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# taz.de -- Experte über Lateinamerikas Interessen: „Brauchen institutionell…
> Rohstoffabbau, Interessen von China, Russland und den USA:
> Politikexperte Atilio A. Borón hofft auf einen Neustart beim
> Lateinamerika-Karibik-Gipfel.
Bild: Putsch in Brasilien: Präsident Lula vor einer zerstörten Scheibe
taz: Herr Borón, am Dienstag treffen sich die Staatsoberhäupter der
Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, kurz Celac,
in Buenos Aires. Wie steht es um die Region?
Atilio A. Borón: Nicht besonders gut. Sie ist nach wie vor wirtschaftlich
unterentwickelt, und die Armut hat in den letzten Jahren fast überall
zugenommen. In den kleinen Staaten Zentralamerikas ist die Lage äußert
prekär. Die Remesas, also die Geldüberweisungen von Familienangehörigen,
die meist in den USA arbeiten, spielen eine überlebenswichtige Rolle. Das
gilt auch für Mexiko. Und dass die USA, wie im Fall von Kuba, diesen
Geldhahn mit administrativen Anordnungen zudrehen können, ist fatal. Dazu
kommt noch der Drogenhandel mit all seinen negativen Folgen.
Und im Süden des Kontinents?
In den größeren Ländern ist es kaum anders. [1][Kolumbien beginnt] sich
nach 60 Jahren Bürgerkrieg gerade zu stabilisieren. Brasilien versucht aus
dem Desaster und der Deindustrialisierung herauszukommen, die Jair
Bolsonaro hinterlassen hat. Argentinien hat sich in einem Labyrinth verirrt
und weiß nicht, welchen Weg es einschlagen soll.
Brasiliens frisch gewählter Präsident Lula da Silva gilt als der Stargast
in Buenos Aires. Könnte er nicht für neuen Schwung sorgen?
Der [2][Putschversuch] kurz nach Lulas Amtsantritt hat allen gezeigt, dass
Brasilien vorerst mit sich selbst beschäftigt sein wird. Lula muss dringend
dafür sorgen, dass die verschiedenen Sicherheitsorgane und Polizeieinheiten
sowie die Geheimdienste hinter ihm und seiner Regierung stehen. Und er muss
versuchen, die soziale Lage der Menschen zu verbessern. Dafür braucht er
den nötigen finanziellen Spielraum, etwa durch eine Steuerreform, die die
Vermögenden stärker zur Kasse bittet. Welche Kräfte dann noch für eine
gewichtige außenpolitische Rolle übrig bleiben, ist offen.
Die Erwartungen an das Gipfeltreffen sind also mehr als gedämpft?
Es wäre viel erreicht, wenn es einen Neustart gäbe, denn die Gemeinschaft
dümpelt seit sechs Jahren vor sich hin. Ich hoffe, dass man sich auf einen
institutionellen Rahmen verständigen wird. Bislang gibt es nur sporadische
Treffen der Regierungschefs. Es gibt kein supranationales Gremium, das
Schutzbestimmungen für beispielsweise den grenzübergreifenden Bergbau in
den Anden erarbeitet oder beschließt. Und es gibt auch keine gemeinsamen
Umweltstandards für den Lithiumabbau in der Region. So etwas könnte aus der
Celac kommen.
Donald Trump hat während seiner US-Präsidentschaft stets den Eindruck
vermittelt, dass Lateinamerika nicht besonders wichtig sei. Hat sich das
geändert?
Auf jeden Fall. Mit China haben die USA einen ernstzunehmenden
wirtschaftlichen Konkurrenten bekommen, so dass eine so rohstoffreiche
Region wie Lateinamerika und die Karibik für sie von unschätzbarem Wert
geworden ist. Es genügt ein Blick in das kürzlich veröffentlichte
[3][Dokument zur Nationalen Sicherheitsstrategie 2022], das quasi als
Leitfaden für die Außenpolitik der Regierung von Joe Biden dienen soll.
Darin nehmen Lateinamerika und die Karibik erstmals eine privilegiertere
Position ein als andere Regionen wie Europa, der Nahe Osten oder Afrika.
Man wolle effektive demokratische Regierungsführungen unterstützen und die
Region gegen Einmischung oder Zwang von außen schützen, heißt es darin. Mit
„von außen“ sind in erster Linie China und Russland gemeint. Zugleich soll
die demokratische Selbstbestimmung der Völker unterstützt werden. Dies
richtet sich eindeutig gegen Venezuela, Kuba und Nicaragua.
Der Einfluss Chinas hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen.
Wird dabei nicht die Vorherrschaft eines Landes durch eine andere ersetzt?
China versucht über die Schiene der Handelsbeziehungen zu einer
Vormachtstellung zu kommen. Seine politische Einflussnahme ist sehr
begrenzt. Die chinesische Führung interessiert sich kaum dafür, was für
eine Regierung welches Land regiert. Sie hat eine klare strategische
Vorstellung und weiß, dass sie in den unterentwickelten Ländern Verbündete
finden wird, die ihr die großen natürlichen Ressourcen anbieten, die China
selbst nicht hat. Das zeigt sich auch im Fall des Ukrainekriegs. China
macht seine Geschäfte völlig unabhängig davon, wie der Handelspartner zu
diesem Krieg steht. Die USA hingegen verlangen, dass man sich ihnen
anschließt und hinter ihnen steht.
Stichwort [4][Ukrainekrieg]. Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die
Region?
Es ist nicht unser Krieg. Das heißt, Lateinamerika und die Karibik müssen
sich nicht dazu positionieren. Er hat jedoch Auswirkungen auf die Länder
der Region, je nachdem, ob sie Öl und Gas verkaufen und von den höheren
Exportpreisen profitieren. Oder ob sie Nahrungsmittel zu jetzt weit
überhöhten Preisen importieren müssen. Von Letzterem sind die
zentralamerikanischen und karibischen Länder besonders betroffen. Da viele
von ihnen auch Öl oder Gas einführen müssen, sind sie es sogar doppelt. Die
Inflation ist in vielen Ländern gestiegen und der Kaufkraftverlust hat neue
Arme gebracht.
Ende der Woche reist der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nach Brasilien,
Argentinien und Chile. Welchen Einfluss haben Deutschland und die
Europäische Union in der Region?
Keinen. Die EU hat keine eigenständige Lateinamerika-Politik, nicht einmal
die Herkunftsländer vieler Migranten wie Spanien oder Italien haben eine
solche.
24 Jan 2023
## LINKS
[1] /Friedensgespraeche-mit-ELN-in-Kolumbien/!5909942
[2] /Rechte-Revolte-in-Brasilien/!5905447
[3] /Sicherheitspolitik-der-USA/!5887942
[4] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
## AUTOREN
Jürgen Vogt
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