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# taz.de -- Gesetzentwurf des Justizministeriums: Die Angst der Richter vor Kam…
> Bundesjustizminister Buschmann hat seinen Vorschlag zur Aufzeichnung von
> Strafprozessen abgeschwächt. Jetzt sind nur noch Tonaufzeichnungen
> geplant.
Bild: Zuhören muss man trotzdem noch genau: Zeug*innenaussagen sollen bald tei…
Freiburg taz | Justizminister Marco Buschmann (FDP) sucht den Kompromiss
mit den Richter:innen. Bei der geplanten Aufzeichnung von Strafprozessen
sind Kameras nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Tonaufnahmen sollen
genügen. Das sieht ein Gesetzentwurf des Justizministeriums vor, der der
taz vorliegt.
Buschmanns ursprünglicher Gesetzentwurf aus dem November sah vor, dass in
mehreren Hundert deutschen Gerichtssälen [1][Kameras und Mikrofone]
eingebaut werden, damit das Prozessgeschehen audiovisuell aufgezeichnet
werden kann. Durch eine Software sollen die aufgezeichneten Aussagen sofort
verschriftlicht werden, sodass bestimmte Worte gesucht und Aussagen
markiert werden können. Dieses Transkript sollen Richter:innen,
Staatsanwält:innen, Verteidiger:innen und Nebenkläger-Anwält:innen am
Ende jedes Verhandlungstages erhalten.
Die Aufzeichnungen sollen ein Hilfsmittel sein: für die Befragung anderer
Zeugen, für die Vorbereitung der Plädoyers und natürlich beim Schreiben des
Urteils. Für Rechtsmittel gegen das Urteil sollen die Aufzeichnungen nur in
eindeutigen Fällen genutzt werden können, etwa wenn sich beweisen lässt,
dass ein Zeuge im Urteil ganz falsch zitiert wurde. Eine Ausstrahlung von
Strafprozessen im Fernsehen bleibt weiterhin verboten.
## Gerichtliches Protokoll enthält nur Formalien
Buschmann will diese Dokumentation der Hauptverhandlung für alle
erstinstanzlichen Verfahren vor Land- und Oberlandesgerichten einführen,
also für alle Verfahren mittlerer und schwerer Kriminalität. Hier geht es
immerhin um die Verhängung von oft langjährigen Gefängnisstrafen. Die
Länder sollen bis 2030 Zeit bekommen, die entsprechende Technik
anzuschaffen.
Bisher verlassen sich alle Verfahrensbeteiligten auf ihr Gedächtnis oder
eigene Notizen. Es liegt auf der Hand, dass das eine äußerst
fehlerträchtige Methode ist, vor allem bei monatelangen Prozessen mit
Dutzenden Prozesstagen. Es gibt zwar ein gerichtliches Protokoll, das aber
nur Formalien enthält. Dort steht nur, wie lange ein Zeuge ausgesagt hat
und ob er vereidigt wurde, nicht aber, was er ausgesagt hat. „Wenn ich das
Nichtjuristen erzähle, glaubt mir das kein Mensch“, sagte jüngst der
ARD-Journalist Kolja Schwartz bei einer Veranstaltung im Bundesgerichtshof.
Dennoch waren alle Bundesländer und der Deutsche Richterbund gegen
Buschmanns Reformpläne. Nur die Anwaltsverbände stehen hinter dem
Justizminister. Sie fordern schon lange eine bessere Kontrolle der
richterlichen Allmacht.
Der Richterbund argumentierte natürlich nicht mit eigenen Interessen.
Vielmehr könne es die Persönlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten
verletzen, wenn die Aufzeichnungen ganz oder auszugsweise im Internet
landen. Es könne sogar das Aussageverhalten verzerren, wenn Zeugen damit
rechnen müssen, dass ihr Gerichtsauftritt in sozialen Netzwerken verbreitet
wird. Schon die bloße Anwesenheit von Kameras im Gerichtssaal könne Zeugen
hemmen und einschüchtern.
Die Befürworter:innen hielten solche Befürchtungen zwar für
übertrieben. [2][Doch Buschmann] gab jetzt nach. Verbindlich werden in der
Strafprozessordnung nur noch die Tonaufzeichnung und die Transkription
vorgeschrieben. Über die Videodokumentation können die Bundesländer frei
entscheiden. Buschmann griff dabei einen Kompromissvorschlag der
linksliberalen Neuen Richtervereinigung auf, die eine Tondokumentation
befürwortete, aber auf Kameras verzichten wollte.
Die Bundesländer lehnten das Projekt vor allem wegen der Kosten für die
neue Technik und erhöhten Personalaufwand ab. Doch die Zahlen gingen weit
auseinander. Während Buschmanns Ministerium mit bundesweiten
Anschaffungskosten von 15 bis 20 Millionen Euro rechnete, warnte Bayerns
Justizminister Georg Eisenreich (CSU) vor Kosten von 100 Millionen Euro
binnen zehn Jahren allein in Bayern.
Durch den möglichen Verzicht auf Kameras werden jedenfalls die Kosten
drastisch gesenkt. Und auch an einem weiteren Punkt kommt Buschmann den
Ländern entgegen. Eine vorgezogene Einführung für Terrorprozesse an den
Oberlandesgerichten muss nun nicht bereits 2026 beginnen, sondern erst
2028. Für die Prozesse an Landgerichten bleibt es beim Starttermin 2030.
Der neue Gesetzentwurf wurde vorige Woche an die anderen Ressorts der
Bundesregierung verschickt und soll in den kommenden Wochen im Kabinett
verabschiedet werden. Während Bayern die Dokumentation der Strafprozesse
nach wie vor ablehnt, weicht die geschlossene Länderfront auf. Hamburgs
Grüne Justizsenatorin Anna Gallina begrüßte ausdrücklich, dass Buschmann
den Ländern und der Justiz entgegenkommt.
10 Apr 2023
## LINKS
[1] /Liveberichte-vom-NSU-Prozess/!5259378
[2] /Nachfolge-fuer-Transsexuellengesetz/!5910744
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Marco Buschmann
Justiz
Kameras
Strafprozess
Gerichtsprozess
GNS
Verkehrsunfälle
Vorratsdatenspeicherung
Gefängnis
Silvesterknallerei
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