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# taz.de -- Die Wahrheit: Lecker Kuckuckssteak auf dem Teller
> Deutschland streitet bis aufs Blut: Darf man Schnitzelessern heimlich
> Fleischersatz unterjubeln? Einblicke in eine vegane Küchendebatte.
Timo K. (29) erinnert sich noch genau an den Tag, an dem er seine Unschuld
verlor – ebenso allerdings an jenen, an dem er dazu gezwungen wurde, sein
Leben als Fleischesser infrage zu stellen. Er hatte mit seinen Kumpels
Schäckie, Pitti und Kucht in „Jan’s XXXL-Ranch“ gegessen, wo es die
größten Schnitzel gibt – auf Wunsch bis zu einem Kilo schwer. Nachdem sie
ihre bescheidenen 500-Gramm-Rationen mit einem Eimer Pommes vertilgt und
zwei Runden Bier heruntergespült hatten, kam Jan, der Chef, an den Tisch
und fragte zerknirscht, wie es den Jungs gemundet hätte.
„Wie immer toll!“ und „Eigentlich noch besser!“, kumpelten sie, aber da
knickte Jan schon vor ihren Augen zusammen. Was er ihnen anschließend über
die katastrophale Mogelei des spanischen Jungkochs anvertraute, schickte
zwei der Freunde sogleich in Ohnmacht und die beiden anderen erst mal zum
Kübeln aufs Klo.
Es ist ein Albtraum für bekennende Fleischliebhaber: Sie kauen auf einem
saftigen Steak herum, zermalmen ein würziges Mettbrötchen zwischen Zunge
und Gaumen, zerteilen die Fasern eines butterzarten Bratens mit den Lippen
und stöhnen dabei vor Behagen – doch nach der Mahlzeit heißt es: „Ätsch!
Das war gar kein Fleisch, das war ein veganes Ersatzprodukt!“
Nicht nur wurden sie um alle tierischen Fette, um bis zum Anschlag
gesättigte Fettsäuren, verklumpte Eiweiße, gichterzeugende Purine und
giftige Arzneimittelrückstände betrogen, sondern auch um das erhebende
Gefühl, dass ihretwegen eine Kreatur sterben musste. Auch Timo K. leidet
noch tagelang unter der anthropologischen Demütigung, kann sich aber
letztlich trösten: „Immerhin bin ich nicht schwul geworden. Nur ein paar
Tage lang magenkrank, niedergeschlagen und nachdenklich.“ Und mitten im
Grübeln schockt ihn die strahlende Erinnerung: „Der vegane Fleischersatz
war saulecker!“
## Missionarische Köche
So wie Timo K. geht es immer mehr Leuten mit gesundem Fleischappetit.
Missionarische Köche, die mit Veganismus und Klimaterrorismus
sympathisieren wie Jungkoch Jorge von „Jan’s XXXL-Ranch“, setzen ihnen
ungefragt Fleischersatz vor, um sie umzudrehen. Und es gelingt! Der neue
Fleischersatz, der solche Konversionserlebnisse möglich macht, heißt
„Vvleish“ und ist eine Mischung aus Seitan, Sellerie und koreanischen
Austernpilzen, die in einem geheim gehaltenen Produktionsverfahren zu einer
äußerst fleischähnlichen Substanz vulkanisiert werden. Von tierischem
Fleisch ist sie nur durch den nochmals verführerischeren, fleischigeren
Geschmack zu unterscheiden. Auf den Markt gebracht wurde Vvleish von einem
kleinen Start-up aus Rotterdam, um das sich mittlerweile mehrere große
Lebensmittelkonzerne balgen.
Timo K. und seine Freunde sind mit dem Schrecken (sowie einem
fantastischen kulinarischen Erlebnis) davongekommen, haben ihren
Fleischkonsum inzwischen minimiert und futtern zum Bier regelmäßig die
Vvleish-Sorte „Shvvitzel“. Ebenfalls erfolgreich sind „Svveak“,
„Spießvvraten“, „Grill-Vvrippchen“ und seit neuestem „Rham-Vvrikasse…
Heiß umstritten bleibt aber die Frage: Dürfen vegane Fleischguerilla-Köche
ihren Gästen ohne deren Wissen Fleischersatz auftischen? Und: Warum
müssen uns die Veganer unbedingt mit Gewalt ihre Lebensweise aufdrücken?
Fragen, wie geschaffen für den Nationalen Ethikrat! Denn wie so oft gilt
es abzuwägen zwischen zwei im Prinzip gleichrangigen Grundrechten: dem
Recht auf körperliche Unversehrtheit und gesundes Essen einerseits und
andererseits dem Recht, den eigenen Leib mit Fleisch ernsthaft zu
schädigen.
Die Justiz ist freilich in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, den
Genuss von Fleisch als „das weniger zu schützende Rechtsgut“ zu bewerten,
da es laut Grundsatzurteil „nur noch eine Sache für verbohrte ältere
Idioten“ sei (BGHSt 257, 501). Diese „fürchterlichen Greise, die ohnehin
bald in die Kiste springen“, vom Fleisch wegzubringen, wird laut
höchstrichterlicher Entscheidung immer öfter als „nachvollziehbares
Gewissenshandeln“ (BGHZ 609, 23) angesehen, was demgemäß straffrei ausgehen
muss.
## Armes Deutschland
Opfer der Zwangsbekehrung sehen das allerdings vollkommen anders:
„Ekelhaft! Das ist total ekelhaft! Für mich war es schiere
Körperverletzung“, sagt zum Beispiel Tanja Bellemann, Beraterin aus Passau,
die ohne ihr Wissen ein Grill-Vvrippchen in Barbecuesauce serviert bekam
und entgegen ihrem Willen zur strikten Veganerin wurde. „Der Koch müsste
sofort in den Knast wandern, stattdessen bekam er einen zweiten
Michelin-Stern – armes Deutschland!“
Für manche reiht sich die unheimliche Taktik der militanten Veganer ein in
die jüngste Kette von Gesetzesverstößen der Generation Woke: „Erst
ruinieren uns diese verschissenen Klebstoff-Kinder straffrei den Weg zur
Arbeit, und jetzt vergiften sie uns auch noch das Essen“, tadelt Boris von
Padlov, Immobilienverwalter aus Essen, milde die Justiz. Für Menschen, die
anderen Fleischersatz statt Fleisch vorsetzen, fordert er nach sorgfältiger
Abwägung aller Tatsachen die Todesstrafe, denn: „Rübe ab ist da einfach
alternativlos, und das sage ich als Liberaler.“
Die Fronten stehen sich also unversöhnlich gegenüber. Vergangene Woche
wurde ein Kantinenkoch in Bremerhaven beinahe gelyncht, als er zwei Dutzend
Hafenarbeiter mit einem selbstgemachten veganen Wurstgulasch zu überraschen
versuchte, das schon nach dem ersten Bissen als solches zu erkennen war.
Eventuell gelingt es nun ausgerechnet der Politik, die aufgeheizte
Diskussion zu beruhigen, denn sowohl die Union als auch die AfD haben
angekündigt, mit drakonischen Gesetzesverschärfungen zum Straftatbestand
Lebensmittelbetrug sowie strengeren Kontrollen gastronomischer Betriebe
durch die Veterinärämter zu reagieren. In jedem Fall hätten es totalitäre
Veganer in Zukunft hierzulande schwerer, uns alle am Esstisch heimlich zu
manipulieren.
22 Apr 2023
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
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Fleischkonsum
Veganismus
Fleischersatz
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Deutsche Bahn
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