrenamtliche und Bewohner:innen bieten im Haus | |
Seniorenyoga, Kraft- und Balancetraining, Seniorentänze, ein Erzählcafé, | |
Technik-Sprechstunden, Bingo- und Doppelkopfrunden an. Im | |
Gedenkgottesdienst hält man Andachten für Verstorbene. Zweimal wöchentlich | |
promenieren die Spaziergruppen an der Spree entlang. | |
Um bei den Angeboten noch mitmachen zu können, „sollte man nicht zu spät in | |
das betreute Wohnen ziehen“, sagt Anita Seidel. Die 72-Jährige bewohnt ein | |
Apartment im Erdgeschoss des Hauses. Seidel zog nach dem Tod ihres Mannes | |
vor vier Jahren hier ein. Ihre Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in | |
Berlin-Zehlendorf im dritten Stock war ihr zu groß geworden, es gab keinen | |
Aufzug, sie wollte auch näher bei ihrer Tochter sein. | |
„Ich habe meiner alten Wohnung keine Träne nachgeweint“, sagt Seidel. Hier | |
im Seniorenzentrum spielt Seidel Bingo, sie geht bei der Gruppe der | |
„Morgenspaziergänger“ mit und macht Yoga. Das Gefühl, zu einer Gemeinscha… | |
zu gehören, hat auch sie. „Wir passen ein bisschen aufeinander auf“, sagt | |
Seidel. | |
## Notrufknopf für 25 Euro | |
Im Caritas-Wohnhaus führt die Leitung eine Art Sicherungsliste. Jede | |
Bewohnerin und jeder Bewohner seien dort namentlich aufgeführt, erklärt | |
Nawrath. Hat eine Mitarbeiterin im Haus die Bewohnerin an einem Tag | |
gesehen, macht sie ein Kürzel auf der Liste. Wenn zehn Tage hintereinander | |
kein Kürzel hinter dem Namen steht, schaut jemand nach. Für den Fall der | |
Fälle „haben wir einen Generalschlüssel“, berichtet Nawrath. | |
Dazu haben viele einen externen Hausnotruf dazu gebucht, für etwa 25 Euro | |
Grundgebühr. Ein Funkgerät in der Wohnung ist mit einem Knopf verbunden, | |
den man immer am Körper trägt. Wird der Notruf ausgelöst, meldet sich eine | |
rund um die Uhr besetzte Zentrale. Man kann auch eine tägliche | |
„Aktivitätstaste“ dazu buchen, eine Art Lebendigkeitsnachweis. Wird die | |
Taste nicht täglich einmal gedrückt, schaut jemand vorbei. | |
Dass eine Bewohnerin länger tot in der Wohnung liegt, ohne dass jemand was | |
merkt, wäre der Gau für jedes Seniorenwohnhaus. „Man zieht auch zur | |
Vorsorge hier ein“, erklärt Seidel. Wer weiß, was die Zukunft bringt. | |
Einmal irrte eine Bewohner:in plötzlich im Garten umher und fand nicht | |
mehr zurück in ihre Wohnung, erzählt Nawrath. Eine Dame saß einmal nackt im | |
Garten. Manche klingeln irgendwo in einer anderen Wohnung, wenn sie | |
verwirrt sind. | |
Wenn das ein paar Mal passiert, „dann kann man helfen, die Menschen zu | |
ihrer Wohnung zurückzubringen“, sagt Nawrath, „wenn das aber zum | |
Dauerzustand wird, können die Bewohnerinnen nicht mehr alleine bleiben“. | |
Dann reicht auch der ambulante Pflegedienst nicht mehr aus und die | |
Bewohner:innen ziehen um, zum Beispiel in die stationäre Pflegestation | |
im selben Gebäudekomplex. | |
## Zwischen Luxus und Gebrechlichkeit | |
Das Seniorenzentrum verfügt insgesamt über 150 Wohnungen, 64 Plätze in der | |
Pflegestation, eine Demenz-WG und eine Tagespflege-Einrichtung. Wer aus dem | |
Servicewohnen kommt, wird bei der Platzvergabe im Pflegeheim vorrangig | |
berücksichtigt. Wobei man aber auf Abgrenzung achtet: Der Eingang zum | |
Servicewohnen mit den vielen Briefkästen und Namen an der Tür liegt separat | |
vom Pflegeheim. | |
Das ist die heikle Balance des Servicewohnens, die noch viel mehr in den | |
