# taz.de -- Ladensterben In Hamburg: Der schwindende Geruch von Papier | |
> Schon wieder geht in Hamburg ein altes Fachgeschäft ein – weder Politik | |
> noch Verbraucher:innen stören sich genug daran, um etwas dagegen zu | |
> tun. | |
Bild: Schließt nach 92 Jahren: Büromarkt Hansen in der Hamburger Schanze | |
HAMBURG taz | Büromarkt Hansen schließt, es gibt einen [1][Räumungsverkauf] | |
und als ich das letzte Mal dort war, wand sich die Schlange der | |
Kund:innen zwanzig Meter von der Kasse fast bis zur Wand. Draußen war ich | |
an einer überfahrenen Taube vorbeigeradelt, an deren Innereien zwei Krähen | |
rissen, und drinnen fragte eine Kundin, ob auch die Schränke zu verkaufen | |
seien und ob sie auch nach Eimsbüttel geliefert werden könnten. | |
Es ist falsch, die Räumungskundschaft in die Nähe der Krähen zu rücken, | |
schließlich will Hansen all die Papiere, Stifte, Radiergummis und | |
Aktenordner loswerden und wer weiß, vielleicht hat die Räumungskundschaft | |
schon vorher ihre Blöcke dort gekauft und nicht online. | |
Büromarkt Hansen hatte alles, was es im Universum von Schreiben, Kleben, | |
Basteln gibt. Es war ein glücklicher Ort für einen Büromenschen, der sich | |
für die Olympiade des am besten ausgerüsteten Schreibtisches vorbereiten | |
wollte. Es war ein glücklicher Ort für ein entfesseltes Schulkind. Hansen | |
war der Ort, an dem man geradeaus durch und dann nach links abbiegend vor | |
einer kleinen Theke nach einer einzelnen Kugelschreibermine fragen konnte, | |
für einen uralten namenlosen Kugelschreiber. | |
Die Angestellten von Hansen suchten so lange, bis sie die passende Mine | |
fanden. Sie suchten mit der unterschiedslosen Sorgfalt einer Ärztin, der es | |
egal ist, ob sie einen Privat- oder Kassenpatienten vor sich hat. Die | |
Angestellten hatten die Würde von Leuten, die sich ihrer Sachkenntnis | |
bewusst sind, und das schien sich den Kund:innen zu vermitteln, die man | |
selten herumpampen hörte. Bei Hansen wusste man nie, ob man gerade mit dem | |
Geschäftsführer oder der Geschäftsführerin sprach, weil jeder und jede es | |
hätte sein können. | |
## Echte Menschen an der Kasse | |
Hansen wirkte so wenig verstaubt wie es ein Geschäft sein kann, das mit | |
Papier und nicht mit iPhones handelt. Trotzdem hatte es eine gewisse | |
Zeitenthobenheit. Es gab dort so viele Mitarbeiter:innen, wie man sie in | |
Geschäften, die ihre Personalquote an dividendefreundlichen Algorithmen | |
ausrichten, nicht findet. Es gab eine Kasse, an der gelegentlich sogar zwei | |
Frauen standen, die gar nicht erst versuchten, sich in Scanner-Maschinen zu | |
verwandeln. | |
Hansen schließt nach 92 Jahren, es war die vierte Generation, die das | |
Geschäft führte. Als ich den Geschäftsführer, einen schmalen Mann in | |
Pullover mit Stehkragenhemd, nach einem Interview fragte, winkte er ab. In | |
anderen Zeitungen wird er mit den Gründen für das Ende zitiert. Es ist eine | |
Sammlung, die mit Homeoffice nach Corona beginnt, sich mit der Konkurrenz | |
des Onlinehandels fortsetzt und bei der Schwierigkeit, Lehrlinge zu finden, | |
endet. | |
Steigende Mieten sind nicht darunter, das ist selten in Hamburg, und es | |
liegt daran, dass der Familie das Geschäftshaus gehört. „Dann muss man | |
schon einiges falsch machen, wenn einem das Haus gehört“, hat mir jemand | |
gesagt. Ich kann das nicht beurteilen, Hansen betrieb schon seit einiger | |
Zeit parallel einen Onlinezweig, das also haben sie nicht verschlafen. | |
Vielleicht muss man gerade auch gar nichts falsch machen, um zu scheitern, | |
zumindest scheitern gerade viele. [2][Eine Auswahl der schließenden Läden | |
aus einem Kilometer Umkreis]: ein Antiquariat, ein Naturtextilienladen, ein | |
Bäcker, ein Haushaltswarenladen – alles kleine, inhabergeführte Läden. Wer | |
überleben will, muss, so scheint es, Kette oder edelexklusiv sein. Also | |
Bäckerfiliale oder ein Edelbäcker wie derjenige, der sich zweihundert Meter | |
vom Büromarkt Hansen entfernt niedergelassen hat und seine Brötchen für | |
zwei Euro pro Stück verkauft. | |
In Zeiten, in denen sich alles Mögliche polarisiert, spaltet sich auch der | |
Papierladen in Amazon-Niedrigpreis-Handel und den Tempel für | |
handgeschöpftes Bütten aus Venedig, sodass aus der Entscheidung für den | |
Kauf von Bleistiften auch gleich eine fürs soziale Milieu wird, wie man sie | |
sonst an der Kneipentür trifft. Sonderbar, wenn man dem Büromarkt | |
hinterhertrauern muss als einem Ort sozialer Mischung, weil es inzwischen | |
so wenige sind, dass man sich die paar gegenseitig vorsagen kann. | |
## Zu klein für Rettungsschirme | |
Pech für die kleinen Läden, dass sie [3][zwischen den Relevanzstühlen | |
sitzen], die die deutsche Politik kennt: zu klein, um Rettungsschirme | |
jenseits pandemischer Notlagen zu verdienen, zu bodenständig, um in den | |
elitären Kulturbegriff zu passen, der Kunstschaffende an den Brosamen | |
innerstädtischen Leerstands teilhaben lässt. | |
In Paris kauft die Stadt Ladengeschäfte auf, die sie weit unter Marktpreis | |
an Buchhändler:innen oder Käseverkäufer:innen vermietet. Weil es | |
dort ein Verständnis für Alltagskultur gibt, das Käsegeschäfte einschließt | |
und weil man sich in der Politik dafür zuständig fühlt, den Raum dafür zu | |
gestalten. In Hamburg klingt das absurd, im besten Fall utopisch. Sodass es | |
für die Hansen-Kund:innen das Klügste sein wird, ihre Briefumschläge 30 | |
Jahre lang so günstig bei Amazon zu kaufen, dass sie vom Ersparten [4][nach | |
Paris reisen] können, um dort in einer Papeterie vorbeizuschauen. | |
18 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Krise-des-Einzelhandels/!5901422 | |
[2] /Explodierende-Gewerbemieten-in-Hamburg/!5911187 | |
[3] /Urbanistikforscherin-ueber-Innenstaedte/!5913762 | |
[4] https://www.france.fr/de/paris/artikel/die-10-wichtigsten-kulturellen-sehen… | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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