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# taz.de -- Erinnerung an den 18. März 1848: Ein Aufruf zur Revolution
> Am Wochenende jährt sich die Märzrevolution in Berlin zum 175. Mal.
> Künstler Jim Avignon hat zehn Berliner*innen gemalt, die eine Rolle
> spielten.
Bild: Jim Avignons Interpretation des Revolutionärs Saul Löwenberg
Die Frau wirkt in ihren Pumphosen und mit der verwegenen Zigarre wie eine
Kreuzberger Kommunardin, nur dass sie statt der obligatorischen Rastas
Korkenzieherlocken trägt. Die überlebensgroße Figur hinterm Deutschen
Historischen Museum stellt die streitbare Schriftstellerin, Vordenkerin der
Demokratie und der Frauenbewegung [1][Louise Aston] dar – eine Art
Superstar der Revolution.
„Aston war so frei und so unbeeindruckt von Vorschriften, wie man das heute
in dieser Zeit gar nicht für möglich hält“, weiß der [2][Berliner Musiker,
Partymacher, Pop-Art-Künstler und Vertreter der Art modeste Jim Avignon],
der sie gemalt hat. Sie ist eine der interessantesten der zehn
Berliner*innen der Märzrevolution 1848, die Avignon anlässlich des
kommenden [3][Berliner Wochenendes für die Demokratie], des 175. Jahrestags
der Revolution, malen durfte.
[4][Schon jetzt sind sie von der Friedrichstraße bis zum Schlossplatz an
historischen Orten der Revolution zu erleben] – darunter auch der
17-jährige Schlosserlehrling Ernst Zinna mit hoffnungsvollem Gesicht, er
wurde an einer Barrikade in der Friedrichstraße erschossen. Oder auch der
24jährige Chemiestudent Saul Löwenberg in aufmüpfiger Siegerpose. Er war
der Verfasser eines der ersten demokratischen Manifeste in Berlin. Sie alle
kommen verblüffend munter und gegenwärtig daher.
## Sonnig und gut gelaunt
Bei einem sonnigen Zickzack-Spaziergang von Figur zu Figur berichtet Jim
Avignon in elegantem Hut und mit verschmitztem Gesicht, wie er zu diesem
Projekt gekommen ist: Als Sohn einer Geschichtslehrerin und Autor eines
Buchs über berühmte Exzentriker vom 17. Jahrhundert bis heute, das erst
kürzlich erschien, fühlte er sich ganz gut gewappnet, sagt er.
„Es hat mich immer rasend interessiert, wenn in der Geschichte Platz für
neue Ideen entstanden ist.“ Und dann, etwas später: „Die Revolution in
Berlin war vielleicht auch im europäischen Vergleich eher ein
Revolutiönchen, das erst mal nicht erfolgreich war. Aber sie hat den Weg
aufgezeigt“.
Warum die Revolution 1848 heute so sehr in Vergessenheit geraten ist, das
hat Avignon so wenig verstanden wie die meisten Historiker*innen. Nach
wie vor kommt sie in der Schule eher zu kurz. Fünf von Avignons Figuren
waren unter 24 Jahre alt, als die Forderungen der Demokraten nach einer
Volksvertretung und gleichen Rechten für alle endlich auch in Berlin
ankamen. Dort, im Herzen Preußens, der führenden Polizei- und
Militärdespotie, wie der Autor [5][Jörg Bong in seinem 2022 erschienenen,
mitreißenden Buch „Die Flamme der Freiheit“] so schön beschreibt, klangen
sie viel revolutionärer als anderswo.
Doch als sich der König im Berliner Stadtschloss erst stur weigert, die
Forderungen auch nur anzunehmen, und am Abend des 15. März den Schlossplatz
„säubern“ ließ und dabei Zivilistinnen ermordet, verletzt und verhaftet,
machen sich die Berliner*innen auf. Am Nachmittag des 18. März ging es
zum Schloss, und als die ersten Schüsse fallen, beginnen die
Berliner*innen mit dem Bau von über 200 Barrikaden. Viele der
mindestens 270 Opfer unter den Aufständischen waren junge Leute unter 25.
## Heute wieder aktuell
Vieles, was Berlin in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausmacht, ist auch
heute wieder aktuell. Im Norden der Stadt hatten sich damals riesige
Armenviertel gebildet. „Nie vorher war es in Preußen zu solcher
Verwahrlosung des Gemeinwohles gekommen“, entsetzt sich in seinen
Tagebüchern der Chronist der Revolution Karl August Varnhagen von Ense, der
14 Jahre jüngere Ehemann der 1833 verstorbenen Rahel Varnhagen.
Achtung, Link in die Gegenwart eins: [6][Heute hat die Stadt mit rund 20
Prozent wieder die zweithöchste Armutsquote der Republik.] Und Link zwei:
Nach wie vor tun sich Teile der Berliner Politprominenz erstaunlich schwer
mit demokratischen Prozessen, man denke nur an den fahrlässigen Umgang mit
dem letzten und dem [7][kommenden Volksentscheid.]
Jim Avignon, dessen Karriere im chaotischen und überaus durchlässigen
Nachwendeberlin der Neunziger begann, ist dafür berühmt, dass er sehr
schnell sehr viele Bilder oft zu ziemlich niedrigen Preisen verkauft oder
gar verschenkt. „Früher habe ich mal gesagt, dass Berlin die einzige Stadt
ist, in der Statussymbole nichts zählen“, sagt er auf dem Rückweg zum
Ausgangspunkt des Spaziergangs in der Friedrichstraße.
„Und auch, wenn ich mir da manchmal nicht mehr so ganz sicher bin, hoffe
ich trotzdem, dass der raue Spirit hier, der einfach anders ist als
anderswo, erhalten bleibt“, fügt er an. Klingt fast wie ein Aufruf zur
Revolution.
17 Mar 2023
## LINKS
[1] /Hommage-an-die-Emanzipation/!5028094
[2] /Coffee-Table-Buch-von-Maler-Jim-Avignon/!5746547
[3] http://www.1848.berlin
[4] https://kulturprojekte.berlin/berlinerinnen-der-maerzrevolution/
[5] https://www.perlentaucher.de/buch/joerg-bong/die-flamme-der-freiheit.html
[6] /Steigende-Armut-in-Berlin/!5918695
[7] /Terminstreit-um-Klima-Volksentscheid/!5896492
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Demokratie
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Revolution
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Schwerpunkt Armut
Berlin
Buch
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Avignon vermittelt nicht nur Wissen, sondern auch nützliche Tipps.
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