teuren Altenresidenzen gefunden werden muss: Man will ein Haus der | |
Lebensfreude, womöglich sogar des Luxus sein, und gleichzeitig muss das | |
Haus Versorgung und Sicherheit bei Gebrechlichkeit bieten. Man kann den | |
körperlichen und womöglich auch geistigen Abbau nicht verdrängen wie in | |
einem Urlaubshotel. | |
„Wer in eine Premium-Residenz einzieht, will sich damit auch Sicherheit | |
kaufen“, sagt Thomas Neureuter, Gründer des Verbandes „Premium-Residenzen�… | |
und Herausgeber eines Kataloges, in dem 29 dieser Häuser im Stil von Vier- | |
oder Fünf-Sterne-Hotels aufgeführt sind. | |
Die Preise fangen für Einzimmer-Apartments mit Küche und Bad bei etwa 1.500 | |
bis 2.000 Euro monatlich an. Für eine 62 Quadratmeter große | |
Zwei-Zimmer-Wohnung in der „Villa Sibilla“ im Ahrtal werden bei | |
Einzelbelegung 4.000 Euro im Monat fällig, Pool-Benutzung und diverse | |
Serviceleistungen sind inkludiert. Ambulante Pflege muss auch in diesen | |
Häusern bei Bedarf dazu gebucht werden. | |
## Eigenes Amphitheater und Sternekoch | |
Auf Werbefotos sieht man distinguierte grauhaarige Herren mit jüngeren, | |
grauhaarigen Damen, die sich im Restaurant zuprosten und nicht so wirken, | |
als hätten sie irgendeine Versorgung nötig. In der Realität zeigt sich | |
dann, dass auch dort zumeist Hochaltrige leben. Die meisten Residenzen | |
verfügen über Bereiche mit stationärer Pflege, in die man bei Bedarf | |
umziehen kann. | |
Das Durchschnittsalter liege auch hier um die 80 Jahre, 75 Prozent der | |
Bewohner:innen seien Frauen, ein großer Teil davon alleinstehend, viele | |
verwitwet, sagt Neureuter, „es ziehen aber auch zunehmend Paare ein“. Viele | |
der Bewohner:innen seien „Menschen, denen im Alter das Haus zu groß | |
geworden ist. Sie verkaufen dann die Immobilie und von dem Geld und den | |
Altersbezügen kann man fünf, zehn Jahre in der Residenz leben.“ | |
Die Werbung soll das wohlhabende Bildungsbürgertum ansprechen, das merkt | |
man auch an den Katalogtexten. Zum Tertianum in Berlin ist von der | |
Brasserie mit „Sternekoch“ und „modern interpretierter französischer Kü… | |
die Rede. | |
Zum Kulturprogramm der Parkresidenz Alstertal in Hamburg mit eigenem | |
„Amphitheater“ heißt es: „Neben dem Klassiker-Schauspiel kommt auch das | |
Hamburger Volksstück zu seinem Recht, auf ein Konzert mit Kammermusik folgt | |
ein Abend mit Jazz Standards. Das kulturelle Angebot findet seine | |
Fortsetzung in einem umfangreichen Programm mit Konversations- und | |
Gesprächskreisen, mit Vernissagen, Modenschauen, Ausflügen.“ | |
## Altwerden im Seehotel | |
Nur eine der Premium-Residenzen aus dem Katalog liegt in den neuen | |
Bundesländern, in Zeuthen in der Nähe Berlins. Die Kaufkraft in der Region | |
spielt eine große Rolle für die Investoren. Doch die Residenzen sind nicht | |
nur etwas für die Oberschicht, auch die Mittelschicht hat Vermögen und | |
Immobilien. Silke Hummer, 80, ist vor zwei Monaten in die Luisen-Residenz | |
in Zeuthen gezogen und hier „sehr happy“, wie sie sagt. | |
Hummer, früher Turnlehrerin an einer Oberschule, schlank und mit | |
sportlichem Kurzhaarschnitt, hat ihren Mann drei Jahre lang gepflegt. Nach | |
seinem Tode wurde ihr das Haus in Mahlow zu groß. Der Gedanke, dass ihre | |
erwachsenen Kinder einmal für ihre Pflege zuständig sein sollten, war ihr | |
nach der langen Pflegezeit ihres Mannes ein Graus. „Ich dachte mir: Ich | |
