| # taz.de -- Ausstellung zum 18. März 1848 in Berlin: Revolutionärinnen auf de… | |
| > Kugeln gießen und Vereine gründen: Eine Ausstellung erzählt die | |
| > Märzrevolution 1848 aus weiblicher Perspektive und als Beginn der | |
| > Frauenbewegung. | |
| Bild: Bei den Barrikadenkämpfen an der Friedrichstraße, Ecke Krönenstraße s… | |
| Berlin taz | Beim Sturm auf das Berliner Zeughaus trägt sie Männerkleidung. | |
| 23 Jahre alt ist Luitgarde Lorenz an diesem 14. Juni 1848, der nach den | |
| Barrikadenkämpfen vom 18. und 19. März einen weiteren Höhepunkt der | |
| Märzrevolution markiert. Der radikale Teil der Revolutionäre will sich | |
| bewaffnen. Mitten im Geschehen soll Lorenz ein Gewehr entwendet haben. Nach | |
| kurzzeitiger Verhaftung kommt sie wieder frei. | |
| Luitgarde Lorenz stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Sie wird 1826 in | |
| Wittstock in der Prignitz geboren und sucht als Achtzehnjährige ihr Glück | |
| in Berlin – und nennt sich fortan Lucie Lenz. Bald schon wird die Polizei | |
| auf sie aufmerksam. In einer der Akten heißt es: „Sie war den ganzen Tag | |
| nicht zu Hause, verkehrte viel mit Mannspersonen, und hat den Ruf einer | |
| Schwindlerin hier zurückgelaßen.“ | |
| „Lucie Lenz ist eine schwierig zu erzählende Person“, sagt Dora Busch. „… | |
| kommt, ganz klassisch, vom Lande nach Berlin, arbeitet als Dienstmädchen | |
| und in anderen Berufen, doch dann steigt sie auf, lernt schreiben und ist | |
| eine gute Rednerin.“ Lenz ist aktiv beim „Demokratischen Frauenclub“, hä… | |
| dort mitreißende Ansprachen. Doch an dieser Stelle, sagt Busch, werde es | |
| widersprüchlich. „Zeughaussturm und Demokratischer Frauenclub passen nicht | |
| so recht zusammen.“ | |
| ## Männlich geprägte Erzählung | |
| Dora Busch ist Historikerin und hat mit ihrem Kollegen Felix Gräfenberg | |
| eine [1][Ausstellung über Frauen in der Märzrevolution] kuratiert, die ab | |
| Dienstag im Ausstellungscontainer auf dem Friedhof der Märzgefallenen zu | |
| sehen ist. „Schwestern, zerreißt eure Ketten“, ist sie betitelt und erzäh… | |
| am Beispiel von neun beteiligten Frauen die Revolution aus weiblicher | |
| Perspektive. Lucie Lenz ist eine von ihnen – und wohl auch eine der | |
| spannendsten. | |
| „Die Erzählung der Märzrevolution ist bislang stark männlich geprägt“, … | |
| Dora Busch und erklärt, dass das auch damit zu tun habe, dass von der | |
| Revolution oft im Zusammenhang mit dem ersten deutschen Parlament in der | |
| Frankfurter Paulskirche die Rede sei. „Da gab es aber keine Frauen, sie | |
| waren nur auf den Zuschauertribünen zugelassen.“ | |
| Bei den revolutionären Ereignissen, die der Paulskirche vorangingen, hatten | |
| Frauen allerdings oft eine wichtige Rolle gespielt, sagt Busch. Zum | |
| Beispiel bei der [2][Kartoffelrevolution 1847], bei der Frauen wegen der | |
| hohen Preise Berliner Marktstände gestürmt hatten. Aber auch bei den | |
| Barrikadenkämpfen im März waren Frauen aktiv. Ein zeitgenössischer Stich | |
| zeigt, wie sie an der Friedrichstraße Ecke Kronenstraße Gewehrkugeln | |
| gießen. 255 Menschen kommen bei den Kämpfen am 18. und 19. März 1848 ums | |
| Leben. 11 von ihnen sind Frauen. | |
| Eine ganz eigene Aktionsform entwickeln die Frauen nach den | |
| Barrikadenkämpfen mit der sogenannten Katzenmusik. „Mit viel Lärm und | |
| Spottgesängen hielten sie ungeliebte Entscheidungsträger und Kaufleute | |
| nachts vom Schlafen ab“, heißt es auf einer Ausstellungstafel. Eine andere | |
