# taz.de -- Russ*innen in Buenos Aires: Zum Kinderkriegen nach Argentinien | |
> Immer mehr schwangere Russinnen kommen zum Gebären nach Argentinien. Das | |
> Kind bekommt die argentinische Staatsbürgerschaft, die Familie gleich | |
> mit. | |
Bild: Buenos Aires ist das bevorzugte Ziel von russischen werdenden Müttern | |
BUENOS AIRES taz | „Fünf Russinnen waren vor mir dran“, entschuldigt sich | |
Laura bei ihrer Freundin Natalia fürs Zuspätkommen. Die beiden sitzen im | |
Café schräg gegenüber der schweizerisch-argentinischen Geburtsklinik in | |
Buenos Aires. Laura ist im sechsten Monat schwanger. „Bei mir sei alles in | |
Ordnung, hat die Hebamme gemeint“, sagt sie. | |
„Und die Russinnen?“, fragt die Freundin. „Alle schwanger, vierter bis | |
achter Monat“, sagt Laura. Zwei Dolmetscherinnen wären auch dagewesen, und | |
so hätten sie etwas plaudern können. „Vier kommen aus Moskau, eine aus | |
Kaliningrad, alle sind zum Kinderkriegen hier.“ Und es würden immer mehr, | |
weil es hier so einfach sei. | |
Bis vor wenigen Jahren war Miami das bevorzugte Ziel von russischen | |
werdenden Müttern. Doch erst kam Corona, und jetzt, mit dem Krieg, hat sich | |
das Reiseziel in den Süden verlagert. Russische Staatsbürger*innen | |
brauchen für die Einreise nach Argentinien kein Visum und können wie alle | |
Tourist*innen 90 Tage im Land bleiben. Das öffentliche und private | |
Gesundheitssystem ist im Vergleich zu vielen Ländern gut. | |
Und vor allem: In Argentinien gilt das „ius soli“, das Prinzip des | |
Geburtsortes, was bedeutet, dass alle hier Geborenen automatisch | |
argentinische Staatsbürger*innen sind. Außerdem: Auch die Eltern können | |
die argentinische Staatsbürgerschaft erwerben. | |
## Die Geburt eines Reisepasses | |
Auf der Webseite der Agentur [1][Baby.RuArgentina] ist alles auf Russisch. | |
Statt eines Klapperstorchs steht dort ein blauer Pinguin mit einer Windel | |
im Schnabel. Darin baumelt kein Neugeborenes, sondern ein argentinischer | |
Pass. In der Erklärung darunter geht es denn auch weniger um Gebär- als um | |
Passfragen: „Jedes in Argentinien geborene Kind erhält automatisch die | |
Staatsbürgerschaft und seine Eltern einen argentinischen ständigen Wohnsitz | |
und das Anrecht auf einen argentinischen Pass, mit dem Sie ohne Visum um | |
die Welt reisen können: von Europa und Großbritannien bis nach Japan und | |
Neuseeland“, steht da zu lesen. | |
Webseitenbetreiber Kirill Makoveev lebt seit 2015 in Argentinien. „In | |
Russland ist die Medizin auf dem Stand des 19. Jahrhunderts. Das ist ein | |
Grund, warum schwangere Frauen, die Geld haben, sich für Argentinien | |
entscheiden“, sagt er. Ein anderer sei inzwischen zweifellos der Krieg. | |
Vor der russischen Invasion in der Ukraine hatte er 100.000 Besucher pro | |
Jahr auf seiner Webseite. 2022 waren es 400.000. „Schon in der ersten Woche | |
des Krieges waren es 10 bis 50 Besucher mehr pro Tag“, so Makoveev. | |
Welchen Preis Gebären in Argentinien bei ihm hat, verrät der Klick auf den | |
Tarife-Button. Das Rundum-Paket der „Economy Class“ kostet 5.500 Dollar und | |
das der „Business Class“ 7.000 Dollar. Eine telefonische Fernberatung ist | |
ab 100 Dollar erhältlich. | |
Für Argentinien ist der russische Geburtentourismus legal und findet auch | |
keineswegs im Verborgenen statt. Auf Baby.RuArgentina sind zahlreiche | |
Presseberichte verlinkt, ein Link führt zum britischen The Guardian. Dort | |
kommt Georgy Polin zu Wort, der Leiter der konsularischen Abteilung der | |
russischen Botschaft in Buenos Aires. Polin schätzt, dass im Jahr 2022 | |
zwischen 2.000 und 2.500 Russen nach Argentinien übergesiedelt sind, | |
darunter viele Frauen, die eine Geburt im Land geplant hatten. „Im Jahr | |
2023 kann diese Zahl auf 10.000 steigen“, sagt Polin. | |
Die fünf Russinnen hätten gesagt, sie seien nur wegen der Geburt ihres | |
Kindes gekommen. „Stell dir vor, wenn es Jungs werden, sollen alle Lionel | |
oder Leo heißen“, sagt Laura am Cafétisch. Das wundere ja jetzt in Russland | |
auch keinen mehr, seit Messi Fußballweltmeister ist. | |
Ihre Hebamme habe noch gesagt, dass es sich für die Klinik lohnen würde. | |
Wegen der [2][allgemeinen Misere] im Land könnten sich immer weniger | |
Argentinier*innen eine private Krankenversicherung und damit die | |
Entbindung in einem privaten Krankenhaus leisten. | |
20 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://baby.ruargentina.com/ | |
[2] /Hohe-Inflation-in-Argentinien/!5874155 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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