| # taz.de -- Weltmeister-Empfang in Argentinien: Mehr als nur ein Spiel | |
| > Die Argentinier bejubeln in Buenos Aires ausgelassen die Ankunft ihrer | |
| > Fußballweltmeister. Der Dienstag wurde flugs zum Feiertag erklärt. | |
| Bild: Vor der Zentrale des Fußballverbands warten die Menschen auf die Ankunft… | |
| Buenos Aires taz | Es war exakt 2.23 Uhr, als am Dienstagmorgen der goldene | |
| WM-Pokal nach 36 Jahren wieder auf argentinischen Boden landete. 1986 hatte | |
| ihn die Hand Gottes (Diego Maradona) aus Mexiko mitgebracht. Diesmal war er | |
| mit dem Messias aus Katar eingeflogen. Damals wie jetzt strömten die | |
| Gläubigen zu Tausenden zum Flughafen von Buenos Aires beim Vorort Ezeiza | |
| und warteten stundenlang auf die Ankunft der Maschine mit der Mannschaft. | |
| „Es ist nur Fußball, ja, es ist nur ein Fußballspiel. Aber für uns ist es | |
| eben etwas mehr“, hatte Cheftrainer Lionel Scaloni die Euphorie seiner | |
| Landleute nach dem Finalsieg noch zu erklären versucht. | |
| Vom Flughafen fuhr die Mannschaft im offenen Doppeldeckerbus unter dem | |
| Jubel Tausender Fans im Schritttempo zum naheliegenden Trainingsgelände des | |
| argentinischen Fußballverbands AFA. Von dort wird sie am Dienstagmittag zur | |
| Jubelfahrt zum Obelisken im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires starten. | |
| Gerechnet wird mit über einer Million Menschen an der Strecke. Die | |
| Regierung hatte den Tag am Montagabend kurzfristig zum arbeitsfreien | |
| Feiertag erklärt. Eine Visite im Präsidentenpalast war bis zuletzt | |
| fraglich, trotz Einladung von Präsident Alberto Fernández. | |
| Dass sich die Spieler und der Trainerstab vor keinen politischen Karren | |
| spannen lassen wollen, ist bekannt. Auch deshalb war Präsident Fernández | |
| nicht nach Katar zum Finale gereist, obgleich sein französischer | |
| Amtskollege Emmanuel Macron ihn dazu überreden wollte. Zuhause bleibend | |
| reagierte Fernández allerdings nicht gerade glücklich, als er sich | |
| [1][überschwänglich via Tweet] beim russischen Präsidenten Wladimir Putin | |
| für dessen Glückwünsche zum Titelgewinn bedankte. | |
| 1986 hatte der damalige Präsident Raúl Alfonsín die Siegermannschaft im | |
| Präsidentenpalast empfangen. Allerdings war Alfonsín nicht mit Maradona auf | |
| dem Balkon erschienen, um sich von den Menschen auf der Plaza de Mayo | |
| zujubeln zu lassen. „Die Plaza gehört euch“, sagte der Präsident an der | |
| Balkontür zu den Spielern. Es war der erste WM-Titel seit der Rückkehr zur | |
| Demokratie. 1978 war Argentinien während der Militärdiktatur (1976–1983) | |
| erstmals Weltmeister geworden, als das Turnier im eigenen Land ausgerichtet | |
| wurde. | |
| ## Feiern bis in die Morgenstunden | |
| Die spontanen Feiern fanden am Sonntag statt. Nach dem letzten und | |
| entscheidenden Elfmeter waren landesweit Millionen Menschen lachend, | |
| weinend, erleichtert oder einfach nur überglücklich auf die Plätze und | |
| Straßen gegangen. „Als Argentinier musst du immer erst leiden, bevor du | |
| jubeln darfst“, so der Tenor über den dramatischen Spielverlauf. Selbst aus | |
| dem argentinischen Teil der Antarktis kamen Bilder von fahnenschwenkenden | |
| Menschen. Das Epizentrum lag jedoch [2][um den Obelisken]. Geschätzte 1,5 | |
| Millionen Menschen hatten sich rund um die viereckige Säule auf der Avenida | |
| 9 de Julio versammelt und bei sommerlichen Temperaturen bis in die frühen | |
| Morgenstunden gefeiert. | |
| „Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen“, sagte der 69-jährige Guiller… | |
| Gago über das gewonnene Elfmeterschießen. Statt eines Jubelfotos hatte er | |
| das Foto von Amir Nasr-Aazadani auf seinem Whatsapp-Profil eingestellt. | |
| [3][„Nein zur Todesstrafe für Amir Nasr-Aazadani im Iran]“ steht darunter. | |
| Argentiniens Medien hatten ausführlich über das Todesurteil gegen den | |
| iranischen Fußballspieler berichtet. Enttäuscht war Gago denn auch, dass es | |
| im Stadion von Katar zu keinerlei Soli-Aktion kam. „Nichts, weder von der | |
| AFA noch von der Fifa“, schüttelte er den Kopf. | |
| [4][Statt zu feiern, hatte er nach dem Spiel seinen Laden für | |
| Haustierbedarf im Stadtteil Villa Urquiza von Buenos Aires geöffnet.] | |
| „Großversammlungen liegen mir nicht so“, meinte er. Dabei standen die im | |
| Stadtviertel jubelnden Menschenmassen bis vor seine Ladentür. „Im Vergleich | |
| zu den Jubelfeiern 1978 und 1986 übertrifft die Euphorie diesmal alles | |
| Vorherige“, so Gago. Warum? Zum einen, weil die allgemein schwierige | |
| Situation für den größten Teil der Bevölkerung keinen Anlass zum Feiern | |
| hergab. Und zum anderen, war es [5][die endlose Quarantäne während der | |
| Pandemie]. „Die Leute waren monatelang eingesperrt mit ihren ganzen | |
| Emotionen. Das alles entlädt sich jetzt“, erklärte er. | |
| „Die Probleme, die wir haben, bleiben bestehen, aber wir sind ein bisschen | |
| glücklicher“, hatte Trainer Scaloni noch in Katar in der Finalnacht gesagt | |
| und damit ebenfalls auf [6][die immensen wirtschaftlichen und sozialen | |
| Probleme] angespielt. Ob die Glückseligkeit anhält, wird sich am Mittwoch | |
| zeigen. Aus Protest gegen den geringen Weihnachtsbonus, den die Regierung | |
| für die Sozialhilfeempfänger*innen angekündigt hatte, haben | |
| regierungsnahe und -kritische Organisationen zu Märschen und Kundgebungen | |
| vor den großen Supermärkten aufgerufen. | |
| 20 Dec 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/alferdez/status/1604672172470984704?cxt=HHwWgICz0di1-MQ… | |
| [2] https://cdn.jwplayer.com/previews/CK9FH2tt | |
| [3] /Todesurteil-in-Iran-gegen-Fussballprofi/!5899163 | |
| [4] /Argentiniens-Vorfreude-auf-die-Katar-WM/!5894072 | |
| [5] /Neuer-Corona-Lockdown-in-Argentinien/!5773894 | |
| [6] /Hohe-Inflation-in-Argentinien/!5874155 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Vogt | |
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