brauche etwas, wo die Kinder entlastet sind“, erzählt Hummer, die in | |
Wirklichkeit anders heißt aber nicht mit ihrem richtigen Namen in der | |
Zeitung stehen will. | |
Ihr Traum sei schon immer gewesen, direkt am Wasser zu leben. „Mein Mann | |
und ich, wir sind gerne und viel gerudert“, erzählt die Brandenburgerin. | |
Das Haus mit 76 Ein- bis Drei-Zimmer-Wohnungen direkt am See war ein | |
früheres Seehotel, das der privaten „Land Union Gruppe“ gehört und nach d… | |
Umbau seit Jahresbeginn als Senioren-Residenz vom Evangelischen | |
Diakonissenhaus Berlin Teltow Lehnin betrieben wird. | |
„Der Blick ist eine Wucht“, sagt Hummer und öffnet die Tür zu ihrer 47 | |
Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnung mit dem kleinen Balkon. Man schaut | |
weit über den Zeuthener See hinaus und fühlt sich wie in einer geräumigen | |
Ferienwohnung. Einige Möbel aus ihrem alten Haus hat Hummer mitgebracht. Im | |
Wohnzimmer steht ein Tisch mit kunstvoll geschnitzten Beinen und | |
Marmorplatte, ihr Mann, ein Tischler, hatte ihn gebaut. | |
## Traum erfüllt dank Hausverkauf | |
Die Zwei-Zimmer-Wohnung kostet 2.300 Euro warm im Monat, mit Nutzung des | |
Wellnessbereichs mit Sauna, Pool, Fitnessgeräten und Sportangeboten. Essen | |
im hauseigenen Restaurant ist nicht inkludiert. Ein externer ambulanter | |
Pflegedienst kooperiert mit dem Haus. | |
Wer zehn Jahre hier lebt, muss mehr als 250.000 Euro an Wohnkosten bezahlen | |
und ist dafür die letzten zehn Jahre des Lebens gewissermaßen im | |
Dauerurlaub. „Mir kam zugute, dass die Grundstückspreise bei Berlin so | |
gestiegen sind“, so Hummer. Haus und Grund hat sie verkauft, die Kinder | |
ausgezahlt. Mit der eigenen Rente, der Witwenrente ihres Mannes und ihrem | |
Anteil aus dem Hausverkauf seien die Kosten „zu stemmen“, bis zum | |
90.Geburtstag, sagt sie und lacht. | |
Eine sehr lange Lebensdauer kann zum Problem werden, wenn knapp gerechnet | |
wurde, zumal dann meist noch Eigenanteile für die Pflege dazukommen. Kröll | |
vom Patientenschutzbund Biva kennt Fälle, wo das Vermögen nach mehrjährigem | |
Aufenthalt in einer Residenz aufgebraucht war, „die Leute mussten dann | |
ausziehen“, sagt er. Der Biva rät den Interessent:innen, vorsichtshalber | |
mit einer langen Lebensdauer zu kalkulieren. | |
Hummer fährt gern mit dem Rad durch die Natur in der Umgebung. Ein Armband | |
mit blauem Notruf-Knopf hat sie immer um, „das gibt mir Sicherheit“, sagt | |
sie. Auch bei Ausflügen könnte sie sich so im Notfall per Knopfdruck in der | |
Residenz melden. Sie hofft, dass sich das Haus weiter füllt. Ihr Rat für | |
den Umgang mit Mitbewohner:innen: „Man sollte nicht zuviel über Krankheiten | |
reden“. | |
## Einsamkeit geht auch in der Luxusresidenz | |
Niemand will in diesem Ambiente an Verfall, an Demenz und Tod denken, aber | |
natürlich geht es auch hier ums alt werden, ums sehr alt werden in dem | |
barrierefreien Haus mit den extrabreiten Fluren, stufen- und schwellenlosen | |
Bereichen, bodengleichen Duschen und Rampen, wo man mit Rollator und | |
Rollstuhl überall hinkommt. | |
Die Idee des hotelähnlichen Wohnens im Alter, mit dem Luxus wie im Urlaub | |
„beißt sich meinem Eindruck nach etwas mit der Realität der | |
Pflegebedürftigkeit, der Gebrechlichkeit“, sagt Kröll. Natürlich könne es | |
auch in den Residenzen vorkommen, dass hochgebrechliche, demente Senioren | |
