# taz.de -- Essen aus Schüsseln: Die Bowl ist Quatsch | |
> Sie sollen der Speisekarte Weltgewandtheit verleihen. Doch Bowls machen | |
> nicht satt und zeigen vor allem eins: den Siegeszug des Kapitalismus. | |
Bild: Wer eine Bowl isst, verspürt Sonne im Herzen und hat Meeresrauschen im O… | |
Für alle, die lange nicht mehr in einem großstädtischen Restaurant waren, | |
zu Beginn eine kurze Erklärung: Eine Bowl ist ein Gericht, bei dem in einer | |
Schüssel verschiedene, meist frische Zutaten angerichtet und serviert | |
werden. Wer eine Bowl isst, verspürt Sonne im Herzen und hat Meeresrauschen | |
im Ohr. Viele liebe Grüße aus Hawaii. | |
Das jedenfalls will der Gastro-Hype gerne erzählen. Früher hat man in der | |
Mittagspause ein Tagesmenü gegessen, heute gibt es: Ratatouille Bowl, | |
Falafel Bowl, Buddha Bowl, Superfood Truffle Bowl, Faschingbowl. Und wenn | |
es so weiter geht, gibt es bald nichts anderes mehr. (Auch in der | |
grundsätzlich [1][sehr geschätzten taz-Kantine] hat mit der Fajita Bowl | |
oder der Regenbogenbowl die Bowlisierung der Gastronomie längst Einzug | |
gehalten.) | |
Die Bowls sollen der Speisekarte Weltgewandtheit verleihen und sind in | |
Wahrheit doch nur Ausdruck einer exotisierenden Spießigkeit. Und eines | |
zeigt sich bei den Bowls besonders perfide: der Siegeszug des Kapitalismus. | |
Denn Bowls sind grundsätzlich teuer, und die Hälfte des Preises geht | |
offenbar schon für die Entwicklung der Namen drauf. Die sind natürlich fast | |
immer englisch, es ist dieselbe Masche, nach der Haferschleim plötzlich | |
Porridge heißt und hip sein soll. | |
Bowls sind schön bunt, sehen oft ganz hübsch aus. Weil es ja kein Essen | |
ist, sondern healthy food, sind die Zutaten tendenziell ungekocht, sorry, | |
raw, und tendenziell kaum gewürzt. Wir sind hier aber nicht bei Instagram | |
und auch nicht auf dem Weg zum Yoga, wir haben Hunger! | |
Bowls machen nie richtig satt, die Portionen sind klein, mithilfe von mit | |
optischen Täuschungen arbeitenden Tellerformen sieht man das aber nicht auf | |
den ersten Blick. Für hungrige Menschen ist das ein Problem. Und erst recht | |
für Menschen, die kein Fleisch essen, denn vegetarische und [2][vegane | |
Portionen] sind sehr oft nicht ausreichend, weil die Gastronomie das immer | |
noch für eine Diät hält. | |
Ein Beispiel: Die Vegan Boss Bowl, 14,90 Euro. Diese Bowl ist nicht mal | |
eine Schüssel, sondern ein flacher Teller mit nur leicht erhöhtem Rand. Was | |
ist drin? Ein bisschen Karottensalat, ein paar Maiskörner, rote Tupfer | |
Paprika. Irgendein fleischloses Eiweiß. Quinoa, natürlich Quinoa, diese | |
unschuldigen Körner, die wir den Bewohner*innen der Anden wegessen. Ein | |
paar schmale Scheiben Avocado, natürlich Avocado, [3][über deren Herkunft | |
wir uns lieber keine Gedanken machen]. Und Süßkartoffeln, natürlich | |
Süßkartoffeln, die nur auf die Speisekarten gewandert sind, weil normale | |
Kartoffeln halt zu kartoffelig sind. Darüber irgendeine helle Soße, die | |
wahrscheinlich nicht Soße heißt, sondern Sauce mit irgendwas. | |
Kann man schon essen, nicht dass wir uns missverstehen, aber das Konzept | |
ist falsch. Eine Bowl ist wie der erste Gang zum Büfett, bei dem man von | |
allem erst mal nur einen Löffel voll nimmt. Mit dem problematischen | |
Unterschied, dass man nicht noch mal hinkann, um sich eine richtige Portion | |
zu holen. Die Bowls machen aus Sicht der Anbieter alles richtig, sie | |
treffen den Nerv von Menschen, die sich nicht entscheiden können, die von | |
allem was wollen – und dann nichts Richtiges bekommen. | |
Mögen die Bowls meinetwegen in der Erlebnisgastronomie der Shoppingmalls | |
weiterleben. Aus den normalen Restaurants sollten wir sie schnell wieder | |
verbannen. Und dann können wir uns wieder richtig lecker satt essen. | |
19 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
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