# taz.de -- Nekrolog mit Ausrutscher: Wichtige Rede mit bösem Jargon | |
> Mehr als traurig: Bremer Kulturstaatsrätin nutzt Hetzworte gegen | |
> Journalisten, um des verstorbenen Theater-Intendanten Michael Börderding | |
> zu gedenken. | |
Bild: Zum Glück hat Journalismus Verteidiger wie diesen Jungen. Bremens Kultur… | |
Trauerreden zu besprechen, gilt als unschicklich. Und auch, wenn einige | |
Nekrolog*innen offenbar genau auf diese Narrenfreiheit bauend ihr | |
geplantes Gerede vorab nicht noch einmal kritisch durchsehen – es bleibt | |
ein unangenehmes Geschäft, für den, der’s tun muss. | |
Aber notwendig werden kann es eben doch. Denn Carmen Emigholz (SPD), in | |
Bremen seit 18 Jahren als Staatsrätin für Kultur und Medien zuständig, hat | |
ihre Ansprache zur [1][Gedenkfeier von Generalintendant Michael Börgerding] | |
als „traurigste, aber auch wichtigste Rede“ ihrer Laufbahn bezeichnet. Sie | |
muss also als Politikum ernst genommen werden. | |
Weniger, weil das Epitaph in diesem Fall den schmalen Grat zwischen | |
Privat-Familiärem und Öffentlichem komplett verfehlt hat. Auch nicht, weil | |
Emigholz’ Ansprache, gehalten am 24. Januar 2025 in der Propstei-Kirche St. | |
Johann, auf bizarre Weise nicht die Begegnungen mit dem Verschiedenen oder | |
seine Verdienste, sondern die Leistungen der Rednerin in den Mittelpunkt | |
gestellt hat. | |
Klar ist schmerzhaft peinlich, dass es in diesem Rahmen ihr größtes | |
Herzensanliegen war, auszuführen, dass und wie sie, Carmen Emigholz, 2010 | |
in der [2][Intendanz-Findungskommission] die Einzige gewesen wäre, die | |
Börgerdings 48-seitige Bewerbung durchgelesen hätte. | |
## Die Karriere eines Worts | |
Aber so etwas ist verschweigbar. Ist ja bloß Pietät beziehungsweise keine, | |
wo welche hätte sein müssen. Und ihr Fehlen ist bestimmt ein Ausdruck der | |
überbordenden Gefühle. Um Trauer eine Form zu geben, dafür wäre Kunst | |
zuständig. | |
In der Abwesenheit der Kunst aber bricht die rohe, unverstellte Ehrlichkeit | |
durch. Und da ist es dann doch bemerkenswert, wenn die Staatsrätin, | |
vielleicht um sich den anwesenden Theaterleuten anzubiedern, die Presse | |
thematisiert, und zwar [3][mit dem Schmähbegriff „Journaille“]. | |
Sie habe sich mit Börgerding auch dann verständigt, wenn mal wieder die | |
Journaille etwas Böses geschrieben habe, so die Staatsrätin, die in Bremens | |
Senat für Medienpolitik zuständig ist. | |
Da kann man sich freuen, dass sie nicht gleich von Lügenpresse gesprochen | |
hat. Immerhin war’s ja der Sprachvirtuose Karl Kraus gewesen, der dieses | |
Kofferwort aus Journalist und Kanaille – also schändlicher Mensch, | |
Gesindel, Hundepack – ersann. | |
Nur: Es ist etwas anderes, ob ein Publizist den Begriff vor 120 Jahren | |
prägt, um selbstironisch die eigene Zunft zu beschimpfen. Oder ob ihn die | |
Exekutive jetzt – in einer Zeit, in der Presse verunglimpft, mit Kot | |
beschmiert und verprügelt wird – wieder aufgreift, nachdem der Ausdruck | |
eine so steile wie schlimme Karriere hinter sich gebracht hat: Ab 1933, dem | |
Jahr, in dem Theaterpolitik dem Reichspropagandaministerium unterworfen | |
wird, schnellt die Verwendungskurve steil nach oben. | |
Spätestens im Jahr [4][1936 ist das Bonmot] zum Fachausdruck avanciert. | |
Höhepunkt der Nutzung des Wortes war laut [5][Google-Statistik das Jahr | |
1941]. Bewundernd schreibt der NS-Germanist Werner Schulze 1943: „Als Dr. | |
Goebbels seine Gegner von der,Asphaltpresse' treffen wollte, da schleuderte | |
er ihnen die vernichtende Bezeichnung ‚Journaille‘ entgegen.“ | |
Dass die Bremer Kulturstaatsrätin sich dieses Wort in der ihren Angaben | |
zufolge wichtigsten Rede ihres politischen Lebens nicht verkneifen kann, | |
ist würdelos. Sie zehrt dabei anmaßend von den Verletzungen, die sich aus | |
dem spannungsvollen Verhältnis zwischen Kunst und Kritik ergeben: Kritik | |
hat ja das intime und zutiefst persönliche Werk im öffentlichen Diskurs zu | |
erproben und als Beitrag zu ihm zu bewerten. Kritik vergesellschaftet es, | |
und das kann schlimm weh tun. | |
Dass sich die Stätten der Kunstproduktion und ihre Akteur*innen dagegen | |
manchmal abschotten – vielleicht muss das so sein. Ein Nekrolog jedoch, der | |
aus diesem Verhältnis ein Freund-Feind-Schema ableitet und es versucht zu | |
funktionalisieren, ist antidemokratisch: keine Trauer-, sondern Nachrede. | |
Und zwar sehr übel. | |
1 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Bremer-Theater-Intendant-gestorben/!6061695 | |
[2] https://tuttle.taz.de/!480490&s=intendanz+bremen+b%C3%B6rgerding&Su… | |
[3] https://books.google.de/books?id=d5r7Vrz3UgIC&pg=PA326&hl=de#v=onep… | |
[4] https://www.deutschlandfunk.de/arbeit-am-schoenen-schein-100.html | |
[5] https://books.google.com/ngrams/graph?content=Journaille&year_start=180… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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