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# taz.de -- Nach Hundekot-Angriff an der Staatsoper: Totale Scheißaktion
> In Hannover beschmierte der Ballettdirektor Marco Goecke eine kritische
> Journalistin mit Hundekot. Nun wird er mit den Konsequenzen leben müssen.
Bild: Marco Goecke, Bald-nicht-mehr-Ballettdirektor der Staatsoper Hannover
Hundsscheiße kommt eher [1][selten im Theater] vor, außer in Bertolt
Brechts „Johanna“ natürlich, und da nur ohne das Fugen-e, aber mit Fugen-s:
das dort imaginierte größte Gebäude der Welt wurde versehentlich und weil’s
billig war, aus Hundescheiße erbaut. Theodor W. Adorno hatte dieses Gebäude
als [2][Palast der Kultur] gedeutet – um Kultur insgesamt zu
skandalisieren.
Vielleicht auch, um über den Skandal der Kunst nicht allzu sehr
nachzudenken, produziert sie zuverlässig immer mal wieder Skandale, in
diesem Fall mit dem Kot des Dackels vom hannoverschen Ballettdirektor.
Dessen Exkremente hat Marco Goecke der FAZ-Kritikerin Wiebke Hüster ins
Gesicht geschmiert. Das macht ziemlich sprachlos, zumal es sich eher nicht,
wie in Jackie Thomaes Roman „Brüder“, wo ein ähnlicher Angriff geschildert
wird, um eine Tat im Affekt gehandelt haben dürfte.
Der Hund war beim Vorfall selbst nicht zugegen gewesen. Nach Goeckes
späterer Schilderung am Montag hatte das Tier jedoch [3][kurz zuvor in die
Tasche gekotet]. Er habe das Exkrement in einen Plastikbeutel gepackt und
sei auf dem Weg zu dessen Entsorgung gewesen. Er betont, die Tat im Affekt
begangen zu haben. Dazu hätte ihm wohl jeder juristische Beistand dringend
geraten im Sinne der Schadensbegrenzung.
## Nicht gerade kollegial
Goeckes Produktion „Glaube, Liebe, Hoffnung“ besteht aus drei Einaktern:
„Milk“, „Sway“ und „Hello Earth“. Sie stammen von Goecke selbst und…
anderen Choreografen. Über deren künstlerischen Wert will nun keiner mehr
Näheres erfahren. Es wäre kaum möglich, darüber zu schreiben, ohne den
Angriff zu thematisieren, der strafrechtlich zu verfolgen sein wird.
Die Macher der anderen Akte können darüber nicht glücklich sein. Der von
Guillaume Hulot stammende erste Akt des Stücks mit dem Titel „Milk“ wurde
in Hannover uraufgeführt und geht nun womöglich wegen des Eklats völlig
unter. Kollegial würde man das nicht gerade nennen.
Vor allem muss man kein Prophet sein, um zu sagen: Mit der Aktion hat der
Künstler Goecke verkackt. Für immer. Es ist ohnehin rückblickend
fragwürdig, wie jemand, der seine [4][Aggressionen gegenüber einer Frau]
offenbar so hemmungslos öffentlich auszuleben bereit ist, mit ihm
anvertrauten jungen Tänzer*innen so lange so unfallfrei und so ergiebig
hat zusammenarbeiten können.
## Körperverletzender Angriff
Dass jemand, der Menschen mit Scheiße beschmiert, um sich zu rächen, von
einer Staatsoper weiter geduldet werden kann, war kaum vorstellbar. Am
Montagnachmittag suspendierte das Haus seinen Direktor. Der
körperverletzende Angriff ist ein derart schrilles Signal, dass es auch das
Lebenswerk dieses zu Recht gefeierten Ballettkünstlers für immer übertönt:
Als „Poet des Tanzes“ hatte ihn der SWR in einem einfühlsamen Porträt
gehuldigt, regelrecht betrauert worden war sein Abschied von Stuttgart, wo
er seit 2005 zwölf Jahre lang als Haus-Choreograf eine eigene Handschrift
entwickelt hatte.
Weltweit sind seine Arbeiten nachgefragt gewesen, er hat in Tel Aviv, Den
Haag und New York Regie geführt. Und seit er in Hannover Chef der
Tanzsparte geworden war, hatte ihn, mit Ausnahme von Wiebke Hüster, auch
das deutsche Feuilleton bejubelt und gefeiert, fast unisono: Nach der
Saison 2021/2022 war er in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Tanz zum
Choreografen des Jahres gekürt worden, ein schönes Geschenk zum 50.
Geburtstag. Ein Höhepunkt.
Doch das war’s jetzt für ihn. Niemand wird mehr ein Ballett von ihm
anschauen können, niemand überhaupt mehr den Namen Goecke hören, ohne an
Goeckes Dackel Gustav zu denken: Auch wenn er die rechtliche Dimension
seiner Tat nicht richtig beurteilt haben sollte – mindestens das hätte ihm,
als jemand, der sich beruflich mit Inszenierungen beschäftigt, klar sein
müssen.
## Gipfel der Kunst
Das ist tragisch, weil für die, die seinen Stil mochten, die Produktionen
ohne Scheiß immer gut, oft sensationell waren – wichtige Stellungnahmen zur
Lage der Tanznation und in dieser so muffigen Sparte, die an den ganz
großen Häusern tatsächlich noch Schrittfolgen des 19. Jahrhunderts als
Gipfel der Kunst präsentiert, ungewohnt und kompromisslos
gegenwartsbezogen: Offenkundig, dass Hüster Goeckes Ideen und Stil
abgelehnt hat. Immer wieder.
Wer ihre Kritiken von Goeckes Arbeiten liest, wird verstehen, dass sie als
persönliche Angriffe interpretiert werden können: Was der Wert einer Kritik
ist, die mechanisch eine Ablehnung wiederholt, darüber hätte man vor dem
Attentat diskutieren können. Und sich fragen, ob in den Verrissen ein
echter Vernichtungswille mitschwingt. So hat Goecke ihn verwirklicht: Der
Mann hat sich selbst zerstört.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war Goeckes Darstellung
des Vorfalls als einer Affekthandlung noch nicht bekannt.
13 Feb 2023
## LINKS
[1] /Theaterdebatte-in-der-Deutschschweiz/!5911087
[2] /Cancel-Culture-in-den-Niederlanden/!5914536
[3] https://www.ndr.de/kultur/buehne/Ex-Ballettchef-Marco-Goecke-Hundekot-Attac…
[4] /Sexualisierte-Gewalt-im-Kunstbetrieb/!5878251
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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