| Protestform ist das Sticken von Fahnen. „Durch das Tragen von | |
| Schwarz-Rot-Gold drückten Frauen ihre Unterstützung für die Revolution | |
| aus.“ | |
| „Wir wollen keine Zusatzerzählung machen, wo wir die Frauen neben die | |
| Männer stellen“, sagt Busch. Stattdessen sollten auch die Räume | |
| ausgeleuchtet werden, in denen vor allem Frauen aktiv waren. Neben dem | |
| Kapitel „Kämpfen“ enthält die Ausstellung darum ganz folgerichtig auch die | |
| Kapitel „Leben“ und „Gestalten“. Hinzu kommt ein Sonderthema, das auf e… | |
| Publikumsabstimmung des vergangenen Jahres zurückgeht, als die Schau schon | |
| einmal gezeigt wurde. Zur Auswahl standen die Themen „Antifeminismus“, | |
| Frauen im Exil der „Forty-Eighters“ in den USA sowie „Frauen lieben | |
| Frauen“. Mit knapper Mehrheit entschied sich das Publikum für Letzteres. | |
| Natürlich war der Alltag von Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts stark von | |
| der sozialen Zugehörigkeit geprägt. Es ist sicher kein Zufall, dass | |
| diejenige der neun porträtierten Frauen, die die freie Liebe predigte, | |
| keine Geldsorgen hatte. [3][Louise Aston] war nach einer gescheiterten Ehe | |
| mit einem Industriellen nach Berlin gezogen und provozierte, weil sie Hosen | |
| trug und in der Öffentlichkeit rauchte. | |
| Ganz anders dagegen Caroline Kleinfeldt. Die 1816 geborene Königsbergerin | |
| verdingte sich als Dienstmädchen in einem wohlhabenden Haushalt. Nur jeden | |
| zweiten Sonntag hatten Dienstmädchen damals frei, an eine eigene Wohnung | |
| war nicht zu denken. Kleinfeldt gehört zu den elf Frauen, die auf dem | |
| Friedhof der Märzgefallenen begraben sind. Getötet wurde sie von einer | |
| Kugel, als sie am 18. März 1848 am Fenster einer Wohnung in der | |
| Oberwallstraße stand. | |
| Nicht nur soziale Gegensätze prägten den Alltag der Frauen in der | |
| Revolution, sondern auch politischer Streit. „Dafür stehen die beiden | |
| Louises“, sagt Kuratorin Dora Busch. Das extravagante Auftreten der Louise | |
| Aston kritisierte ihre Vornamensvetterin [4][Louise Otto] als unsittlich | |
| und schädlich für den Ruf der Frauen. | |
| Als Herausgeberin der Frauen-Zeitung setzte Otto nicht auf Provokation, | |
| sondern warb für mehr Rechte und bessere Bildung von Frauen. Für Frauen war | |
| damals meist nur die Volksschule vorgesehen, von der sie im Alter von zehn | |
| Jahren abgingen. „Töchter aus reicheren Familien gingen zum Teil noch bis | |
| zu ihrem 14. Geburtstag auf Höhere Mädchenschulen“, heißt es auf einer | |
| Tafel. „Keine Schulform bereitete Mädchen jedoch auf Beruf oder Studium | |
| vor, sondern jede auf das Leben als Hausfrau.“ | |
| Allerdings durften Frauen Lehrerinnen werden, auch wenn sie diesen Beruf | |
| nach ihrer Heirat wegen des „Lehrerinnenzölibats“ wieder aufgeben mussten. | |
| Für eine entsprechende Ausbildung setzte sich auch Louise Otto ein. Eine | |
| radikale Veränderung von Geschlechterrollen lehnte sie ab. Wie sehr darf | |
| man Grenzen überschreiten, ohne die gegnerische Seite herauszufordern? Eine | |
| Debatte, die bis heute aktuell ist. Immerhin hat Louise Otto ihre Zeitung | |
| bis 1853 herausgeben können. Dann wurde sie verboten. | |
| ## Beginn der Frauenbewegung | |
| Und wie stand es um Homosexualität? Diesen Begriff, sagt Dora Busch, habe | |
| es 1848 nicht gegeben. Von „lesbischem Lieben“ sei aber bereits die Rede | |
| gewesen. Interessant sei die rechtliche Situation. „Schon 1851 wird Sex | |
| zwischen zwei Frauen in Preußen aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen“, | |
