# taz.de -- Märzrevolution 1848 in Berlin: Wieder drängend | |
> Bei einem Wochenende für die Demokratie wird in der ganzen Stadt der | |
> Berliner Märzrevolution vor 175 Jahren gedacht. Viele fühlen sich | |
> angesprochen. | |
Bild: Gedenken auf dem Friedhof der Märzgefallenen | |
Als Franziska Giffey vor die Barrikaden tritt, gehen auf einmal | |
revolutionäre Sprechchöre los. „Bye Bye Giffey“ schallt es und | |
„Volksentscheide umsetzen“. | |
Es ist Wochenende für die Demokratie, die ganze Stadt gedenkt der | |
[1][Märzrevolution in Berlin vor 175 Jahren]. Jenem kurzen Aufstand gegen | |
den König in Berlin, den mehrere hundert Menschen mit ihrem Leben | |
bezahlten, der als ein Meilenstein Deutschlands auf dem Weg in die | |
Demokratie gilt. In der Jägerstraße in Mitte haben sie eine der etwa 200 | |
Barrikaden nachgebaut, mit denen die Berliner*innen damals ihre | |
demokratischen Forderungen durchzusetzen versuchten. | |
Doch die Barrikade wurde verbarrikadiert, denn an diesem strahlenden | |
Samstagvormittag der Eröffnung ist nicht nur Giffey zur Barrikade gekommen, | |
sondern auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Hinter der Absperrung | |
stehen etwa 50 Leute vom neuen Bündnis „Rückschrittskoalition stoppen“ | |
gegen eine CDU/SPD-Regierung. | |
Sie scheinen wenig beeindruckt von Giffeys Rede, die auf Berliner | |
Vordenkerinnen der Frauenbewegung wie Louise Aston fokussiert. „Pure | |
Inszenierung!“, ruft einer mit fester Stimme. Dass Giffey dazu nur ihre | |
berühmte Betonmiene aufsetzt, anstatt die Leute beispielsweise einfach ans | |
Mikro zu bitten, passt ins Bild. | |
## Das Gefälle zwischen Arm und Reich | |
Es ist keine Frage: [2][Sich dieser Tage in Berlin an die Ursprünge der | |
Demokratie in Deutschland zu erinnern macht Sinn.] Knapper Wohnraum, immer | |
größeres Gefälle zwischen Arm und Reich und das berechtigte Gefühl, zu | |
wenig gehört zu werden – all das drängt sich den Berliner*innen auch | |
heute wieder auf. Wenig verwunderlich, dass sich knapp zwei Stunden nach | |
der Eröffnung im Maxim Gorki Theater die Sitzreihen trotz dieses ersten | |
Frühlingstags gut füllen – überhaupt geht das Wochenende für die Demokrat… | |
am Sonntagnachmittag mit vielen Tausend Besucher*innen erfolgreich | |
zuende. | |
Intendantin Sherman Langhoff berichtet einführend zu einer Lesung der | |
Autorinnen Lea Draeger, Marina Frenk, Mely Kiyak und Sasha Marianna | |
Salzmann aus Texten von Louise Aston, Emma Herwegh, Mathilde Franziska | |
Anneke und Amalia Struwe. „Sie mischten in allen Revolutionen des Jahres | |
1848 kräftig mit und kämpften, wie eine von ihnen es formulierte, gegen die | |
tödliche Macht unserer Verhältnisse“, sagt sie, verschweigt dabei nicht, | |
dass diese Revolution auch viele antisemitische Ressentiments mobilisierte. | |
Wer bislang noch keine Originaltexte dieser Autorinnen gelesen haben | |
sollte, dem sei vor allem Emma Herwegh ans Herz gelegt, die 1848 mit ihrem | |
Mann Georg vom Pariser Exil nach Deutschland emigrierte – die beiden kamen | |
nur knapp mit dem Leben davon. | |
[3][Wie kann es sein, dass die Revolution 1848 heute eher zu den | |
vergessenen gehört?] Das ist eine Frage, die sich wieder und wieder stellt | |
an diesem Samstag in Berlin. Bis es Unter den Linden zufällig an einer | |
Aufführung eines Theaterkurses einer 11. Jahrgangsstufe des | |
Arndt-Gymnasiums Dahlem vorbeigeht. | |
## Parallelen zum eigenen Leben | |
Toll, wie leidenschaftlich sich hier Teenager in einen nur vermeintlich | |
fernen Stoff eingearbeitet haben – und Parallelen zum eigenen Leben ziehen | |
bis hin zur Frage, wie sie heute mit ihrer Nationalität umgehen sollen, zur | |
Frage auch, dass es vielen Berliner*innen einfach nur um ein bisschen | |
mehr Freiheit und Wohlstand ging. Erstaunlich, dass es auch hier eine junge | |
Frau ist, die am Ende „tot“ auf dem Straßenpflaster liegt. | |
Auf dem Friedhof der Märzgefallenen liegen einige der Frauen, die damals | |
tatsächlich bei der Märzrevolution starben. Dass sie einstmals von drei | |
ausschließlich weiblichen Repräsentantinnen des Staates für ihren Einsatz | |
für die Demokratie gewürdigt würden, hätten sie sich zu Lebzeiten wohl | |
nicht vorstellen können. Für kaum einen der Kämpfer*innen dieser | |
Revolution vor 175 Jahren sei das Wahlrecht für Frauen eine | |
nachvollziehbare Forderung gewesen, erklärt Bundestagspräsidentin Bärbel | |
Bas (SPD). | |
Bas ist zusammen mit der erst am Donnerstag gewählten neuen Präsidentin des | |
Berliner Abgeordnetenhauses, Cornelia Seibeld (CDU), und Franziska Giffey | |
am Samstagnachmittag auf den Friedhof gekommen, um der Revolution zu | |
gedenken. | |
Bas mahnt an, dass der Einsatz der Bürger*innen wichtig bleibe: Es | |
müssten sich viele Menschen engagieren, ihre Positionen einbringen, auch | |
wenn es manchmal länger dauere, bis sie gehört werden. | |
## Gesetzlicher Feiertag | |
Als Beispiel führt die SPD-Politikerin just den Kampf jener Berliner | |
Initiative an, die sich seit rund 40 Jahren dafür einsetzt, der Revolution | |
von 1848 einen bedeutenderen Platz im Gedenkkalender zuzubilligen und den | |
18. März als gesetzlichen Feiertag zu verankern. Doch Bas sagt nicht, ob | |
sie selbst dieses Ziel unterstützt – was einer Absage gleichkommt. Eine | |
verpasste Gelegenheit. | |
Überhaupt wirken die Auftritte von Bas und Seibeld seltsam steif. Sie lesen | |
ihre Reden komplett vom Blatt ab. Dabei hätte man von den ranghöchsten | |
Repräsentant*innen deutscher Parlamente zu diesem Anlass durchaus mehr | |
Leidenschaft für die Demokratie verspüren dürfen. | |
Immerhin gibt es dann aber doch noch einen weiteren Schritt Richtung mehr | |
Anerkennung der Märzrevolution zu feiern. Unmittelbar vor der | |
Gedenkveranstaltung wurde eine neue Dauerausstellung auf dem Friedhof | |
eröffnet. | |
19 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
Bert Schulz | |
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