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# taz.de -- Wohnen in Berlin als Luxusproblem: Ich habe als Mieterin versagt
> In Sachen Nachhaltigkeit hat Wohnen keine besonders gute Bilanz. Deswegen
> will unsere Kolumnistin darauf verzichten. Wenn auch nicht freiwillig.
Bild: Wohnraum gibt es schon in Berlin. Aber billigen…
Hey, worauf wirst DU in Zukunft verzichten für mehr Nachhaltigkeit, fragt
mich die Frauenzeitschrift meines Vertrauens – und ich habe diesmal
augenblicklich eine Antwort parat: Wohnen! Ich werde auf Wohnen verzichten.
Wohnen gehört nämlich laut Umweltbundesamt neben Ernährung und Mobilität zu
den drei Konsumbereichen, die die Umwelt am stärksten belasten. Ich wäre
deshalb eigentlich gerne ein bisschen stolz auf meine Idee, wie ich künftig
meinen Beitrag zur Rettung des Planeten leisten kann. Aber ich will mich
nicht mit fremden Lorbeeren schmücken: Ich bin gar nicht selbst darauf
gekommen.
Stattdessen ist es so, dass mein Haus an jemanden verkauft wurde, dessen
Gelderwerb darin besteht, ansässige Mieter*innen zu vertreiben, um deren
Zuhause dann luxuriös zu sanieren und so zuvor bezahlbare Mietwohnungen als
teure Eigentumswohnungen zu verkaufen.
Eine geniale Geschäftsidee natürlich, jedenfalls, um viel Geld zu
verdienen, und darum geht es bei Geschäftsideen ja wohl, sagte man mir.
Aber, Sie wissen es schon: Gute Ideen sind nicht so meins. Super
Geschäftsideen schon gar nicht, ich gehöre deshalb einkommensmäßig zur
unteren Hälfte in Berlin. Dafür tue ich demnächst etwas für die Umwelt, der
neue Hausbesitzer aber nicht: Denn gewohnt wird in meinem, nein, natürlich
seinem Haus ja weiter. Nur eben nicht von mir.
Offen gesagt hatte ich zuerst daran gedacht, mir einfach eine andere
Wohnung zu suchen. Es gibt in Berlin ja freien Wohnraum: Das Internet
bietet mir gleich 30 Zweizimmerwohnungen zur Auswahl, insgesamt fast 3.000
Quadratmeter leerstehender bezugsfertiger Wohnraum. Allerdings kostet die
billigste davon 1.000 Euro für 46 Quadratmeter, die teuerste 8.500. Die ist
aber auch möbliert.
Das Weiterwohnen scheitert also an meinem eigenen Mangel an guten
(Geschäfts-)Ideen und damit deutlicher gesagt am Geld: Ich kann mir Wohnen
künftig schlicht nicht mehr leisten, ich bin dafür einfach nicht reich
genug. Die Angebotsmieten haben sich in Berlin [1][in den vergangenen 14
Jahren mehr als verdoppelt], bei Neuvermietungen stiegen sie allein im
ersten Quartal dieses Jahres um 30 Prozent. Angesichts dessen ist meine
[2][individuelle Leistungsfähigkeit als Mieterin], auf die
Immobilienunternehmer:innen sich für ihren Broterwerb ja
verlassen können müssen, an ihre Grenze gestoßen: Ich habe als Mieterin,
also als Konsumentin auf dem Wohnungsmarkt, versagt.
Ich werde demnächst also auf den Konsumbereich Wohnen verzichten müssen.
Man kann aber doch Wohngeld als Unterstützung bekommen!, werden Sie jetzt
sagen. Stimmt. Aber irgendwie finde ich das für mich unlogisch und falsch.
Ich arbeite ja, ich möchte gar keine staatliche Hilfe! Ich möchte von
meinem Einkommen leben und wohnen können und dass von meinen Steuern
bezahlbare Wohnungen für alle gebaut werden, statt Gewinne von Miethaien zu
finanzieren.
Und immerhin tue ich als Nichtwohnende automatisch auch noch in den anderen
Konsumbereichen, die das Umweltbundesamt als schädlich definiert, viel für
die Nachhaltigkeit: Energieverbrauchende Geräte etwa, Heizung, Gasherd habe
ich dann nicht mehr, auch keinen Kühlschrank zu füllen. Mein Besitz wird in
einen Rucksack passen müssen.
Allerdings ist genau das, auch das möchte ich zugeben, bei dieser Sache
mein großes Problem: Ich hasse Rucksäcke. Bisher hatte ich nie einen. Was
mich an ihnen stört? Ich finde, man geht damit so unschön gebeugt. Aber was
soll’s, wenn es doch so vielem offenbar als wichtiger Bewertetem dient: der
Rettung des Planeten und der Gewinnmaximierung von Immobilieninvestoren. Da
werde ich mich an diese geduckte Haltung wohl gewöhnen müssen.
24 Apr 2023
## LINKS
[1] https://interaktiv.morgenpost.de/berlinmieten/
[2] /Deutsche-Wohnen-erhoeht-Dividende/!5757229
## AUTOREN
Alke Wierth
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