# taz.de -- Russische Desinformation in Deutschland: Angriff auf die Demokratie | |
> Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist Deutschland verstärkt Ziel russischer | |
> Desinformation. Aus Sicherheitskreisen heißt es, sie sei aggressiver | |
> geworden. | |
Bild: Ein ausgebombter russischer Panzer, der den russischen Terror anprangert | |
An einem Freitagmorgen im Februar rollt ein [1][sichtlich demolierter | |
russischer Panzer] in Berlin-Mitte ein. „Achtung! Aufgepasst! Ein | |
russischer Panzer ist soeben in Berlin gesichtet. Aber wir kümmern uns | |
darum!“, [2][twittert] der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev | |
ironisch. | |
Es ist der 24. Februar 2023, Jahrestag des russischen Angriffskriegs gegen | |
die Ukraine. Nach Berlin geholt hat das Kriegsgerät der Konfliktforscher | |
Enno Lenze. Platziert wird der Panzer vor der Russischen Botschaft, mit dem | |
Rohr auf das Gebäude gerichtet, als Mahnmal gegen den russischen Terror. | |
[3][Auf dem Twitteraccount] der Russischen Botschaft in Berlin wird die | |
Aktion einen Tag später jedoch umgedeutet. Die Rede ist von einer | |
„Provokation“, die kein Verständnis, keine Unterstützung und kein Mitgef�… | |
in der Gesellschaft finde. Die Botschaft nimmt damit Bezug auf diejenigen | |
Menschen, die am Samstag nach dem Jahrestag mit Sahra Wagenknecht und Alice | |
Schwarzer [4][vor dem Brandenburger Tor gegen Waffenlieferungen an die | |
Ukraine demonstrierten]. Aus Solidarität mit Russland hatten die | |
Demonstrant:innen den Panzer mit Blumen geschmückt. Für die Russische | |
Botschaft ist dies ein Zeichen „für den Kampf gegen den Neonazismus in der | |
Ukraine.“ Es ist [5][nicht das erste Mal], das eine Auslandsvertretung | |
Russlands damit auffällt, Diskurse zu beeinflussen. Fälle von gezielter | |
Desinformation hat es im vergangenen Jahr auch in Paris und Genf, in Wien | |
und Madrid gegeben. | |
Der russische Angriffskrieg findet in der Ukraine statt. Deutschland aber | |
sei das Hauptziel russischer Desinformation, hieß es bereits vor einem Jahr | |
in der Untersuchung einer [6][Task Force des Auswärtigen Dienstes der EU.] | |
Der EU-Bericht beschrieb eine systematische Kampagne, die sowohl auf | |
formeller politischer Ebene als auch durch regierungsnahe kremlfreundliche | |
Medien ausgeführt werde. Und im [7][Bericht zur Lage der IT-Sicherheit in | |
Deutschland 2022] schrieb das Bundesamt für Sicherheit in der | |
Informationstechnik (BSI), dass die Bedrohung im Cyberraum so hoch wie nie | |
sei. | |
## Reaktionen der Ampelfraktionen | |
Und heute? Aus Sicherheitskreisen heißt es, russische Desinformation und | |
Propaganda seien in der Tonalität aggressiver und von der Menge her | |
intensiviert worden. Soziale Medien hätten für die Verbreitung von | |
prorussischen Narrativen an Bedeutung gewonnen. | |
Auch die Ampel-Fraktionen im Bundestag beschäftigt das Thema. „Die | |
Dimension, mit der uns mittlerweile täglich bewusst lancierte Kampagnen | |
begegnen, hat längst ein beängstigendes, aus rechtsstaatlicher Perspektive | |
nicht zu tolerierendes Ausmaß angenommen“, sagt Grünen-Fraktionsvize | |
Konstantin von Notz der taz. Ein besonderer Fokus müsse bei den sozialen | |
Netzwerken und großen Plattformen liegen. „Hier braucht es dringend eine | |
verstärkte nationale, europäische wie internationale Regulierung, die die | |
Unternehmen als wichtige Gatekeeper in der digitalen Gesellschaft zu mehr | |
Verantwortungsübernahme und der Beachtung gesetzlicher Vorgaben zwingt.“ | |
FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle verweist darauf, dass es neben gezielter | |
Desinformation auch eine finanzielle Einflussnahme gebe, etwa durch eine | |
„offene oder verdeckte [8][Finanzierung rechtsextremer Parteien in | |
Europa]“. Gegen solche „Versuche der Unterwanderung und Destabilisierung“ | |
müssten sich liberale Demokratien verteidigen. Russischsprachige | |
Europäerinnen und Europäer dürfe man „nicht alleine der russischen | |
Staatspropaganda überlassen“, so Kuhle weiter. „Deutsche und europäische | |
Diplomaten müssen verstärkt in russischer Sprache kommunizieren, auch über | |
die sozialen Medien.“ | |
## Resilienzbildung innerhalb der Gesellschaft | |
Die Bundesregierung definiert Desinformation als “nachweislich falsche oder | |
irreführende Informationen, die mit dem Ziel der vorsätzlichen | |
Beeinflussung oder Täuschung der Öffentlichkeit verbreitet werden und | |
gegebenenfalls die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich stören | |
