# taz.de -- Küchenarbeit in der JVA: „Durch Essen steigt die Moral“ | |
> Sebastian Glück ist Koch in einem Gefängnis. Ein Gespräch über | |
> Speisevorlieben der Insassen, resozialisierendes Essen und | |
> konfessionslose Osterhasen. | |
Bild: Sebastian Glück sagt, an Karfreitag gibt es Fisch, wie jeden Freitag. Ab… | |
wochentaz: Herr Glück, Sie arbeiten seit über 14 Jahren in Gefängnisküchen. | |
Vermutlich sieht es da nicht wirklich aus, wie wir es aus Hollywoodfilmen | |
und [1][Netflixserien] kennen? | |
Sebastian Glück: Tatsächlich ist es hier anders, als viele es sich | |
vielleicht vorstellen würden. Wir haben ein Programm, bei dem es nicht nur | |
um den Speiseplan, sondern auch um die Einbindung der Insassen in die | |
Küchenarbeit geht. Man sagt ja nicht umsonst: Durch Essen steigt die Moral. | |
Mit der gemeinsamen Zubereitung kann man einiges erreichen, sowohl im | |
Umgang miteinander als auch im Blick darauf, wie es dem Einzelnen geht. | |
Gibt es Lieblingsessen? | |
Das sind in der Regel die allgemeinen Kantinenklassiker: Schnitzel, | |
Spaghetti Bolognese, Wurstgulasch. Vegetarier gibt es natürlich auch. | |
Andere Gefangene wiederum bekommen muslimische Kost. Abzüglich | |
medizinischer Sonderkost bleiben dann ca. 600 sogenannte Normalessen übrig. | |
Außerdem gehört Milchreis zu den allgemein sehr beliebten Speisen. Der | |
eignet sich oftmals auch gut als Diätkost, da er sehr gut verdaulich ist. | |
Und medizinische Sonderkost – was kann man sich darunter vorstellen? | |
Das bezeichnet die Essen, die Allergien berücksichtigen, beispielsweise | |
gluten- oder laktosefreie Kost, oder das Essen nach einem Entzug. Die | |
medizinische Sonderkost wird bei der Arztvorführung erfragt, | |
beziehungsweise verordnet. Wer beispielsweise aus einem Entzug kommt, kommt | |
oft direkt aus dem Justizvollzugskrankenhaus nebenan. Die Kommunikation zum | |
Facharzt erfolgt also über kurze Wege. | |
Wie sieht der Speiseplan für Gefangene aus, die gerade aus dem Entzug | |
kommen? | |
Die ersten Tage bekommen sie sehr viel Tee und Zwieback. Alkoholentzüge | |
gehören zu den gefährlichsten und schädlichsten Entzügen – da ist erst mal | |
„Schonkost“ angesagt. | |
Damit erübrigt sich auch meine Frage nach einer Hausbrauerei. | |
Im Gefängnis herrscht strenges Alkoholverbot. Manche Gefangene trinken in | |
der Not allerdings auch mal Desinfektionsmittel oder lassen Reste von Brot | |
oder Obst in der Zelle vergären. Das kann natürlich gefährlich werden. In | |
der Regel wissen wir, auf wen wir besonders Acht geben müssen. Aber die | |
Gefangenen bleiben da stets erfinderisch – aus diesem Grund ist etwa unser | |
Desinfektionsmittel auf Salzbasis hergestellt. | |
Wie würden Sie die Stimmung beim Kochen mit den Gefangenen beschreiben? | |
Man darf nicht vergessen, wo man ist. Die Männer arbeiten ordentlich mit. | |
Aber sie alle sind schließlich aus einem Grund hier. Zwistigkeiten kommen | |
schon vor, gerade zwischen verschiedenen Nationalitäten. Die Umgebung ist | |
laut, der Ton in der Küche rau. 40 Arbeitsplätze haben wir, und die sind | |
auch immer gut frequentiert. Mehr Gefangene in der Küche wären | |
unübersichtlich. | |
Gibt es hin und wieder Vorfälle? | |
Die zwei Jahre Ausbildung zum Justizvollzugsbeamten haben mich gelehrt, bei | |
der Zusammenarbeit stets professionelle Distanz zu wahren. Zwar kommt es zu | |
Rangeleien, aber so gut wie nie gegen Bedienstete. Gewalttätige Vorfälle | |
gab es bislang noch keine in der Küche, zumindest nicht in meiner Zeit | |
hier. | |
Worauf müssen Sie als Gefängniskoch im Umgang mit den Insassen besonders | |
achten? | |
Bei allen Gefangenen – der Begriff „Sträfling“ ist übrigens ein absolut… | |
No-Go – handelt es sich bei der Haft auch um eine Resozialisierung. Das | |
gilt auch im Hinblick auf das Essen. Während meiner Zeit im Frauengefängnis | |
habe ich das bisweilen sogar stärker empfunden als bei den Männern. Manche | |
kennen es überhaupt nicht, drei Mahlzeiten am Tag zu essen, die muss man | |
erst einmal daran gewöhnen, eine ausreichende Menge an Kalorien zu sich zu | |
nehmen. | |
Apropos Kalorien: Als Boris Becker im Gefängnis saß, titelte die | |
Regenbogenpresse damit, dass er seinen Haftraumkollegen trainiere. Wie | |
beeinflusst Sport die Anstaltsküche? | |
Für die Männer ist die angepeilte Kalorienzahl um die 2.500, etwas weniger | |
als für den Mann auf der anderen Seite der Gefängnismauern, da man sich in | |
Haft durchschnittlich etwas weniger bewegt. Die meisten treiben Sport, | |
sowohl in Form von Angeboten der Haftanstalt, als auch im eigenen Haftraum. | |
Aber die alltäglichen Wege fallen weg, und das fließt in unsere Berechnung | |
natürlich ein. | |
Viele Menschen feiern in diesen Tagen Ramadan und Ostern. Wie geht man im | |
Gefängnis mit religiösen Feiertagen kulinarisch um? | |
Man feiert auch in der JVA die Feste, wie sie fallen. Konkret richtet sich | |
das dann auch kulinarisch nach den entsprechenden Religionen. Beim Ramadan | |
muss man sich vorher anmelden, damit wir uns logistisch darauf einstellen | |
können, vor allem was die entsprechende Nachhaltigkeit der Ressourcen | |
angeht. Es ist auch aus lebensmittelrechtlichen Gründen nicht immer | |
möglich, den Gefangenen ihr Essen für einen späteren Verzehr mitzugeben. | |
Daher werden speziell Mahlzeiten vorbereitet, die nach Sonnenuntergang | |
gegessen werden können. Für Ostern haben wir keinen außergewöhnlichen | |
Speiseplan. An Karfreitag gibt es Fisch, aber den gibt es hier jeden | |
Freitag. Zur Abendverpflegung wird es aber zusätzlich zwei bunt gefärbte | |
Eier geben. Schoko-Osterhase wie -Weihnachtsmann werden hier übrigens | |
funktional „Hohlkörper“ genannt. Der Begriff wurde deshalb gewählt, damit | |
es aus religiöser oder genderperspektivischer Sicht nicht ungelenk wirkt. | |
9 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Juliane Reichert | |
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