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# taz.de -- Alberto Acosta zu Fracking in Argentinien: „Mehr Abbau, weniger D…
> Argentinien bringt seine Schiefergasvorkommen ins Spiel. Der
> ecuadorianische Ökonom Alberto Acosta hat mit einem Tribunal die
> Zerstörung begutachtet.
Bild: Eruptionskreuz in Vaca Muerta, Argentinien. Fracking hinterlasse zerstör…
taz: Herr Acosta, sie sind Richter des International Rights of Nature
Tribunal, das 2014 in Quito gegründet wurde. Der Google-Translator
übersetzt dies als „Internationalen Gerichtshof für Naturrechte“. Welchen
Status hat dieses Tribunal im Vergleich zu anderen internationalen
Gerichtshöfen?
Alberta Acosta: Es ist ein [1][ethisches Tribunal]. Es will der Natur eine
Stimme geben und auch den Gemeinschaften, die in der Natur leben und sie
verteidigen. In den 1960er Jahren gab es mit dem Russell-Tribunal ein sehr
wichtiges Ethiktribunal, das der Zivilgesellschaft die Tür öffnete, um die
Kriegsverbrechen der USA in Vietnam anzuklagen. In Anlehnung an dieses
Tribunal wurde das International Rights of Nature Tribunal gegründet, an
dem Menschen aus allen Kontinenten teilnehmen.
Das Tribunal war gerade im Süden Argentiniens und hat die [2][Auswirkungen
des Fracking in Vaca Muerta] untersucht, einem der weltweit größten
Ölschiefervorkommen. Welches Fazit lässt sich ziehen?
Das Tribunal konnte die enormen Schäden durch Fracking für Mensch und Natur
nachweisen. Der Wasserbedarf ist brutal hoch, und die Luftverschmutzung ist
enorm. Das mit Quarzsand und mit einem Cocktail aus giftigen Chemikalien
vermischte Wasser wird im besten Fall in den Untergrund gepresst, was zur
Verunreinigung des Grundwasserspiegels führt. Dazu kommt eine steigende
Zahl von Erdbeben durch die unterirdischen Explosionen. Die hinterlassenen
Giftmülldeponien sind eines der schrecklichsten Gesichter von Trägheit und
Korruption der zuständigen Behörden.
Vaca Muerta wird von Regierung und Opposition als Lösung aller
wirtschaftlichen und finanziellen Probleme Argentiniens propagiert.
Widerspruch und Widerstand werden mit der Aussicht auf die Milliarden an
Dollarerlösen schlicht weggewischt. Wie reagiert die lokale Bevölkerung?
Das wird seit zehn Jahren versprochen und war doch schon immer ein
Trugschluss. Eine erweiterte Kosten-Nutzen-Studie würde zeigen, dass das
Fracking für Argentinien gar nicht rentabel ist. Doch das Gebiet von Vaca
Muerta wird als Opferzone umgedeutet, die eben für das Allgemeinwohl
buchstäblich geopfert werden müsse. Dabei melden die Ölkonzerne Gewinne,
weil sie schlicht nicht alle Kosten für die Schäden übernehmen müssen, die
sie verursachen. Die indigenen Gemeinschaften der Mapuche leisten
organisierten Widerstand. Sie erleben die Auswirkungen der Zerstörungen und
führen ihren Kampf mit konkreten Aktionen. Ebenso versuchen nicht indigene
Siedler, wenn auch mit geringerer organisatorischer Kapazität, sich den
Umweltschäden zu stellen und korrigierende Maßnahmen zu fordern.
Warum sollte ein Land, in dem 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der
Armutsgrenze lebt, auf die Ausbeutung von Vaca Muerta verzichten?
Könnte es nicht sogar sein, dass solche Länder arm sind, weil sie reich an
natürlichen Ressourcen sind? Es gibt eine Art Fluch des Überflusses, und
die Staaten und Volkswirtschaften, die sich vor allem mit Öl- und
Mineralexporten finanzieren, sind klientelistisch mit autoritären
Regierungen. Je mehr Extraktivismus, [Anm.d.Redaktion: Abbau fossiler und
nicht erneuerbarer Rohstoffe], desto weniger Demokratie. In diesem Umfeld
verschwindet die Armut nicht, während die Kluft zwischen Arm und Reich
wächst. Es ist kein Zufall, dass Vaca Muerta in Argentinien sowie die
Bergbaugebiete in Peru oder die Ölgebiete in Ecuador zu den ärmsten
Regionen der drei Länder gehören.
Sind die Urteile des Tribunals rechtsverbindlich?
Nein, sind sie nicht. Die Stärke eines solchen Tribunals liegt in seiner
Unabhängigkeit und in der Qualifikation seiner Richter, die unabhängig von
jeglicher politischen oder wirtschaftlichen Macht sind. Sie sind, um es mit
Russells Worten zu sagen, „herausragende Persönlichkeiten, nicht wegen
ihrer Macht, sondern wegen ihres intellektuellen und moralischen Beitrags
zu dem, was man optimistischerweise allgemein als menschliche Zivilisation
bezeichnet“.
Die [3][Idee, Ökosysteme zur juristischen Person zu erklären], um ihnen wie
lebenden Personen oder Unternehmen als eigenständigen Rechtssubjekten einen
Anspruch auf Rechtssicherheit zu gewährleisten, kam Anfang der 1970er Jahre
auf. Worauf stützt sie sich?
Die Annahme der Natur als eigenständiges Subjekt mit ihren vielfältigen
Wechselbeziehungen hat eine lange Geschichte, auch in der westlichen
Kultur. Der viel tiefere Ausgangspunkt liegt jedoch bei den indigenen
Völkern Amerikas und anderen Kontinenten. Für sie ist Mutter Erde oder
Pachamama nicht nur eine Metapher. Denn in Wirklichkeit verlangt diese
Mutter Erde, wie unsere leibliche Mutter, gar nicht das Recht, sie zu
lieben und zu respektieren. Vielmehr ist es die Mutter, die Natur, die uns
das Recht gibt zu existieren. Und streng genommen erfordert die wirksame
Umsetzung der Rechte der Natur eine Art kopernikanische Wende.
2008 wurden in Ecuador die Rechte der Natur in die Verfassung aufgenommen.
Ein Novum, an dem Sie direkt beteiligt waren. Welche Fortschritte gab es?
Auf den ersten Blick erscheinen die Fortschritte sehr gering. Aber wenn man
genauer hinschaut, sieht man, dass es heute in Ecuador Dutzende von Fällen
gibt, in denen vor allem indigene Gemeinschaften sowohl ihre kollektive
Rechte als auch die Rechte der Natur verteidigen. Und ich bin sehr froh,
wenn ich sehe, dass der Impuls für die Rechte der Natur, der von Ecuador
ausging, zurzeit in fast 40 Ländern offiziell Fortschritte macht. Dazu
gehört Spanien mit [4][dem Mar Menor] und auch Deutschland, wie das
Volksbegehren in Bayern zeigt, das eine Änderung des Artikels 101 der
bayerischen Landesverfassung durch die Aufnahme der Rechte der Natur als
juristischen Begriff anstrebt.
10 Apr 2023
## LINKS
[1] http://www.rightsofnaturetribunal.org
[2] /Fracking-in-Argentinien/!5927002
[3] /Die-Natur-hat-Rechte/!5923733
[4] /Rechte-der-Natur-in-Spanien/!5924146
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Fracking
Argentinien
Schiefergas
Umweltzerstörung
Indigene
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Schwerpunkt Klimasabotage
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