können“. Ende Februar warnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im | |
Interview mit der Funke Mediengruppe vor einer hohen Gefahr durch russische | |
Desinformation, Spionage und Sabotage. Gefahren sieht Faeser maßgeblich – | |
wie auch das BSI – im Bereich der Cybersicherheit. Angriffe prorussischer | |
Hacker hätten zugenommen. | |
Russische Hacker, die in abgedunkelten Räumen vor Computern sitzen und die | |
IT-Sicherheit anderer Länder angreifen – dieses Bild wird häufig mit | |
Desinformation assoziiert. Sich aber allein auf den Bereich der inneren | |
Sicherheit zu fokussieren hält Sozialpsychologin Pia Lamberty für zu eng | |
gefasst. Lamberty ist Geschäftsführerin des Center für Monitoring, Analyse | |
und Strategie (Cemas), und forscht unter anderem zu Verschwörungsideologien | |
und Desinformation. „Es geht auch um einen Marker, wie es um unsere | |
Demokratie steht. Desinformation hat es leichter, in demokratische | |
Schwachstellen hineinzunavigieren“, sagt sie der taz. | |
Was es brauche, sei eine größere Resilienzbildung. Laut einer | |
repräsentativen Umfrage des Cemas ist die Zustimmung zu prorussischen | |
Propagandanarrativen in der deutschen Bevölkerung zwischen Frühjahr und | |
Herbst 2022 merklich gestiegen. Zuletzt stimmte mit 19 Prozent fast jede:r | |
Fünfte der Aussage zu, dass der russische Angriffskrieg eine alternativlose | |
Reaktion Russlands auf eine Provokation der Nato sei. 21 Prozent stimmten | |
dieser Aussage teilweise zu – und damit mehr als noch wenige Monate vorher: | |
Dem Cemas zufolge lag die Zustimmung im April 2022 noch bei 12 Prozent und | |
die Teils-teils-Antwort bei 17 Prozent. | |
## Kampagne gegen ukrainische Flüchtlinge | |
Die Ziele russischer Desinformation ließen sich in zwei Hauptpunkten | |
zusammenfassen: Russland versuche die Demokratie zu destabilisieren sowie | |
die Solidarität mit der Ukraine zu schmälern, indem eine | |
Täter-Opfer-Umkehr betrieben werde. Im Hintergrund dieser Einflussnahme | |
laufe zudem immer das Grundrauschen des Antiamerikanismus und der | |
Verteufelung der Nato mit, sagt Lamberty. | |
Einen Wendepunkt markierte das EU-weite Verbot des von Russland | |
finanzierten Auslandssenders RT DE im März vergangenen Jahres. Die | |
EU-Sanktionen haben laut Lamberty zu einer Fragmentierung der | |
Desinformationsakteur:innen geführt. Wo sich der | |
Desinformationsakteur zuvor noch eindeutig mit RT DE benennen ließ, als | |
Verbreitungsplattform hauptsächlich Youtube und die RT-DE-Website diente, | |
hat sich seit dem Verbot ein Raum für alternative Akteur:innen eröffnet. | |
Telegramkanäle kremlfreundlicher Influencer:innen wie der von Alina | |
Lipp haben an Bedeutung gewonnen, ehemalige RT-Mitarbeiter haben | |
Alternativmedien wie Infrarot gegründet. | |
Ein zentrales Thema russischer Desinformation sind die 1,1 Millionen | |
Menschen, die vor dem Krieg nach Deutschland flohen. „Ukrainische | |
Geflüchtete wurden als Gefahr dargestellt: für die öffentliche Gesundheit | |
oder für die Sicherheit in den Aufnahmeländern“, sagt Julia Smirnova der | |
taz. Sie forscht am Institut for Strategic Dialogue (ISD) zu Desinformation | |
im Netz. „Das sind klassische Antimigrationsnarrative, die früher auch | |
von anderen Akteuren gegen Geflüchtete aus anderen Ländern eingesetzt | |
wurden.“ Hier setzt das aktuelle [9][Projekt „Narrative über den Krieg | |
Russlands gegen die Ukraine (NUK)“] des ISD im Auftrag der Bundeszentrale | |
für politische Bildung an. Regelmäßig werden dazu Videos veröffentlicht. | |
Eines habe man aus dem vergangenen Jahr gelernt, sagt Smirnova: Angesichts | |
der Flut an Propagandanachrichten sei es unmöglich, alle Narrative zu | |
entlarven. Deshalb müsse man die Zielgruppen schulen – und sie für die | |
Methoden der Desinformation sensibilisieren. | |
10 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Panzer-vor-der-russischen-Botschaft/!5919672 | |
[2] https://twitter.com/Makeiev/status/1629003290330427392?s=20 | |
[3] https://twitter.com/RusBotschaft/status/1629594120799895552?s=20 | |
[4] /Schwarzer-Wagenknecht-Demo/!5917221 | |
[5] https://www.politico.eu/article/russia-diplomats-disinformation-war-ukraine/ | |
[6] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/umgang-mit-desinformation/aus… | |
[7] https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Publikationen/Lagebe-%2… | |
[8] /Salvinis-Lega-Partei-unter-Verdacht/!5611606 | |
[9] https://isdgermany.org/projekt-nuk/ | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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