| # taz.de -- Umzug für den Job: Arbeitsamt muss Mietkaution stellen | |
| > Das Jobcenter muss Arbeitslosen die Mietkaution zahlen, wenn die für eine | |
| > Stelle umziehen müssen. So urteilte das Landessozialgericht | |
| > Niedersachsen. | |
| Bild: Das Jobcenter fährt manchmal die besten Berufsaussichten gegen die Wand | |
| Bremen taz | Das [1][Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen] hat mit | |
| einem [2][Urteil] die Rechte von Langzeitarbeitslosen gestärkt. Sie dürfen | |
| nicht dazu gezwungen werden, einen Job anzunehmen, zu dem sie nicht pendeln | |
| und für den sie nicht umziehen können. Wenn das Jobcenter Bedürftige bei | |
| einem berufsbedingten Umzug aber „allein lässt“, dürfen diese nicht | |
| hinterher noch vom Amt bestraft werden. | |
| Und zwar auch dann nicht, wenn ein Hartz-IV-Empfänger seinen neuen Job | |
| gleich wieder verliert, weil er mangels Geld gar nicht erst in die neue | |
| Stadt zog ([3][Aktenzeichen: L 11 AS 336/21]). Das Jobcenter hatte dem | |
| Betroffenen dies als „sozialwidriges Verhalten“ ausgelegt, obwohl es vorher | |
| die Übernahme einer Mietkaution verweigerte – und so letztlich verhinderte, | |
| dass der Arbeitssuchende wieder in Lohn und Brot kam. | |
| Im konkreten Fall ging es um einen 1962 geborenen Osnabrücker, der bis 2003 | |
| als Buchhalter gearbeitet hatte. Seine [4][Vermittlungschancen auf dem | |
| ersten Arbeitsmarkt waren denkbar schlecht]: Er gilt als schwerbehindert, | |
| die Hauptschule verließ er 1979 ohne Abschluss, später wurde er dann | |
| Industriekaufmann. | |
| In den vergangenen 20 Jahren schlug er sich als Gebäudereiniger und | |
| Auslieferungsfahrer durch, als Helfer im Lager, im Supermarkt, im Büro. | |
| Zwischendurch war er immer mal arbeitsunfähig, auf Weiterbildung oder in | |
| anderen Maßnahmen des Jobcenters untergebracht. | |
| ## Ein scheinbar hoffnungsloser Fall | |
| 2017 entschied das Amt, dem Mann keine Fahrkosten mehr zu | |
| Vorstellungsgesprächen als Buchhalter zu bezahlen. Bei Bewerbungen im | |
| Öffentlichen Dienst musste er als [5][schwerbehinderter Mensch] eingeladen | |
| werden. Er selbst ging aber davon aus, dass Arbeitgeber ihn ohne | |
| Behinderung wohl gleich abgewiesen hätten – weil mittlerweile zu viele | |
| Jahre vergangen waren, in denen er nicht mehr als Buchhalter gearbeitet | |
| hatte. Bewerbungen in seinem gelernten Job seien „nicht weiter | |
| erfolgversprechend“, befand auch das Amt. | |
| In der Folge kam es immer wieder zu Streitigkeiten, wenn es um die | |
| Übernahme von Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen ging. In sechs Fällen | |
| zwischen 2017 und 2020 lehnte das Jobcenter das ab. Stets klagte der | |
| Arbeitslose erfolglos vor dem Sozialgericht. | |
| Überraschenderweise erhielt er 2019 dennoch einen Arbeitsvertrag als | |
| Buchhalter und zwar in Düsseldorf als „Regierungsbeschäftigter in | |
| Haushalts- und Rechnungsangelegenheiten“ beim Polizeipräsidium I mit einem | |
| Nettogehalt von 1.711,32 Euro. Also beantragte er Umzugskosten, Fahrtkosten | |
| für eine Wohnungsbesichtigung und die Übernahme einer Mietkaution. | |
| Die ersten beiden Anträge wurden auch genehmigt – im übrigen aber beschied | |
| ihm das Jobcenter, eine Mietkaution könne „nicht gefördert“ werden. Sein | |
| Einwand, dass ein Umzug nach Düsseldorf dann aber „nur schwer möglich“ se… | |
| wurde ignoriert. Am Ende wurde er in der Probezeit gleich wieder gekündigt, | |
| weil er gar nicht erst zur Arbeit erschien. | |
| Er war ja auch gar nicht erst umgezogen. Er habe kein Geld für die Kaution | |
| gehabt und war zudem noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen | |
| worden, sagte er zur Begründung. Und zum täglichen Pendeln war die | |
| Entfernung mit knapp 200 Kilometern zu weit. | |
| 2020 forderte das Jobcenter rund 6.800 Euro von dem erneut arbeitslosen | |
| Mann: Er müsse die Grundsicherungsleistungen zurückzahlen, weil er aufgrund | |
| seines „sozialwidrigen Verhaltens“ den neuen Job nicht angetreten habe. | |
| Das Landessozialgericht gab ihm nun recht: Von ihm konnte nicht verlangt | |
| werden, den Mietvertrag zu unterschreiben, obwohl er kein Geld für die | |
| Kaution hatte. Im Gegenteil: Das zu tun, wäre ein „[6][Eingehungsbetrug]“ | |
| und also strafbar gewesen, stellte das Gericht fest. | |
| Und dass der Mann nach vielen Jahren, in denen er von Sozialleistungen | |
| abhing, über Rücklagen für eine Kaution verfügen könnte, „sei weder | |
| ersichtlich noch vom Jobcenter vorgetragen worden“, heißt es im Urteil. Es | |
| bedürfe „keiner weiteren Begründung“, wieso der Mann völlig richtig und | |
| nicht „sozialwidrig“ gehandelt hatte. Eine Revision wurde nicht zugelassen. | |
| Am Ende stellt das Urteil klar, was selbstverständlich sein sollte: „Die | |
| sozialadäquate Reaktion“ eines Leistungsempfängers auf ein solches | |
| „rechtswidriges Behördenhandeln“ stellt „kein sozialwidriges Verhalten“ | |
| dar. Das Jobcenter hätte dem Mann die Mietkaution bezahlen müssen. So aber | |
| sei er vom Jobcenter „vollkommen 'allein gelassen’“ worden: Der Mann sei | |
| nicht unterstützt worden, obwohl er darauf Anspruch gehabt hätte. | |
| 13 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Protest-gegen-Zwangsraeumung-in-Bremen/!5902005 | |
| [2] https://landessozialgericht.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemit… | |
| [3] https://landessozialgericht.niedersachsen.de/download/193275 | |
| [4] /Forscherin-zu-Sozialleistungen/!5913105 | |
| [5] /Behindertenbeauftragter-schlaegt-Alarm/!5834305 | |
| [6] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__263.html | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
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