# taz.de -- Radaktivistin über die Berlin-Wahl: „Wir powern auf jeden Fall w… | |
> Schwarz-Rot ist für die Mobilitätswende eine Katastrophe, sagt Ragnhild | |
> Sørensen. Für Aktivist*innen könnte es aber einen Motivationsschub | |
> geben. | |
Bild: Tiere ziehen immer: Radler*innendemo von Changing Cities kurz vor der Wahl | |
taz: Frau Sørensen, in einer Mitteilung von Changing Cities nach dem | |
jüngsten Unfalltod eines Radfahrenden hieß es: „Wir trauern, aber wir sind | |
auch wütend.“ Die Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmender spiele im | |
Bewusstsein der PolitikerInnen „kaum eine Rolle“. Werden Sie bald noch viel | |
mehr Gründe haben, wütend zu sein – und sich dann zurücksehnen nach einer | |
grünen Verkehrssenatorin? | |
Ragnild Sørensen: Ja, mag sein. Wobei die Ergebnisse der Verkehrspolitik | |
unter der amtierenden Senatorin und ihrer Vorgängerin [1][leider auch nicht | |
überwältigend waren]. | |
Jetzt kann es aus Ihrer Sicht aber eigentlich nur schlimmer werden. | |
Absurderweise hat die SPD ja das [2][Mobilitätsgesetz mit verabschiedet]. | |
Sie müsste also eigentlich dazu stehen, tut es aber nicht. Es gibt in der | |
SPD durchaus Menschen, die für die Verkehrswende aufgeschlossen sind – die | |
Basis der Partei ist da weit weniger konservativ als Frau Giffey, die sich | |
für das Gesetz nie wirklich interessiert hat. Auch die Politik, die die SPD | |
in den Bezirken betreibt, ist verwirrend. Es fehlt eine klare Linie: Hier | |
ist sie progressiv, dort verhindert sie zusammen mit CDU und FDP | |
Fahrradstraßen – beispielsweise im Fall der Handjerystraße in | |
Tempelhof-Schöneberg. | |
Und die CDU? | |
Da sieht es ähnlich aus: Das Wahlprogramm ist im Verkehrsbereich bei Weitem | |
nicht so konservativ wie der von Spitzenkandidat Kai Wegner geführte extrem | |
populistische Wahlkampf nach dem Motto: Wir wollen zwar Radverkehr, lassen | |
aber den Autofahrenden den Raum, den sie heute einnehmen. Das kann nicht | |
funktionieren. Ich denke, es gibt auch bei der CDU Spielräume. Aber hohe | |
Erwartungen haben wir nicht. | |
Den [3][Weiterbau der A100] wird ein schwarz-roter Senat wohl auch nicht | |
mehr verhindern wollen. | |
Wahrscheinlich nicht. Die SPD hat zwar nach viel verwirrendem Hin und Her | |
auf ihrem Parteitag dagegen gestimmt. Aber ich kann mir gut vorstellen, | |
dass sie am Ende sagt: Wir wollen sie eigentlich nicht, aber dagegen können | |
wir ja nichts tun, weil hierfür der Bund zuständig ist. | |
Eine deprimierende Aussicht, wenn es zu dieser Koalition kommt? | |
Das kann man so sagen. | |
Aber Sie werden weiterpowern? | |
Wir powern auf jeden Fall weiter. Eine solche politische Konstellation kann | |
den AktivistInnen sogar einen Schub geben, noch mehr Druck auf die Straße | |
zu bringen – aber für die Stadt ist es trotzdem eine Katastrophe. | |
Schwarz-Rot wird den Klimawandel nicht zurückdrehen, wir werden weitere | |
noch heißere Sommer haben, [4][im Verkehr wird die Zahl der Toten und | |
Schwerverletzten] steigen. SPD und CDU sind zwar offiziell keine | |
KlimawandelleugnerInnen. Aber wenn es um konkrete Maßnahmen geht, kneifen | |
sie. Ihnen fehlt das Bewusstsein, dass Klimaschutz eine | |
gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Sie tun immer noch so, als läge er nur | |
im Zuständigkeitsbereich der Grünen. | |
Sehen Sie das Berliner Mobilitätsgesetz in Gefahr? Schwarz-Rot im Parlament | |
könnte anfangen, es zu entschärfen. | |
Die Gefahr sehen wir. Aber das wird die Zivilgesellschaft nicht hinnehmen: | |
Dafür haben wir gekämpft, das soll jetzt nicht im stillen Kämmerlein | |
umgeschrieben werden. Und ganz objektiv betrachtet müssen die | |
CO2-Emissionen aus dem Verkehrsbereich ja auch in Berlin runter. | |
Schwarz-Rot würde sich ein Riesenproblem einhandeln, wenn sie an den | |
gesetzlichen Grundlagen rumschrauben, die das erst ermöglichen. | |
Die These ist provokant, aber könnte der in Teilen sehr polarisierende | |
Klima- und Verkehrsaktivismus zu dem konservativen Backlash bei der Wahl am | |
12. Februar beigetragen haben? | |
Das glaube ich nicht. Ich sehe für den Verkehrsbereich folgendes Problem: | |
Wir haben ein Gesetz, das enorm zögerlich umgesetzt wird. Deshalb sind | |
FußgängerInnen und Radfahrende frustriert. Auf der anderen Seite sehen die | |
Autofahrenden das wenige, was schon auf der Straße ankommt, und das macht | |
ihnen offenbar Angst vor dem, was noch kommen könnte. Im Ergebnis sind alle | |
frustriert, und dann kommt so eine Protestwahl heraus. Die Politik in | |
Berlin unterschätzt, dass eine Mobilitätswende eine gewisse Geschwindigkeit | |
braucht. Man muss Ergebnisse sehen. [5][In Paris ist zum Beispiel richtig | |
Schwung drin]: Da erleben die Leute echte Verbesserungen, und das wiederum | |
bringt eine Begeisterung mit sich. Die Langsamkeit in Berlin, diese | |
endlosen Gutachten und verstreuten kleinen Maßnahmen – das bringt viel | |
Unsicherheit. | |
Müssen Sie dann vielleicht doch noch mal im Sinne direkter Demokratie | |
mobilisieren? Den Volksentscheid Fahrrad haben Sie ja 2016 zurückgezogen, | |
weil Rot-Rot-Grün ganz schnell darauf eingestiegen ist. | |
Wir haben im Moment diesbezüglich keine Pläne, aber wir reden darüber, | |
klar. So viele andere Möglichkeiten haben wir ja nicht, wir können ja nicht | |
die Straßen umbauen. Andererseits gibt es die Kiezblockbewegung, und auch | |
beim Thema Schulwegsicherheit versuchen wir voranzukommen. Wir setzen erst | |
einmal bei den „low hanging fruits“ an – da, wo die Leute unzufrieden sind | |
und Veränderung wollen. | |
Jedenfalls ist bei einem Wegner-Giffey-Senat schwer vorstellbar, dass das | |
Radwegenetz wie im Gesetz festgelegt bis 2030 fertig wird – ein Netz, von | |
dem bislang erst 4,2 Prozent auf der Straße angekommen sind, wie Changing | |
Cities im Wahlkampf vorgerechnet hat. | |
Ja, das kann ich mir auch nicht vorstellen. Die Bezirke werden natürlich | |
weitermachen, da haben ja durchaus weiter Leute die Verantwortung, die den | |
Radnetzausbau vorantreiben. Aber der Senat trägt nun mal beim Ausbau einen | |
großen Teil. Wenn drei Jahre lang gar nichts passiert, dann wird’s wirklich | |
kritisch. | |
6 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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