| betont Busch. Zuvor habe es den sogenannten Sodomieparagrafen gegeben, | |
| unter den Sex mit Tieren, Sex zwischen Mann und Mann und zwischen Frau und | |
| Frau gefallen war. „1851 steht in diesen Paragrafen nur noch Mann und Mann, | |
| aber nicht mehr Frau und Frau“, sagt Busch. „Das ist auch ein Ergebnis der | |
| damaligen Diskussion unter Juristen, die der Meinung waren, dass Frauen | |
| ohnehin kein Interesse an Sex haben. Sie haben keine Lust darauf und tun es | |
| nur dem Mann zuliebe.“ | |
| Was nicht existiert, muss folglich auch nicht im Gesetz auftauchen. Für | |
| Dora Busch ist das nicht nur eine Erleichterung für lesbische Frauen, weil | |
| es keine juristische Verfolgung mehr gab. „Es war auch der Versuch, | |
| lesbische Liebe unsichtbar zu machen.“ | |
| Neu an der Ausstellung über die Frauen in der Revolution ist auch die | |
| grafische Darstellung ihrer Netzwerke. „Das gab es so vorher noch nicht“, | |
| sagt Dora Busch. „Da ist viel Forschung reingegangen.“ Für die Kuratorin | |
| ist das Netzwerk, das Frauen untereinander gebildet haben, auch eine | |
| Vorform der Frauenbewegung. „Da tauschen sich Frauen darüber aus, was ihr | |
| Anliegen ist, über ihre Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts.“ | |
| Kleinstarbeit sei das gewesen, die über das Quellenstudium entstanden sei, | |
| über Hinweise auf Bekanntschaften in Briefen, in Archiven. „Dabei zeigt | |
| sich, dass man ein Netzwerk nur über Frauen bilden kann. Die Frauen haben | |
| sich gekannt, sie brauchten da keine Männer dazwischen“, sagt Dora Busch. | |
| Natürlich hat das auch Reaktionen der Männer hervorgerufen. „Gerne hätte | |
| ich neben der lesbischen Liebe auch über das Thema Antifeminismus | |
| gearbeitet“, sagt Dora Busch. | |
| Auch über Lucie Lenz wäre da einiges zu erzählen gewesen. Als Reaktion auf | |
| ihre Popularität ist eine Karikatur veröffentlicht worden, die Lenz | |
| lächerlich machen sollte. Unter dem Titel „Das politische Leben der Frau | |
| Lucie“ wird Lenz darin als Rednerin gezeichnet, deren weibliches Publikum | |
| trinkend und rauchend über die Stränge schlägt. | |
| Nicht nur schwierig zu erzählen ist Lucie Lenz, sie ist auch eine Frau | |
| voller Widersprüche, „Weil sie mehrfach den Namen und den Wohnort wechselt, | |
| wird sie auch als Hochstaplerin verfolgt“, sagt Dora Busch. Aber die | |
| Verfolgung höre oft auf, bevor es zu einem Verfahren kommt. „Deswegen gab | |
| es auch das Gerücht, dass sie ein Spitzel sei.“ | |
| Dennoch ist Lenz für die Kuratorin eine positive Figur: „Lucie gelang es | |
| trotz aller Widrigkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“ | |
| Die Ausstellung „Schwestern, zerreißt eure Ketten“ ist vom 18. März bis 1… | |
| Juli im Ausstellungscontainer auf dem [5][Friedhof der Märzgefallenen] zu | |
| sehen. Ernst-Zinna-Weg 1, 10249 Berlin. Mehr dazu unter | |
| www.friedhof-der-maerzgefallenen.de | |
| 17 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.friedhof-der-maerzgefallenen.de/ausstellung/sonderausstellung-2… | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kartoffelrevolution | |
| [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Louise_Aston | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Louise_Otto-Peters | |
| [5] https://www.friedhof-der-maerzgefallenen.de/ausstellung/sonderausstellung-2… | |
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| Uwe Rada | |
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