isoliert auf den Zimmern sitzen, mit wenig Kontakt zu den anderen | |
Bewohner:innen. | |
Derzeit wird in der Luisen-Residenz noch um neue Bewohner:innen | |
geworben. „Wir gehen davon aus, dass die Residenz bis Frühsommer nächsten | |
Jahres voll belegt ist“, sagt Residenzleiterin Nancy Reinke. | |
Der Markt für das Servicewohnen im Premium-Bereich „ist begrenzt, die | |
Zielgruppe ist klein. Hingegen fehlt es im Mittelfeld etwas an Angeboten“, | |
erklärt Anja Sakwe Nakonji, Geschäftsführerin von Terranus, einer | |
Beratungsfirma für Sozialimmobilien. | |
## Servicewohnen zieht Investoren an | |
Nakonji erlebt, dass Investoren zunehmend Interesse am Servicewohnen haben, | |
schließlich sei der Bereich des betreuten Wohnens nicht so reguliert wie | |
die Pflegeheime, so die Beraterin. Beim Betrieb eines Pflegeheimes müssen | |
Vorgaben für die Fachkräfte, die Personalstärke, die Immobilie eingehalten | |
werden, die Pflegekassen und die Kommunen sind an den | |
Finanzierungsverhandlungen beteiligt. | |
All diese Regulierungen gibt es nicht für das Investment in | |
Mietappartements mit Dienstleistung, eben dem Servicewohnen. | |
Das Caritas-Seniorenzentrum in Berlin-Charlottenburg wurde vor mehr als 40 | |
Jahren mit der staatlichen Förderung für den sozialen Wohnungsbau | |
errichtet, das hat die Mieten von Anfang an in Grenzen gehalten. „Es müsste | |
mehr solcher Häuser geben“, sagt Nawrath, „die Nachfrage steigt“. | |
2,8 Millionen Haushalte mit Senior:innen benötigen altersgerechte | |
Wohnungen mit breiten Fluren, ohne Schwellen und mit Aufzug, aber nicht mal | |
ein Viertel dieser Haushalte haben Wohnungen, in denen man mit Rollator und | |
Rollstuhl klarkommt, hat [3][das Pestel-Institut in Hannover] unlängst | |
festgestellt. Es ist auch der Mangel an altengerechten Immobilien, der die | |
Senior:innen nach barrierearmen Alternativen suchen lässt, wie sie das | |
Servicewohnen bietet. | |
## Kaum Förderungen | |
Die staatlichen Zuschüsse der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für | |
Wohnungseigentümer:innen, die ihre Wohnung seniorengerecht umbauen wollen, | |
wurden ausgeschöpft und kürzlich eingestellt. Stattdessen gibt es nur noch | |
Kredite für den Umbau mit einer langen Laufzeit von 30 Jahren. | |
„Das ist eine Farce“, rügte Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts, | |
„welcher 70-Jährige bindet sich noch so einen Kredit ans Bein, um sein | |
eigenes Haus oder seine Eigentumswohnung altersgerecht umzubauen?“ | |
Günther fordert KfW-Zuschüsse für den Umbau von selbstgenutztem | |
Wohneigentum und staatliche Förderung für den seniorengerechten Neubau von | |
Mietwohnungen. Ohne eine zusätzliche staatliche Förderung seien neue | |
seniorengerechte Wohnungen für die Älteren nicht finanzierbar, weder für | |
die, die im Eigentum wohnen, noch für die, die zur Miete wohnen. | |
Günther: „Ein Alterswohnprogramm für die Baby-Boomer ist politisch weit und | |
breit nicht in Sicht“. Und nicht jeder kann oder will ein Haus verkaufen, | |
um in eine Residenz zu ziehen. | |
10 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.curacon.de/neuigkeiten/neuigkeit/pflegeheim-rating-report-2022 | |
[2] https://www.biva.de/ | |
[3] /Studie-zu-altersgerechtem-Wohnen/!5925977/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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