| # taz.de -- Fußballweltmeister Argentinien: Messi heißt jetzt Diego | |
| > Der argentinische Fußball-Superstar Lionel Messi hat alles erreicht, was | |
| > er erreichen konnte. Er wird jetzt wie ein Gott verehrt – also wie Diego | |
| > Maradona. | |
| Bild: Er lässt die Welt stehen. Und die französische Abwehr auch: Lionel Messi | |
| Vielleicht noch nie hat ein großes [1][Finale] so viel Gesprächsstoff | |
| produziert wie das epische Duell um die [2][WM 2022]. Wo immer Argentinier | |
| nach dem Schlusspfiff zueinanderfanden, spielte das aber erst mal keine | |
| Rolle. Was sollte man analysieren, wie überhaupt diesen Irrsinn in Worte | |
| fassen? Wie nicht einfach nur Exorzismus betreiben, die Freude | |
| herausschreien, die ganzen Fansongs durchdeklinieren, von denen keine | |
| andere Nationalelf so viele hat? | |
| 36 Jahre hatte das wohl leidenschaftlichste Fußballland der Welt auf seinen | |
| dritten Weltmeisterstern warten müssen. Wie im Zeitraffer musste es diese | |
| 36 Jahre nun durchleben. So nah war der Titel schon und dann wieder so weit | |
| weg. Als [3][Frankreich] gegen Logik und Spielverlauf zum 2:2 ausglich, als | |
| es auch zum 3:3 zurückkam, da konnten viele nicht mehr hinsehen. Und | |
| womöglich konnte Lionel Messi nur deshalb ruhig weiterspielen, weil er, wie | |
| er sagte, seit einigen Wochen „die Vorahnung“ hatte, dass „Gott mir ihn | |
| schenken würde“, den WM-Pokal. Wie es dann passierte, fand auch er „una | |
| locura“, Wahnsinn: „Er hat sich ganz schön bitten lassen.“ | |
| 16 Jahre waren es in seinem Fall, so viele vergingen seit der ersten | |
| WM-Teilnahme, und natürlich machte das den Triumph noch größer. Es war eben | |
| nicht der lineare Erfolg eines Überbegabten, dem Talent und damit alles | |
| andere in den Schoß fiel. Sondern das Ergebnis von so viel Leid, dass er | |
| 2016 sogar schon mal vorübergehend aus der Nationalelf zurückgetreten war, | |
| weil er nach drei Finalniederlagen in Serie bei WM und Copa América fand, | |
| „es sollte nicht sein“ mit ihm und Argentinien. | |
| Wohl nie hat ein so guter Fußballer so viele Kritiken abbekommen wie Messi, | |
| der Überspieler des Krawall- und Social-Media-Zeitalters. Dass in seiner | |
| jahrelangen Wahlheimat Spanien – vom 13. bis zum 34. Lebensjahr – manche in | |
| Madrid so von ihrem Hass auf den Erzrivalen FC Barcelona zerfressen sind, | |
| dass sie seine Größe nie anerkennen konnten, war dabei noch sein geringeres | |
| Problem. Viel mehr schmerzten Anfeindungen aus Argentinien, die bisweilen | |
| explizit und praktisch immer implizit ins Persönliche gingen: Dass er nicht | |
| wirklich einer von ihnen sei, weil er ja schon mit 13 auswanderte. Dass er | |
| leicht einknicke, dass er nicht die landestypische breite Brust habe, das | |
| Straßenfußballerische. Dass er, kurzum, nicht Diego Maradona sei. | |
| Wenn jetzt seine Erlösungsgeschichte geschrieben wurde, ist Messi natürlich | |
| trotzdem kein braver Heiliger. Aber das war Maradona ja noch viel weniger. | |
| Dass er nach dem polemischen Viertelfinale gegen die Niederlande zum Pöbler | |
| mutierte, wurde daher sogar als Ausweis seiner Maradona-Werdung gefeiert. | |
| Vor allem und noch wichtiger zeigte er diese aber in seinem wild | |
| entschlossenen Spiel. | |
| ## Maradona, Falklands, Brasilianer | |
| Denn wie bei Maradonas mythischer WM 1986 handelte es sich bei Argentinien | |
| 2022 um ein verschworenes, vom anfangs belächelten Trainer Lionel Scaloni | |
| exzellent gecoachtes Team, das in den Youngstern Enzo Fernández | |
| (Mittelfeld) und Julián Álvarez (Angriff), dem exaltierten Torwart „Dibu“ | |
| Martínez oder dem in der ersten Finalstunde überragenden Ángel Di María | |
| punktuell auch andere Helden produzierte – aber zum Überleben immer die | |
| Interventionen Messis benötigte. Und sie mit sieben Toren sowie den | |
| maradonianisch brillanten Torvorlagen gegen Holland und Kroatien auch | |
| bekam. | |
| Wo immer Argentinier in der langen Partynacht nun zusammenfanden, stimmten | |
| sie ihr Lied dieser WM an, das Messi in den Kontext der klassischen | |
| Ingredienzen argentinischen Fußballliedguts stellt: Maradona, Krieg um die | |
| Falklands, was hier Malvinas heißt, und die Brasilianer. „In Argentinien | |
| bin ich geboren, der Erde von Diego und Lionel, und den Jungs der Malvinas, | |
| die ich nie vergessen werde“, beginnt es und schließt mit: „Für Diego, den | |
| wir im Himmel sehen können, mit Don Diego (Vater, d. Red.) und La Tota | |
| (Mutter), wie sie Lionel anfeuern“. Seit dem befreienden Sieg bei der Copa | |
| América 2021 in Brasilien, Argentiniens erstem Titel seit 1993, ist Messi | |
| endgültig und wirklich einer von ihnen. Bei der WM wurde nun die heilige | |
| Kommunion zelebriert. | |
| Wie es Maradona in seiner Paraderolle als Rächer nicht besser inszenieren | |
| könnte, setzte sich auch Messis Argentinien gegen alle durch. Nach der | |
| Niederlage gegen Saudi-Arabien spielte es schon ab der zweiten Partie gegen | |
| das Aus. Es motivierte sich durch die Lästereien der Holländer (Rafael van | |
| der Vaart: „Ich habe noch gegen den Messi gespielt, damals schrie ich nach | |
| meiner Mutter. Der von heute ist kontrollierbar“) und widerlegte Arsène | |
| Wenger, der nach der Vorrunde vorhersagte, „die Mannschaft mit den besten | |
| Außenbahnen wird Weltmeister“. Argentinien jedoch kam meist durch die | |
| Mitte. Über Messi. | |
| Es war die variabelste Mannschaft des Turniers und auch die beste, zumal im | |
| Finale. Doch für Analysen und Debatten ist ja nach den Feiern noch genug | |
| Zeit. Auch für die, ob Messi jetzt der beste Fußballer der Geschichte ist. | |
| 19 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Florian Haupt | |
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